Der erste Schnee

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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonApr 2009

Idee

sympathische und gut gezeichnete Charaktere, die allesamt ihre Eigenheiten haben. Es fällt leicht, sich die kleinen Wesen vorzustellen – und natürlich auch niedlich zu finden.

Bilder

Kristina Louhi, die erfolgreiche finnische Illustratorin, begleitet die Geschichte mit dezenten Tuschezeichnungen, die die wichtigsten „Requisiten“ und Momente einfängt.

Text

Die warmherzige, ruhige Sprache von Johan Bargum vermittelt sehr gut die Gemütszustände seiner kleinen Darsteller. Dialogreich lässt er seine kleinen Darsteller lebendig werden und so manchen witzigen Wortabtausch entstehen.

Die Wichtlinger leben auf einer winzigen Insel mitten im endlosen, blauen Ozean. Vor allem Blomberg, der Denker und Erfinder unter ihnen, fragt sich, was wohl jenseits des Horizonts liegen mag? Doch dann geschehen eigenartige Dinge und bringen das beschauliche Leben der Wichtlinger ganz schön durcheinander...

Alles beginnt mit dem Jungen mit Namen Daniel, der allein zu Hause ist und krank in sein Bett kriecht. Es schneit und Daniel findet, dass es ein guter Tag ist, um krank zu sein. Er scheint es gern zu sein, denn dann kommen seine Eltern nach Hause und kümmern sich um ihn. Als Daniel den Schneeflocken zusieht, die im Licht der Strassenlaterne tanzen, schläft er schließlich ein...

Die Wichtlinger Frida, Charlie, Blomberg und die Geschwister Daniel und Ditta wachen an einem sonnigen Herbstmorgen einer und nach dem anderen auf. Blomberg war wohl der erste, denn er steht bereits am Strand und sinniert wieder einmal darüber nach, wie er die Welt jenseits ihrer kleinen Insel erforschen kann. Doch dann ist Charlies geliebte Angelrute verschwunden. Obwohl Charie bis dahin noch nie etwas gefangen hat - aber das soll sich im Verlauf der Geschichte ändern - kann er den Verlust kaum ertragen. Dann verschwindet Fridas Haarschleife. Ein Albtraum für die kleine, zierliche Frida, die sich so gerne hübsch macht. Die Wichtlinger sind ratlos und können sich keinen Reim darauf machen. Sie verdächtigen erst einander und dann sogar Bossa. Doch auch Bossa, die nicht bei den kleinen Wichtlingern lebt und etwas grösser ist, kann als sonst so zuverlässige Ratgeberin keine Antworten geben. Dann entdecken die Fünf einen sehr merkwürdigen Gegenstand am Strand. Ein Ding, das sie niemals zuvor gesehen haben. Es ist ein Gummistiefel - für die Wichtlinger, die einem Menschen nur knapp zur Wade reichen würden, ein riesiges Ungetüm. Doch was sie nicht ahnen ist, dass ein unfreiwilliger Passagier mit diesem Stiefel an ihren Ufern gestrandet ist. Es ist ein Wusel. Hungrig und ängstlich verbirgt es sich zunächst vor den fünf, doch diese schaffen es, das Wusel festzusetzen. Das Wusel spricht eine lustige Sprache und die Wichtlinger, allen voran Frida, kümmern sich sehr um ihren neuen Freund. Als plötzlich der dunkle Schatten über ihnen auftaucht, dessen Ursache unbekannt bleibt, schafft Frida es in allerletzter Sekunde sich mit dem Wusel in Sicherheit zu bringen - und zwar ausgerechnet in dem Ungetüm von Stiefel. Doch es ist Daniel, der herausfindet, dass das Wusel keinesfalls eine andere Sprache spricht und sie sehr wohl versteht. Von ihm erfährt Daniel, wo das Wusel herkommt und wie es zu ihrer Insel gelangt ist. In Daniel reift ein alles verändernder Entschluss. Daniel muss schnell handeln, denn wenn der erste Schnee fällt, müssen die Wichtlinger in den Berg, um sich vor dem Winter in Sicherheit zu bringen.

„Der erste Schnee" von Johan Bargum wurde 2007 für den Hans-Christian-Andersen-Preis nominiert. Eine verwunschene kleine Welt hat der finnische Autor da mit seinen kleinen Wichtlingern erschaffen. Bargum, der zu den bedeutendsten Vertretern der finnisch-schwedischen Literatur gehört, vermittelt beim Lesen das Gefühl von Weite, kühlem Wind und unberührter Natur. Inmitten dieser skandinavisch anmutenden, urtümlichen Natur siedelt er seine fünf Wichtlinger an. Allesamt kleine Individualisten, eignen sie sich wunderbar für Johan Bargums idyllisches Familiengeflecht. Seine Wichtlinger sind friedlicher Natur und wirken alles in allem, mit dem was sie haben und dem was sie ausmacht, vollkommen zufrieden. Vielleicht mit Ausnahme von Daniel, der mit seiner Schwester Ditta eine Hütte teilt. Viel lieber würde er aber mit der zierlichen Frida in einer gemeinsamen Behausung leben. Fast unmerklich lässt Johan Bargum Daniels Hoffnungen und Wünsche zu Tage treten. Leider aber gehört das Herz der hübschen Frida, wie Daniel erfahren muss, bereits Charlie, dem Angler.

