[ab 11 Jahren]
Für zwei Wochen muss Emma in den Sommerferien bei Onkel Crispin und Tante Bea auf Long Island wohnen, denn Emmas Vater unterzieht sich einer schweren Herzoperation. Alle sind mit dieser Lösung unzufrieden, denn jeder kennt die wankelmütige Tante Bea, die ein echtes Ekel ist. Aber zum Glück lernt Emma das Mädchen von nebenan kennen und baut mit ihm ein kleines Kunstwerk - ein Dorf am Meer.
Die 10-jährige Emma fährt von New York nach Long Island, um bei ihren Verwandten zu wohnen, die sie kaum kennt. Beatrice ist die Halbschwester ihres Vaters, der eine schwere Bypass-OP vor sich hat. Bea ist das Monster, eine unausgeglichene, egoistische Frau voller Selbsthass mit ";starren Puppenaugen", die es nur darauf anlegt, ihre Mitmenschen mitleidig zu betrachten und zu demütigen. Emma fährt mit einem unguten Gefühl los. Zum einen hat sie Angst vor Bea, zum anderen sorgt sie sich um ihren Vater. Ein Tagebuch liegt in ihrem Gepäck und wenn sie möchte, kann sie alle ihre Empfindungen und Erlebnisse für den Vater dort eintragen.
Die launenhafte Bea thront schwerfällig in ihrem Haus am Meer, löst Kreuzworträtsel, obwohl sie offensichtlich wenig weiß, schaut Fernsehen und lässt sich vor ihrem gutmütigen Mann bedienen. Sie äußert sich pauschal über alle möglichen Themen ohne wirkliche Kenntnisse. Bea trinkt ununterbrochen Tee, räuffelt ihre Wolle auf und erzählt Emma in vorwurfsvollem wie selbstgerechten Ton Geschichten aus der Vergangenheit, in denen sie sich als einsames Mädchen darstellt, dem einiges vorenthalten wurde. Sie ist zerfressen vor Neid, die Unzufriedenheit in Person. Onkel Crispin versucht zu vermitteln und die Dinge gerade zu rücken. Durch Zufall entdeckt Emma im unsauberen Badezimmer einen kleinen Plastikhirsch, eine übliche Verzierung für Brandy-Flaschen. Ein heftiger Streit entbrennt zwischen Bea und Crispin, der ihr unterstellt, dass sie wieder trinkt.
Bea attackiert Emma bei jeder Begegnung. Und Emma kreuzt zufrieden jeden Tag in ihrem Kalender ab, der vorüber geht. In Beas Nähe fühlt sich Emma ";als sei sie von einem Schwarm Stechmücken umgeben."
Emmas Vater hat die OP gut überstanden, nur Bea äußert sich negativ über ihren ihren Bruder und scheint nichts zu fühlen. Emma jedenfalls ist erleichtert. Crispin plant als Abwechslung für Emma einen Ausflug nach Montauk. Bea fährt nach langem Bitten mit, um dann Onkel Crispin aufzufordern bei einem Ramschladen anzuhalten. Bea kauft lauter Baumwollsachen und bestimmt, dass alle wieder nach Hause fahren ohne am Ziel angekommen zu sein. In keiner Sekunde fühlt Bea mit Emma mit, die dann auch froh ist aus dem Auto auszusteigen.
Emma entflieht dem unfreundlichen Haus und lernt Alberta, kurz Bertie, am Strand kennen und beide Mädchen beginnen aus Muscheln, Strandgras, Holz, Steinen, Tang und vielen Kleinigkeiten, die das Meer anschwemmt, ein Dorf zu bauen. Ihre Fantasie kennt keine Grenzen. Sie entwerfen eine Bibliothek, einen griechischen Tempel, Straßen, Häuser. Das wird ihr gemeinsames Projekt - ein Dorf am Meer. Onkel Crispin ist begeistert. Der letzte Tag kommt. Am Abend vernimmt Emma im Schlaf Schritte. Sie läuft zum Dorf am Strand und sieht, dass jemand - Bea - alles zerstört hat. Onkel Crispin versucht Emma zu trösten. Er behauptet, dass Bea auf alle Menschen neidisch ist und es sich selbst nicht verzeihen wird, was sie getan hat. Emma findet keine Worte für das, was die Tante in ihrer blinden Wut angerichtet hat.
