Große Krallen, weite Schwingen und ein langer gezackter Schwanz - die typischen Merkmale sind unverkennbar. Ein imposanter roter Drache mit finsterem Blick nimmt das Cover des Bilderbuches gänzlich ein. Und wir würden noch immer mit gebührendem Respekt auf das Märchenwesen schauen, wenn wir nicht sein großes oder genauer gesagt doch eher kleines Geheimnis kennen würden...
Der rote Drache bekommt eines Tages einen Nachbarn: Georg, die Maus, zieht in eine ehemals von Fledermäusen bewohnte Höhle ein - unmittelbar neben der des Drachen. Als Georg bemerkt, dass er keinen Zucker mehr für seinen Tee hat, hofft er auf Nachbarschaftshilfe und beschließt, den Drachen zu fragen: ";Oh, hallo, Sie könnten mir nicht zufällig mit ein paar Zuckerstückchen aushelfen, oder?"
Wir können uns sicher gut vorstellen, dass ein Aufeinandertreffen dieser ganz unterschiedlichen Lebewesen auch unerwartete Reaktionen hervorrufen kann. Jedoch ist es nicht die Maus, die angstvoll zurückweicht. Im Gegenteil, der pure Anblick der Maus versetzt dem Drachen einen dermaßen großen Schreck, dass dieser sofort Reißaus nimmt und seine Beute - die Prinzessin, die er eben erst entführt hatte und in seine Höhle verschleppen wollte - fallen lässt. Die Prinzessin zeigt sich verständlicherweise dankbar und so erhält Georg nach dieser ";Rettungstat" auch mehr als nur ein paar Stückchen Zucker: die Maus speist gar fürstlich im Schloss am Tisch der Prinzessin.
Georg wohnt von nun an in einer kleinen gemütlichen Höhle in der Burgmauer und über dem Eingang seiner Höhle prangt ein großes Schild: ";Vorsicht Maus!". So haben wir am Ende doch noch ein wenig Mitleid mit dem Drachen, der verschreckt, verärgert und ungläubig zugleich hinter den großen Bergkuppen hervorlugt...
Zugegeben, Drachenbücher gibt es mindestens so zahlreich wie Schuppen auf der Haut des Märchenwesens. Und nicht nur die Spezies Elefant musste sich bereits mehrfach, trotz seiner Größe, der viel kleineren Maus geschlagen geben. Aber Chris Wormell mischt in seinem Bilderbuch die bekannten Motive aus der Märchenwelt in Anspielung an die Legende des heiligen Georg als Drachentöter mit einer Geradlinigkeit, die sofort ihren ganz besonderen Charme versprühen kann.
Zu Beginn inszeniert der in Gainsborough geborene Autor und Illustrator die Größe und Stärke des Drachen wahrlich Respekt einflössend: der Drache beherrscht das Fliegen, er kann mit seinem Schwanz die größten Burgmauern einstürzen lassen und mit seinem feurigen Atem ganze Wälder niederbrennen. Genauso wünschen wir uns doch einen Drachen: groß, mächtig, stark, feuerspeiend, gar unbesiegbar? Und gerade haben wir uns an die unbändige Kraft des Wesens gewöhnt, da präsentiert uns Wormell dessen Gegenspieler: klein und verletzlich, noch gänzlich ahnungslos, der in unmittelbarer Nachbarschaft lebt. Diese gegensätzliche Erscheinung lässt uns nur gebannt darauf warten, was schließlich beim Aufeinandertreffen geschehen mag. Doch im Gegensatz zu seinem Vorbild aus der Legende muss Georg hier aber gar nicht erst Hand an den Drachen anlegen...
Die doppelseitigen Aquarelle mit kräftigen Farben sind ein wahrlich eindrucksvoller Blickfang und erzählen die Geschichte eigentlich schon ganz alleine. Viele kontrastreiche Farbabstufungen arbeiten Konturen und Details heraus - wie beispielsweise die Steine der Burgmauer oder die Haut des Drachen - und sorgen zudem für Tiefe durch lebendige Licht- und Schattenspiele. Die intensiven Rottöne des Drachen stechen dabei natürlich besonders hervor und unterstreichen dessen Stärke und imposante Erscheinung. Seinen humorvollen Blick beweist Wormell auch, indem er die Einrichtung der ehemals von Fledermäusen bewohnten Höhle an der Decke auf dem Kopf stehend anbringt.
Fazit:
Eine bekannte Legende einmal ganz anders und für Kinder sehr unterhaltsam erzählt. Chris Wormells humorvolle Geschichte lässt seinen kleinen Mäuserich Georg mit wenigen Worten, aber umso aussagekräftigeren Bildern, siegreich gegen den Drachen hervorgehen.
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