[ab 5 Jahren]
"; Du bist ein Feigling" sagt Papa zu Michael. Michael muss immerzu daran denken und kann deshalb nicht einschlafen: ";Ich bin doch gar kein Feigling!" denkt er und wünscht sich einen grossen, starken Michael, der ihm immer zur Seite steht.
Michael ist ein kleiner Junge. Weil er sich nicht gegen Paul wehrt, der ihn eines Tages schubst, nennt ihn sein Vater einen Feigling.
Dabei ist Paul größer und stärker als Michael und geht schon in die zweite Klasse. Durch die unbedachten Worte des Vaters hat Michael jetzt Angst, alle anderen würden merken, dass er ein Feigling ist.
In dieser Nacht träumt Michael davon, größer und mutiger als Paul zu sein. Er träumt, dass ihm alle Platz auf dem Schulweg machen. Der Traum-Michael geht mit großen, ruhigen Schritten voran. Sogar Paul hat im Traum Angst vor Michael- und nicht umgekehrt.
Als er am nächsten Morgen in den Spiegel schaut, steht neben ihm ein größerer Junge, der fast so aussieht wie er - bloß nicht so ängstlich. ";Ich bin Ichmael, dein bester Freund", sagt der fremde und gleichzeitig so vertraute Junge. Von nun an begleitet der große Freund Michael überall dorthin, wo er ihn braucht.
Auf dem Schulweg geht Michael ruhig und gelassen mit großen, langsamen Schritten, genau wie der starke Junge neben ihm. Im Unterricht ist Ichmael bei ihm und Michael hat das Gefühl, dass selbst die Lehrerin heute mehr Respekt vor ihm hat. Im Sportunterricht schwingt sich Michael zu Höchstleistungen auf und spontan wollen andere Kinder sich mit Michael am Nachmittag zum Fußball verabreden.
Doch auf dem Weg zum Fußballplatz wimmelt es nur so vor großen Hunden. Wieder denkt Michael daran, dass sein Vater ihn Feigling genannt hat. Aber Ichmael verwandelt sich plötzlich in einen Riesenhund. Fremde Hunde und ihre Besitzer weichen respektvoll aus und machen um Michael einen großen Bogen. Auf dem Fußballplatz verwandelt sich der Hund wieder in Ichmael, gibt Tipps und feuert Michael an. Komisch findet Michael nur, dass niemand von den anderen Jungen etwas über den Hund gesagt hat und auch niemand die Rufe Ichmaels hört.
Ichmael wird für Michael zu einem großen Bruder, zu seinem besten Freund und Ratgeber; er ist sein Trainer und sein Vertrauter, dem er alles erzählen kann.
Selbst Michaels Mutter merkt, dass ihr Sohn sich verändert hat. Ihr gefällt der neue, selbstbewusste Michael. Auch der Vater wundert sich. Michael erzählt ihm schließlich die Geschichte von Ichmael, wie er plötzlich einen großen starken Freund gehabt hat, der ihm Mut macht und dem er alles erzählen kann. Ein Freund, der ihm jetzt hilft und an ihn glaubt. Der Vater wird immer blasser und redet mit der Mutter noch sehr lange an diesem Abend. Der Vater schämt sich schrecklich, dass er Michael als einen Feigling bezeichnet hat und dass stattdessen der unsichtbare Freund seinem Sohn Mut macht - und nicht er als Vater.
Am nächsten Wochenende plant der Vater eine Kanutour mit seinem Sohn und denkt, er hätte auch gerne einen Freund, der ihm hilft, wenn er etwas nicht kann. Aber vielleicht ist er dafür schon zu groß und ist fast ein bisschen neidisch.
Lotte Kinskofer und Verena Ballhaus ruhiges Bilderbuch ";Gemeinsam bin ich stark" ist wirklich ein Buch, das Mut macht und Kraft gibt, zu sich selbst zu finden und zu sich selbst zu stehen. Immer, wenn Menschen zusammenkommen, gibt es Konflikte. Das ist unvermeidlich. Konflikte gehören zu unserem Leben, und das ist zum Teil auch gut so. Denn Konflikte zeigen uns, dass jeder Mensch anders und einzigartig ist. So auch unser kleiner schüchterner Junge Michael in dieser Geschichte.
Der selbstbewusste, mutige und starke Freund ";Ichmael" erinnert allein schon durch die in roter Typografie gesetzten Texte - den inneren Dialog von Michael - an das Über-Ich aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds. Das Über-Ich entsteht durch das Angleichen der eignen Person an andere, mit denen sich dieser Mensch identifiziert. Es fungiert als Kontrollinstanz, deren Ziel es ist, durch Selbstbeobachtung das eigene Verhalten in Übereinstimmung mit dem Idealbild zu bringen. Das kann man in dieser Geschichte sehr schön nachvollziehen: Michael leidet unter der Aussage seines Vaters, er sei ein Feigling. Michael erfindet seinen imaginären Freund Ichmael und versucht so zu sein wie dieser große starke Freund, welcher dem Idealbild seiner Eltern und seiner selbst entspricht. Und es gelingt ihm auch und er geht am Ende selbstbewusst und stark und mutig durch die Welt.
";Gemeinsam bin ich stark" zeigt daher eine gelungene Herangehensweise an dieses Thema auf und kann Kindern einen Weg ebnen, über ihre Ängste und Unsicherheiten zu sprechen.
Die Sprache ist altersentsprechend und leicht verständlich. Interessant wirken die in rot gehaltenen Gedanken von Michael und eigenen sich so auch gut zum rollenverteilten Vorlesen mit den älteren Kindern. So wächst einem die Hauptfigur auch schnell ans Herz und so manches Kind kann seine Sorgen und Nöte in Michaels Gedankenwelt wiederfinden.
Die leichten, unaufdringlichen Illustrationen sind in ihrer Charakteristik dennoch auffällig. Vor allem die Darsteller fallen sofort ins Auge und sind im ersten Moment vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, da man nicht genau erkennen kann, um was welche Art Wesen es sich hier handelt. Die sympathischen Vogel-Wesen sind in durchscheinenden Buntstiftzeichnungen gehalten und wirken in ihrer unterschiedlichen Farbgebung, ihren unregelmässig schraffierten Farbflächen federleicht. Dramaturgisch markant hingegen ist die Farbgebung im Verlauf der Geschichte: am Anfang überwiegen graue, dunkle Farbtöne. Der Traum ist schon wesentlicher bunter dargestellt und am Ende sind die Farben dann auch sehr kräftig aufgetragen. Die Gestalt des Ichmaels wird zum Ende hin immer durchscheinender und auf der letzen Seite ist er dann gar nicht mehr wiederzufinden.
Fazit:
Optisch und intellektuell ein gelungenes Buch zum Thema Angst. ";Gemeinsam bin ich stark" von Lotte Kinskofer und Verena Ballhaus ist ein Mutmachbuch, aus dem Kinder Kraft schöpfen können, zu sich selbst zu stehen und selbstbewusster auf andere Menschen zuzugehen.
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