Kinderbuch des Monats [10.2008]. Frederic ist eine Außenseiter an dem Elite-Gymnasium St. Isaac. Er fällt innerhalb der überangepassten Gruppe von Schülern nicht gerade angenehm auf und macht sich schnell Feinde. Welcher Plan jedoch hinter all der Gleichmacherei des Schuldirektors steckt, entdeckt Frederic erst, nachdem ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Augen geöffnet wurden...
Der dreizehnjährige Frederic, ein sehr intelligenter und eigentlich ein guter Schüler, hat jede Menge Ideen. Am liebsten tüftelt er an immer neuen Maschinen und Apparaturen herum, die er selbst erfindet. Seinen Vater sieht er selten und wenn, dann sprechen die beiden kaum ein Wort miteinander. Hendrik, sein Vater, muss als Computer-Fachmann für ihrer beider Lebensunterhalt aufkommen. Frederics Mutter ist vor ein paar Jahren bei einem Verkehrsunfall gestorben. Durch Hendriks gelegentliche Wartungsarbeiten an der St. Isaac ist es auch möglich, den Jungen auf die Elite-Schule zu schicken. Doch Frederic fühlt sich überhaupt nicht wohl in dieser streberhaften, ideenlosen Umgebung und widersetzt sich der geforderten Gleichmacherei nach Kräften.
Eine seiner Erfindungen, eine Rattenfalle, beschert ihm eines Tages die Begegnung mit der eigenartigen Frau aus dem oberen Stock ihres Hauses. Sie gibt ihm ein Fläschchen, in dem sich angeblich nur Vitamin A befinden soll. Frederic solle es nehmen, dann würde er alles plötzlich viel besser sehen. Nach langem Überlegen nimmt er etwas von dem Vitamin - und am nächsten Tag hat Frederic das Gefühl, tatsächlich verrückt zu werden: Seine linkische Tischnachbarin, Josephine, hat plötzlich bissige Mäuler auf ihren Fingerkuppen, der Direktor Bruhns hat zwei Reihen Haifischzähne, der Lateinlehrer einen Karpfenkopf aus dem nur unverständliche Luftblasen statt Worte austreten und Änna, das Mädchen, das er als einzige in der Klasse mag, trägt eine schwere Eisenkugel um ihr rechtes Bein. Als er seinen Vater betrachtet, sieht er, dass dieser eine teife Wunde über dem Herzen trägt, die immer noch nicht ganz geschlossen ist.
Frederic belauscht ein Gespräch zwischen dem Direktor Bruhns und Josephine bei dem Änna das Thema ist. Sie scheinen besorgt wegen Ännas neu aufgeflammten Ideenreichtum und Bruhns fasst den Entschluss, in der kommenden Nacht etwas dagegen zu unternehmen. Frederic, der so manches höchst verdächtig findet, verfolgt Bruhns nachts, der mit zwei anderen Lehrern und einer merkwürdigen Maschine in der Stadt unterwegs ist. Erschrocken muss Frederic feststellen, dass sie in das Zimmer von Änna eindringen und ihr mit dem Schlauch die Träume abzusaugen. Tatenlos muss er mit ansehen, wie dies geschieht. Doch es gelingt ihm, die Träume Ännas zu entwenden und kann sie ihr zurückgeben. Das gemeinsame Erlebnis der bunten und faszinierenden Träume Ännas, die den Werkkeller der Schule ausfüllen, schweisst die beiden zusammen und obwohl Änna Frederic helfen will, diesem Komplott auf die Schliche zu kommen, versucht Frederic sie aus der Geschichte herauszuhalten. Doch er braucht Änna, um das Rätsel zu lösen...