Frida, im besten Sinne selbstzufrieden, ist sehr gerne hübsch und hat für jeden aufgeregten Geist immer und jederzeit beschwichtigende Worte parat - und ein Liedchen noch dazu. Doch wehe Frida ist einmal selbst betroffen. Ditta, Daniels Schwester, nervt diese süssliche Oberflächlichkeit und hat nicht selten den einen oder anderen Kommentar parat oder schlägt Frida mit deren eigenen Waffen. Man könnte auch sagen, dass Ditta, die einen ebenso hellen Verstand hat wie ihr Bruder, ganz gerne stichelt. Damit sind Charlie, der glücklose Angler, oder Blomberg, der stets entrückte Forscher aber keinesfalls ausgenommen. Doch wenn es ernst wird, dann halten alle kleinen Wichtlinger zusammen und begegnen den Eigentümlichkeiten eines jeden auf humorvolle und liebevolle Weise.

Der Wichtling Daniel ist im Grunde der Forscher und Denker. Etwas amüsiert es ja schon, wenn Daniel den schusseligen Blomberg (dem es durchaus passieren kann dass er über seinen Überlegungen auch mal einschläft) davon überzeugt, dass es besser wäre mit dem Treibholz statt eines Stegs, lieber ein Floss zu bauen, um bis zum rätselhaften Horizont zu gelangen. Daniel beweist vielfach mehr Weitsicht, wie auch bei seinem Gefühl, dass das Wusel gar nicht so fremdländisch ist.

Zu der Gemeinschaft der Wichtlinger gehört auch eine weitere Person: Bossa. Sie lebt nicht mit den anderen Wichtlingern zusammen. Bossa übernimmt hier den beschützenden Part des Erwachsenen und ist zur Stelle, wenn die Kleinen Zuwendung brauchen. Ratgebend, beobachtend und scheinbar allwissend hält sich Bossa dezent zurück und lässt der kleinen Gemeinschaft die Möglichkeit, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.

Die Wichtlinger wirken wie Kinder, die in ihrer heilen, kleinen Welt - der Insel - lernen, eigene Entscheidungen zu treffen. Ihre Freiheit scheint unbegrenzt, doch spürt man schnell, dass Bossa sie wohl zu lenken weiss. Letztlich besteht Bossa darauf, dass die Wichtlinger in den Berg gehen, wenn es anfängt zu schneien. Da gäbe es wahrscheinlich eine ganz Reihe Interpretationsmöglichkeiten, wie zum Beispiel das Hereinrufen der Mutter wenn es Abend wird. Aber warum lässt Frida ihre geliebte rote Schleife am Strand liegen, weil sie das Gefühl hat, dass es nicht passend wäre, sie in den Berg mitzunehmen? Vielleicht steht der Berg in dieser Geschichte für die Unfreiheit.

Johan Bargum lässt seine Charaktere mit jedem Satz seiner unspektakulären und zeitlosen Geschichte lebendig werden. Er lässt dabei aber auch so manche Frage offen und erreicht auf diese Weise, dass seine Leser sich ihre eigenen Gedanken machen müssen.

Trotz des überraschenden Endes mit hoffnungsvollem Ziel bleibt ein etwas wehmütiges Gefühl zurück. Denn es ist spürbar, dass die Wichtlinger nicht gerne in den Berg gehen. Und was hat der rätselhafte Schatten zu bedeuten, der ganz plötzlich über den dann panisch reagierenden Wichtlingern auftauchen kann?

Von dem Jungen, dessen mutmasslichen Traum wir miterleben konnten, erfahren wir am Ende nichts mehr. In der Geschichte von den Wichtlingern vermischt sich so maches, das Parallelen zu seinem Kinderleben haben könnte. Vielleicht ist die ganze Geschichte aber nur seiner kindlichen Fantasie entsprungen, vielleicht ist sie aber ein Spiegelbild des kindlichen Alltags - mit seinen Gefahren, seinen scheinbar grenzenlosen Freiräumen und dem innigen Wunsch, trotz allem behütet zu sein. Darauf gibt Johan Bargum keine Antwort. Aber eines steht fest, es ist Daniels Namensvetter, der am Ende einen ganz unerwarteten Aufbruch wagt.

Fazit:

Johan Bargums Geschichte von den Wichtlingern kommt leise und sanft daher. Die behütete Welt seiner kleinen Geschöpfe zeigt uns viel kindliche Neugier und letztlich auch die Toleranz, vielem unvoreingenommen zu begegnen. Ein warmherziges und doch eigenwilliges Buch, das trotz seines unbeschwerten Tenors am Ende Fragen aufkommen lassen kann - aber nicht muss. Johan Bargum mutet seinen jungen Lesern zu, ihre eigenen Antworten zu finden - und zwar in dem Masse, wie sie selbst hinterfragen. Damit erinnert er an die kluge Bossa, die keine Antworten sondern lieber Denkanstösse gibt.

Stefanie Eckmann-Schmechta

 

Der erste Schnee

Johan Bargum, Hanser

Der erste Schnee

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