Was ist da passiert?
- Gerstenberg
- Erschienen: Juni 2008
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Plötzlich dieser Lärm hinter der Mauer! Empfindlich fühlen sich die Kartenspieler gestört. Etwas ängstlich und aber neugierig geworden schauen Katze, Pferd, Bulle, Maulwurf und Chamäleon nach, was da passiert ist. Doch jedes Tier sieht etwas anderes....
Bisher war alles ruhig an diesem Nachmittag im Garten. Der Bär, die Katze, die Stute, der Bulle, der Maulwurf und das Chamäleon sitzen gemütlich um einen Tisch herum beim Kartenspiel und streiten sich ein bisschen. Der Maulwurf behauptet, dass der Bulle schummelt. Aber der pflückt nur Gänseblümchen, um ganz nebenbei dem Nachbarn in die Karten zu gucken. Das Chamäleon hält sich nicht an die Reihenfolge beim Spiel und versteht auch gar nicht, was der Kater sagt: ";Entschuldige mein Lieber, ich bin dran!" ";Was, wie bitte, Lebertran?". Doch dann ertönt ein lautes ";Bumm Badabumm!". Das Spiel wird unterbrochen, denn jeder will nun etwas ängstlich wissen, was da hinter der Mauer, die den Garten von der Straße abtrennt, geschehen ist. Der Bär bleibt am besten unter dem Tisch liegen, der Maulwurf springt in sein Loch und die anderen sprechen sich Mut zu.
Als erster schaut der Kater über die Mauer, um die Gefahrenquelle ausfindig zu machen. Auf der folgenden Doppelseite zeigt Bruno Heitz dem Betrachter wie die Augen einer Katze funktionieren. Über die Mauer hinweg erblickt der Kater einen menschenleeren Platz, mit zwei Bäumen, einem altmodischen Auto, Häuserzeilen und dem Rathaus. Doch der Kater ist weitsichtig und hat ein Gesichtsfeld von 280 Grad. Er sieht kein Rot und das Farbspektrum schwankt zwischen grün und blau. Was vor seiner Nase geschieht, kann er nicht erkennen und den Affen im Baum auch nicht. Somit sind die Informationen des Katers irreführend, denn er behauptet, er habe einen Zebrastreifen gesehen und einen großen Topf. Das Pferd versucht sein Glück. Nun erweitert sich auf der Doppelseite das Bild, das in Gelb-, Blau und Grüntönen gehalten ist. Das Gesichtsfeld des Pferdes beträgt 355 Grad. Allerdings kann die Stute auch nicht wahrnehmen, was sich unmittelbar vor ihrem Maul befindet.
Im Baum turnt immer noch der Affe, den auch das Pferd nicht sieht. Aber ein Wohnwagen taucht auf. Inzwischen inspiziert das Chamäleon die Karten der Mitspieler, meckert herum und versteht nur Bahnhof. Die Aufregung der anderen scheint es nicht zu interessieren. Der Bulle schaut nun über die Mauer und es erscheint ein noch breiteres Bild als vorher, allerdings in unterschiedlichen Brauntönen. Der Wohnwagen und ein Zirkuszelt sind am äußersten linken Rand zu sehen. Aber auch der Bulle kann nicht wahrnehmen, was sich unmittelbar vor seinem Gesichtskreis abspielt. Das Chamäleon wird langsam sauer, denn alle debattieren darüber, was nun mit diesem Zelt sein könnte, dem komischen Vieh oder was da wohl im Baum sitzt und woher der Krach letztendlich herstammen könnte. Der fast blinde Maulwurf startet einen Versuch und trotz obligatorischer Brille sieht er nur die Unterschiede zwischen hell und dunkel.