Mit ihrem neuen Kinderroman ";Die Nacht der gefangenen Träume" entführt uns Antonia Michaelis wieder einmal in die Zwischenwelt zwischen Alltag und Fiktion. Basierend auf den realen Bedingungen, in denen ein scheinbar ganz normaler Junge seinen ganz normalen Alltag überstehen muss, flicht sie zusehends fantastische und vielfach auch skurrile Details ein, deren Häufung sich im Verlauf immer mehr steigert. Zusehends an das ";Unmögliche" gewöhnt, erhält der Leser aber gleichzeitig, Stück für Stück, eine logische Erklärung - was die Geschichte an sich nicht weniger fantastisch macht: denn kann es wirklich eine Maschine geben, die den Menschen all ihre Träume und damit ihre Ideen und nicht zuletzt ihren Willen absaugen kann? Für Antonia Michaelis steht diese Maschine wohl eher stellvertretend für etwas anderes. Ohne zuviel hineininterpretieren zu wollen - denn die Geschichte um Frederic ist ganz unabhängig davon, eine überaus spannende, unterhaltsame und gefühlvolle Erzählung - sieht es Antonia Michaelis dennoch ähnlich, mit Frederic wieder einen Rebell ins Rennen zu schicken. Einer, der sich nicht anpasst und den Weg des geringsten Widerstandes geht, der Fragen stellt und eigene Ideen entwickelt - auch wenn das vielen unbequem erscheint. Ihr Held, Frederic, nimmt so manche Häme, so manche Blessur in Kauf, denn er glaubt daran, dass er - wie er selbst so schön sagt - ";die Welt retten" kann.
Frederic ist in sich gekehrt und lässt nur sehr widerstrebend jemanden an sich heran. Es ist daher für alle Beobachter keine Überraschung, dass er gerade Änna, die stets versucht unsichtbar zu sein, fest in sein Herz schliesst. Sehr gefühlvoll schildert Antonia Michaelis ihre langsame Annährung.
Antonia Michalis spielt gerne mit der Sprache. Ihre Wortspielereien sind mal flapsig, z.B. wenn sie von Wissen spricht, dass über die Streberin Josephine in Frederic ";hineindiffundieren" soll, aber auch oft poetisch, wenn sie Gefühle und Stimmungen beschreibt. Dabei bleibt sie kaum eine Erklärung für eine Wortspielerei oder für ein Fremdwort schuldig; Frederic selbst erklärt dies. Häufig nimmt er dabei Bezug auf den Fremdwörterliebhaber Bruhns, oder auf andere Begebenheiten, die ihn zu dieser neuen Wortfindung inspiriert haben.
Das Abenteuer um die gefangen Träume ist reich an vielen kleinen Geschichten und spannenden Sequenzen. Jede Momentaufnahme, jeder scheinbare Nebenschauplatz hat jedoch innerhalb der Geschichte seinen Sinn, der sich vielfach erst am Ende ergibt. Sehr unmittlelbar und sympathisch finde ich die Dialoge zwischen dem Erzähler und Frederic, in denen sie sich zwischen den Kapiteln kurz über den weiteren Verlauf der Geschichte austauschen, ohne jedoch zu viel zu verraten. Sie sind nette kleine Verschnaufpausen zwischen den vielen kleinen ";Cliffhangern" und werden mit Sicherheit das eine oder andere sensible Gemüt beruhigen.
Und das scheint so manches Mal auch nötig, denn am Ende sehen sich die Freunde der grössten Herausforderung gegenüber: Tief im Dunkeln der alten Fabrikhalle müssen sie die Albträume überreden, die anderen Träume zu befreien, bevor Bruhns sie für alle Zeiten vernichten kann.
Fazit:
";Die Nacht der gefangenen Träume" überzeugt durch seine geballte Fülle an Fantasie und jede Menge kluger Einfälle. Wieder einmal ist Antonia Michaelis eine wunderbare Verknüpfung zwischen der realen und der fantastischen Welt gelungen - immer einen Grad von dem einen oder anderen entfernt, lässt sie ihre Helden auf diesem wanden. Scheinbar mit Leichtigkeit verleiht sie ihrer Geschichte eine ganz eigene Logik, so dass es leicht fällt, sich ganz und gar auf ihre Welt einzulassen. Trotz ihrer wunderbar zotigen Einfälle kann Antonia Michaelis durchaus ernste Töne anschlagen und vermittelt sehr klar jene Botschaften, die ihr am Herzen liegen.
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