Schorschi schrumpft

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Kinderbuch Couch
89%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonDez 2008

Idee

ein Junge schrumpft und niemand interessiert sich dafür

Bilder

aussagekräftige, teils doppeldeutige Bilder

Text

lakonisch und klar formuliert, in der Wortwahl der Erwachsenen spiegelt sich die Kühle und Distanz

[ab 9 Jahren]

Es ist schon merkwürdig: ein Junge wird immer kleiner und niemanden scheint es wirklich zu interessieren. Seine Eltern schleifen ihn nicht von einem Spezialisten zum nächsten, der Direktor der Schule registriert den Vorgang wie jeden anderen. Auch der betroffene Schorschi gerät nicht in Panik. Stoisch nimmt er alles hin und kuriert sich selbst.

Schorschi schrumpft. Die Sachen hängen an ihm herab, dass er kaum noch laufen kann. Seine Eltern benötigen eine Weile, ehe sie etwas verstehen. Als sie ihren Sohn am Tisch nicht mehr sehen, regen sich erste Zweifel. Die Mutter sorgt sich, was die Leute wohl sagen könnten. Der Vater mutmaßt, dass der Junge sich irgendwie herausheben möchte. Schorschi bleibt nichts anderes übrig als sich mit dem Umstand abzufinden, dass er im Gegensatz zu anderen Kindern kleiner wird. Er schaut gern fern und schickt die Coupons der täglichen Frühstückshaferflockenpackung ein. Gespräche mit seinen Eltern scheint es nicht zu geben, außer Anweisungen seiner Mutter, die er befolgen soll. Schorschi kann keinen Brief mehr einstecken und er kommt nicht mehr in den Bus. Der Busfahrer und die Lehrerin erkennen den Jungen nicht mehr. Niemand geht auf Schorschis Problem ein. Als Schorschi nicht mehr an den Wasserhahn herankommt und verzweifelt springt, rügt ihn die Lehrerin. Schorschi hätte, auch wenn er schrumpft, keine Sonderrechte und muss nun zum Direktor. Auch hier geht es nicht um menschliche Anteilnahme oder Empfindungen, sondern nur um Formulare, die das Kind ausfüllen muss. Der Direktor ergießt sich in Allgemeinplätzen und ist froh, dass Schorschi nichts von ihm erwartet. Schorschi ist der Selfmademan und so findet er auch ganz allein die Ursache für sein Kleinerwerden. Es ist ein Spiel, das er von der Haferflockenfirma geschickt bekommen hat und das er nicht zu Ende gespielt hat, obwohl er eigentlich auch die langweiligsten Dinge bis zum bitteren Ziel durchsteht. Das Spiel heißt: Das GROSSE Spiel für Kinder, die wachsen wollen. Schorschi spielt und er wächst. Seine Mutter freut das nur mäßig, denn sie macht sich für ein Essen fertig. Da bemerkt Schorschi plötzlich, dass sein Körper grün wird.
";Schorschi seufzte. ' Ich glaube, das erzähle ich lieber keinem', dachte er. ' Wenn ich nichts sage, dann merken sie es überhaupt nicht.'"
Und so ist es dann auch.

Die amerikanische Kinderbuchautorin Florence Parry Heide ist heute 89 Jahre alt. Nachdem ihre fünf Kinder eingeschult wurden, begann sie Kinderbücher zu schreiben. Für ";Schorschi schrumpft" erhielt die Autorin 1982 den Deutschen Jugendliteraturpreis.

Schorschi ist ein autonomes Kind, das sich in seiner eigenen Welt zurechtfinden muss. Seine steifen Eltern scheinen nicht auf seiner Seite zu stehen. Welche Beziehung sie zu ihrem Kind haben bleibt im Ungewissen. Sie reagieren rational und unterkühlt auf alles was Schorschi bereits ziemlich vernünftig äußert. Da sind keine Freunde, keine Erwachsenen, die sich wirklich mit seinem sehr offensichtlichen Schrumpfen ernsthaft beschäftigen. Alle fühlen sich eher gestört. Der Mutter ist der Kuchen wichtiger als ihr Kind, der Vater glaubt, dass der Junge etwas Besonderes sein will. Der Busfahrer denkt, dass Schorschi ihn anlügt und die Lehrerin verbietet sich jegliche Einforderungen von Sonderrechten, auch wenn ein Kind kleiner wird. Das Absurde der außergewöhnlichen Situation wird niemandem bewusst. Niemand scheint Schorschi zu kennen, niemand nimmt ihn ernst und niemand hat Verständnis für ihn. Beim Lesen läuft es einem kalt den Rücken hinunter, denn Schorschi ist ein einsames Kind und doch voller Kraft. Er schaut fern und spielt mit den Dingen, die durch den Kauf von Frühstücksflocken ins Haus trudeln. Alles nimmt er selbst in die Hand, löst seine Probleme ohne in einen Dialog mit anderen zu treten.

Der Illustrator Edward Gorey stellt neben jede Textseite eine schwarz-weiß Zeichnung. Groß und unnahbar erscheinen die Eltern in den minimalistisch gehaltenen Bildern. Schorschi wird dagegen immer kleiner und entschwindet dem Zeichner fast unter der Feder. Wie mit einer Kamera umrundet der Zeichner die Familie und zeigt sie aus unterschiedlichen Perspektiven. Auch in den weiteren Schorschi-Geschichten taucht der Junge trotz normaler Größe immer nur am Bildrand auf.

Lakonisch erzählt Florence Parry Heide diese Begebenheit aus Schorschis Leben.
Wie aktuell die ";Schorschi-Geschichten" sind, der Band enthält noch ";Schorschis Schatz" und ";Schorschis Wunsch", liegt auf der Hand. Genug Kinder kennen diesen Moment in ihrem Leben. Sie fühlen sich nicht verstanden. Für Schorschi allerdings ist das bereits ein Dauerzustand, den er gelassen hinnimmt und das beste daraus macht.

Fazit:

Das Kinderbuch ";Schorschi schrumpft" wieder neu aufzulegen, war eine gute Idee, denn Schorschis Probleme, zwar überzogen dargestellt, sind Konflikte, die Kinder in jeder Generation kennen und somit sind die Schorschi - Geschichten einfach zeitlos.

Karin Hahn

 

Schorschi schrumpft

Florence Parry Heide, Diogenes

Schorschi schrumpft

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