Ein wichtiges Bilderbuch, das die Bedeutung des gesellschaftlichen Miteinanders auf den Punkt bringt
Die Lachmöwe Vagabundus liebt es, mittendrin zu sein: Das Getümmel auf dem Hamburger Fischmarkt ist genau das Richtige für ihn. Zusammen mit seiner Möwenfreundin Emma beobachtet er das Treiben der Menschen, albert mit dem Flaschensammler Bodo herum oder staubt bei der Fischverkäuferin Katja ein paar Köstlichkeiten ab. Doch mit der Zeit wird der Fischmarkt leerer und leerer. Die Menschen ziehen sich in ihre Häuser zurück und das pulsierende Leben in der Stadt erlischt. Zurück bleiben eine traurige Stille und eine Unmenge an Plastik und dreckigem Müll.
Zusammen mit den anderen Möwen schmieden Vagabundus und Emma einen Plan. Es soll Plastikflaschen, Tüten, Masken und Verpackungen aller Art regnen. Ein Plastikregen, der den Stadtmenschen das Offensichtliche vor Augen führt, nämlich ihre Aufgabe, füreinander und die Umwelt zu sorgen.
„Die ganze Stadt wirkte wie eine Geisterstadt mit unendlich vielen bunten Lichtern und Fenstern, hinter denen sich das eigentliche Leben abspielte.“
Worüber man bei der Lektüre dieser Geschichte wohl als erstes stolpert, ist die unglaubliche Menge an verschiedenen Möwenarten, die den Vorsatz des Buches schmücken. Gezeichnete Polaroidaufnahmen einer Andenmöwe, Rotschnabelmöwe, Heermannmöwe, Zwergmöwe und zahlreichen anderen öffnen die Augen für deren unbekannte Vielfalt.
Von den einen geliebt, von den anderen als nerviges Federvieh abgestempelt: Die Möwen haben es auch in dieser Geschichte nicht leicht. Doch Vagabundus und Emma sind die nicht die einzigen, über die sich die Menschen beschweren, denn auch die laute Fischverkäuferin Katja und der nicht besonders gut riechende Flaschensammler Bodo sind in ihren Augen zu viel und passen nicht ins Gesamtbild. Dabei verleihen gerade sie dem hastigen, alltäglichen Treiben auf dem Fischmarkt ein Gesicht.
Der Autor und Philosoph Jörg Bernardy lenkt den Blick auf gleich zwei zentrale Aspekte unseres gesellschaftlichen Miteinanders: Den Zusammenhalt, die Fürsorge und den Respekt füreinander einerseits sowie die Verantwortung für unseren Planeten andererseits. Als sich die Stadtmenschen allesamt in ihre Häuser und Wohnungen zurückziehen, um sich nur noch mit ihren Smartphones zu beschäftigen und Essenslieferungen entgegenzunehmen, bleiben Bodo, Katja und die Möwen zurück. Mit ihnen der ganze Müll, der nun noch offensichtlicher zutage tritt.
Die Illustrationen von Daria Kuvakina haben einen enormen Wiedererkennungswert. Insbesondere die skurrilen Figurenzeichnungen mit den ungleichen Körperproportionen fallen auf. Die Köpfe wirken meist viel zu klein für die großen und schlaksigen Arme und Beine. Während sich gerade die Gesichter der Stadtmenschen in der Masse sehr ähneln, haben Bodo und Katja mehr Profil, mehr Individualität und Schärfe. Einige Doppelseiten gleichen schon fast Wimmelbildern, auf denen es so viele kleine, aber wichtige Details zu entdecken gibt.
Eine einfache und klare Message
Auffallend und positiv hervorzuheben ist der sehr eingängige und verständliche Schreibstil. Kurze Sätze, ohne Ausschweifungen und große Erklärungen, bringen das Wesentliche auf den Punkt. Natürlich ist die Lösung der vielfältigen Probleme, sowohl des einst mangelnden Umweltbewusstseins als auch des verloren gegangenen Interesses füreinander, sehr vereinfacht dargestellt. Aber ein Bilderbuch darf und soll das. Die Geschichte bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte, um mit Kindern über zentrale Themen unserer Zeit ins Gespräch zu kommen. Mit einem Happy End, das Hoffnung macht und zeigt, was alles möglich wäre. Vielleicht könnten die Möwen auch in der Realität für einen Plastikregen sorgen?
Fazit
Ein Bilderbuch, das das gemeinsame Miteinander feiert. Ohne erhobenen Zeigefinger, denn den braucht es eigentlich gar nicht. Die Botschaft ist so simpel, gerät aber leider immer wieder in Vergessenheit.

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