Es war einmal ein Huhn...
Das konnte kein einziges Ei legen. Doch diese Schande will Huhn Gackita nicht auf sich sitzen lassen. Kurzerhand brütet sie ein Ei aus, das sie am Flussufer gefunden hat. Was da nun ausschlüpft, stellt den ganzen Hühnerhof auf den Kopf und das Schicksal nimmt seinen Lauf...
Die unglückliche Gackita wird von ihren Schwestern verspottet. Gackita fragt sich: "Wozu bin ich da, wenn ich kein Ei legen kann?" Die Schwestern antworten ihr: "Wir glauben zu nichts!"
Als Gackita eines Tages auf ihrem Sparziergang ein Ei findet, beschließt sie es auszubrüten. Doch statt eines Kükens schlüpft ein kleines Krokodil aus. Gackita nennt es ";Kroberto", liebt und verteidigt es - allen Anfeindungen zum Trotz - gegen die gackernde Hühnerschar wie einen eigenen Sohn.
Doch Krobertos offensichtliche Andersartigkeit wird mit jedem Tag problematischer: Er wird nicht so schnell satt wie die flauschigen Küken der anderen Hühner und bald schon reichen Regenwürmer dem kleinen grünen Reptil nicht mehr aus. Kroberto bedient sich schließlich an den Eiern der anderen Hühner. Ein Aufschrei der Empörung geht durch die Reihen der Legehennen!
Es kommt zu einem regelrechten Aufstand. Die beschämte Gackita bestraft ihren Kroberto pflichtbewusst und versucht von nun an, ihm gute Marnieren beizubringen. Doch die argwöhnischen Schwestern beschimpfen das arme Krokodil auch weiterhin als frech, hässlich, verwöhnt, gefräßig und rücksichtslos. Als Kroberto am Ende das ganze Trinkwasser der Hühner zum Baden benutzt, bringt dies, im wahrsten Sinne des Wortes, das Fass zum Überlaufen. Die Hühner verlangen, dass Gackita und Kroberto die Gemeinschaft verlassen.
Mutter und Sohn gehen und lassen sich am Flussufer nieder. Das Krokodil, endlich froh in seinem natürlichen Lebensraum zu sein, liebt das Wasser und Gackita fühlt sich bei ihrem großen Sohn, der inzwischen ein stattliches Krokodil geworden ist, sicher und geborgen. Es geht ihnen lange Zeit gut und sie sind zufrieden.
Bis eines Tages der hungrige Fuchs aufkreuzt. Der Angriff auf Gackitas Leben kann jedoch vereitelt werden, da Kroberto seine verängstigte Mama auf dem breiten Krokodilrücken durch das Wasser trägt. Sie ist gerettet. Der Fuchs aber läuft wütend zum Hühnerhof und will sich dort nun ein Huhn schnappen.
Vor Angst und Panik flattern die Hühner zum Fluss hintunter, um dem gefräßigen Fuchs zu entkommen und die Schwestern haben Glück : Kroberto schwimmt mit ihnen hinaus auf den Fluss und der Fuchs steht zunächst ratlos am Ufer. Doch dann reisst Kroberto sein Krokodilmaul zum ersten Mal bedrohlich auf und zeigt seine Zähne. Der Fuchs bekommt einen solchen Schrecken, dass er fortläuft und nie wieder gesehen wird. So rettet Kroberto auch seinen Tanten das Leben.
Nun hat sich dann doch alles zum Guten gewendet und die Schwestern kommen jetzt regelmäßig sonntags zu Besuch und bringen immer Regenwürmer mit, die Kroberto als Nachtisch verspeist. Ab und zu gibt es dann auch mal eine Familienflussfahrt auf seinem Rücken, aber nur, wenn Kroberto Lust dazu hat.
Elisabeth Stiemert zeigt mit ihrer warmherzigen Fabel, für die sie bereits 1979 die Auszeichnung für das schönste Bilderbuch des Jahres in England erhielt, dass Anderssein auch Chancen in sich birgt- in diesem Falle für die Hühnergesellschaft. Der vermeintlich rücksichtslose und gefräßige Feind wird letztlich zum starken Beschützer, denn die Liebe und Zuwendung, die er von einer von ihnen erhielt, machen ihn offen für ihre Nöte. Eine berührende Geste, denn Kroberto hat von seinen Tanten nichts als Feindseiligkeit und Ablehnung zu spüren bekommen. Dass er dabei so ein friedliches Reptil geblieben ist, beeindruckt. Diese Sanftmut spiegelt sich auch in den zeitlos-schönen Illustrationen von Antonella Bolliger-Savelli wider: Der oftmals treuherzige Blick des Krokodils lässt die kleinen Betrachter vergessen, dass es sich um ein zahnbewehrtes Raubtier handelt. Die doppelseitige Gestaltung teilt sich jeweils in eine Textseite und eine colorierten Bildseite auf. Die Bilder von Antonella Bolliger-Savelli sind mit dichtem Farbauftrag aufgebracht. Mit ihren warmen, teilweise auch erdigen Farbtönen vermitteln ihre Kompositionen, die im Hintergrund zahlreiche Landschaftsimpressionen zeigen, eine beruhigende und gleichermassen anregende Atmosphäre. Das Huhn und im weiteren Verlauf das Krokodil sind stets im Vordergrund und damit der Mittelpunkt der ganzseitigen Illustrationen.
Durch die leichte, eingängige Sprache werden auch heute noch Kinder direkt angesprochen und es ist gerade ihre Schlichtheit, die berührt. Ohne viele Worte versteht Elisabeth Stiemert es, ihre Leser auf die Seite des kleinen Krokodils zu bringen, das doch nur versucht, irgendwie gemäß seinen natürlichen Bedürfnissen zu leben. Die Ungerechtigkeit und die Intoleranz prangert Elisabeth Steinert nicht mit erhobenem Zeigefinger an, sondern lässt ihren kleinen Leser den eigenen, aber durchaus emotionalen Blick auf die Geschehnisse. Durch die spannenden und dramatischen Höhepunkte sind die Kinder schnell im Geschehen und identifizieren sich mit Mutter Huhn und in besonderem Masse mit dem Krokodilkind; sie lernen aus dessen Sicht kennen, was Ausgrenzung bedeuten kann. Kroberto kennt nur Gackita als seine Mutter, die ihm in ihrer unerschütterlichen Mutterliebe treu und standhaft zur Seite steht. Ein Gleichnis, das Kinder auch in der Beziehung zu ihren Eltern kennen und erstreben.
Elisabeth Stiemert hat zahlreiche Bücher geschrieben und übersetzt. Dafür wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Seit dem 20.08.2007 ist nun wieder eine Neuauflage des Klassikers beim Parabel Verlag im Handel erhältlich.
Fazit:
Eine zeitlose und berührende Fabel zum Thema Anderssein und Toleranz. Das ausgezeichnete Buch vergangener Tage vermag auch heute noch zu überzeugen. Die für eine Fabel typische Wendung der Geschichte ist einfallsreich, positiv und überraschend.
Antonella Bolliger-Savelli, Parabel
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