Inzwischen ist der Bär unter dem Tisch eingeschlafen und der Maulwurf äußert, dass er Kleister riecht. Das bequeme oder wirklich sehr schwerhörige Chamäleon löst dann mit seinem Panoramablick den Fall. Es sieht über die Mauer. Mit dem linken Auge erspäht es einen Clown, der in einer Trommel feststeckt, mit dem rechten Auge bemerkt es, dass der Bulle doch tatsächlich hinter seinem Rücken in seine Karten schmult. Ein Elefant lehnt sich plötzlich über die Mauer. Er erzählt vom Zirkus, der neu in die Stadt gekommen ist. Der Clown wollte gerade an der Mauer ein Werbeplakat ankleben als der Affe aus Spaß mit der dröhnenden Trommel ihm einen Schreck eingejagt hat. Der Clown ist darauf hin kopfüber in das Instrument gefallen.
Sehgewohnheiten heißt das Thema dieses handlichen Comic-Pappbilderbuches des französischen Illustrators Bruno Heitz. Bereits das Cover fällt durch seine knallig rotorangene Signalfarbe und Leuchtkraft auf. Alle Tiere sind um ein linsenförmiges Gebilde, die Andeutung eines Auges, vereint. Bereits auf dem vorderen ( auch auf dem hinteren) Vorsatzblatt des Bilderbuches tauchen verschiedene Augenpaare von Tieren, aber auch Brillen in unterschiedlichen Formen auf. Das Eingangsbild zeigt die sechs Tiere beim nachmittäglichen Kartenspiel. Auf dem Tisch in irgendeinem Städtchen der französischen Provinz stehen Kekse und Getränke. Bär, Chamäleon, Stute, Maulwurf, Katze und Bulle sind menschlich gekleidet, bewegen und verhalten sich auch so. Da ist der moderate Typ, der Kater, der ein wenig hinterhältige Charakter, das Chamäleon, der fast immer im Dunkeln tappende Nachbar, der Maulwurf, der eifrige Zeitgenosse, das Pferd oder der total überängstliche Mitspieler, der Bär.
In breitflächigen Sprechblasen unterhalten sich die Protagonisten miteinander und tauschen ihre Beobachtungen in diesem Minikrimi aus. Allerdings sehen Tiere anders als der Mensch, der nur einen Gesichtskreis von 180 Grad hat. Die Perspektive der Tiere bleibt immer die gleiche und doch nehmen sie ganz unterschiedliche Bilder wahr. Wie die einzelnen Tiere den Vorplatz betrachten, das verdeutlicht Bruno Heitz auf den Doppelseiten, zum einen durch die farblich unterschiedlichen Zeichnungen, zum anderen durch die einfachen, klar formulierten Erläuterungen am unteren Bildrand. Genau eingezeichnet sind auch die Flächen, die das jeweilige Tier nicht sehen kann.
Die Spannung der kurzen Handlung an zwei übersichtlichen Schauplätzen baut sich durch die verschiedenen Bilder, die die Tiere registrieren, auf. Jedes Tier, das sich traut, über die Mauer zu blicken, erzählt von anderen Dingen, die es gesehen haben will. Allein der Maulwurf verlässt sich auf seinen Geruchssinn und weist auf den Klebergestank hin.
Mit einem Augenzwinkern ( Immer versteht das extrem schwerhörige Chamäleon, das sich nicht einen Millimeter von seinem angestammten Platz wegbewegt, alles falsch.), einem sehr gelassenen Zeichenstil und Liebe zum Detail erzählt Bruno Heitz eine aufregende, kurzweilige, spielerische Geschichte mit Lerneffekt. Der junge Betrachter verliert nie den Überblick und kann sich an dem Detektivspiel beteiligen. Durch die Vermenschlichung der Tiere zeigt der französische Illustrator wie unterschiedlich Bilder wahrgenommen werden können. Schuldig bleibt uns Bruno Heitz, wie der visuelle Sinneseindruck eines Bären ist.
Fazit:
Bruno Heitz hat nach der Idee und dem Text von Béatrice Vincent ein witziges, wie lehrreiches Pappbilderbuch mit wohl proportioniertem Informationsgehalt erdacht und gezeichnet. Sehweisen im doppelten Sinn werden dem Betrachter vorgeführt, denn trotz unterschiedlicher Sehfähigkeiten kann auch die Wahrnehmung und Interpretation von Tier zu Tier oder Mensch zu Mensch eine ganz andere sein. Eine gelungene Mischung aus Comic-Bilderbuch und Sachbuch!
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