Die Mutter holt Emma ab, nachdem das Mädchen ihrer Freundin vom zerstörten Dorf berichtet hat. Bea lässt sich nicht mehr sehen. Emma freut sich auf ihr Zuhause. Von ihrem Hass auf ihre Tante erzählt sie den Eltern nichts. Als sie in ihr Tagebuch schaut, sieht sie hinter ihren eigenen Worten, die sie am ersten Tag in Connecticut geschrieben hatte:";Tante Bea ist...." Beas hinzugefügte Eintragung: "; eine traurige, böse alte Frau." In Emma löst sich der Hass gegen ihre Tante auf, denn sie kennt nun ihr Geheimnis.
Jedes wieder aufgelegte Kinderbuch von Paula Fox findet erneut reges Interesse, auch wenn ";Ein Dorf am Meer" bereits 1988 erschienen ist. ";Ein Bild für Ivan" (Boje Verlag), vor gut 40 Jahren geschrieben, hat nun den Deutschen Jugendliteraturpreis 2008 in der Kategorie Kinderbuch erhalten. Keine Überraschung, denn diese stille und feinfühlige Geschichte hat seinen ganz eigenen literarischen Ton. Bereits 1978 erhielt die Autorin für ihr Werk den Hans-Christian-Andersen-Preis. Die Wiederentdeckung der heute 85-jährigen Amerikanerin haben wir dem amerikanischen Autor Jonathan Franzen zu verdanken.
Paula Fox erzählt in ihren Büchern, ob es nun um einen Bruder mit Downsyndrom geht (Paul ohne Jakob), um einen Jungen, der nicht weiß, ob er ein Tier verletzt hat (Die einäugige Katze) oder um den einsamen Ivan, der Menschen begegnet, die ihm ein gutes Gefühl geben, immer reale Geschichten aus dem Leben. Emma wird mit Tante Bea konfrontiert. In vielen anschaulichen Bildern beschreibt Paula Fox subtil und schonungslos diese verbitterte Alte, die wie in einem ";Wattebausch ein Messer für jeden bereit hält", der sich ihr nähert. Hinter einer Fassade, die Weltgewandtheit vortäuscht, verbergen sich dümmliche Arroganz und Bösartigkeit. So hängt sie sich ein Poster von Monet auf und sucht nie den Strand gleich vor ihrem Haus auf, als würde sie die Kunst dem Realen vorziehen. Die innerlich starke Emma hält sich tapfer, lässt sich von den Gemeinheiten der Tante nicht beirren und durchschaut sehr langsam das Spiel, das die geistig wie körperlich träge Frau mit jedem treibt. Für Tante Bea scheint das Auftauchen des Mädchens aber auch Erinnerungen wachzurufen, die so angestaubt sind wie das Haus, in dem sie lebt. Ganz nebenbei wird Beas Alkoholproblem angedeutet. Die alte kindische Tante Bea ist auf ein Mädchen neidisch und wie ein Kind zerstört sie das, was der anderen so gefällt. Wie in einem Kammerspiel erfasst Paula Fox literarisch und atmosphärisch genau das Beziehungsgefüge zwischen den Personen im Haus. Emma kann fliehen, um sich mit der ein Jahr älteren Bertie ein eigenes Refugium zu schaffen. Mit Bertie schöpft sie Hoffnung und wird auf kreative Weise abgelenkt. Paula Fox hat dieses Buch nicht nur für Kinder geschrieben, es ist wie jede gute Literatur auch für Erwachsene gedacht.
Fazit:
Paula Fox thematisiert die Auseinandersetzungen zwischen den Generationen und zeigt, wie sich ihre junge literarische Figur wehrt. Emma spürt den Rückhalt durch ihre Eltern und kann sich so gegen alle Anfeindungen abschirmen. Die amerikanische Autorin steht fest an der Seite ihrer Helden, möglicherweise auch, weil sie in den Kinderbüchern ihre eigene wechselvolle, einsame Kindheit reflektiert.
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