Die Bibliothek der wahren Lügen
- Coppenrath
- Erschienen: Februar 2025
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übersetzt von Elisabeth Leuthardt; Hardcover, 302 Seiten
ISBN: 9783649648505


Eine Geschichte in der Geschichte über die Kraft der Fantasie
Es ist der letzte Schultag vor den großen Ferien und noch dazu sein Geburtstag: Eigentlich hat Oskar gleich zwei Gründe zu feiern. Aber warum sollte er glücklich sein, wenn seine fiesen Mitschüler ihn mit Wasser- und Weinbomben bewerfen und zuhause der unausstehliche neue Freund seiner Mutter verkündet, nun bei ihnen einziehen zu wollen. Für Oskar gibt es schon seit einiger Zeit nur noch einen Ort, an dem er sich so richtig wohlfühlt: Sobald er in die Welten seiner Lieblingsbuchreihe abtaucht, spürt er das Leben in sich.
Und dann, wie aus dem Nichts, bekommt er eine Einladung zu einem Schreibworkshop seines großen Idols Simon Bruma. Die Ferien erstrahlen plötzlich in viel helleren Farben. Als seine Mama ihr Okay gibt, steht dem Abenteuer nichts mehr im Wege. Allerdings gingen Oskars Vorstellungen in eine ganz andere Richtung: Niemals hätte er vermutet, die nächsten Wochen in einem düsteren, von Monstern bewohnten Haus, in Gesellschaft des sich als etwas seltsam entpuppenden Autors Bruma sowie seiner unsympathischen Tochter November zu verbringen. Zumal Bruma anscheinend ganz andere Absichten hat, als die Ausschreibung es vermuten ließ. Oskar soll eine eigene Geschichte schreiben - mit dem Ziel, Novembers Leben zu retten.
„Ich zog die Gesellschaft von Figuren, die gar nicht wirklich existierten, der von echten Menschen vor. Die Charaktere würden ihr fantastisches Gefängnis aus Papier nie verlassen - und deshalb wusste ich genau, woran ich war.“
Der spanische, in Berlin lebende Autor Jesús Cañadas hat eine aufregende Fantasygeschichte geschaffen, die die Liebe zur Literatur feiert. Mithilfe von Notizheft und Füller, durch die Kraft der Worte und die Grenzenlosigkeit der Fantasie soll November gerettet werden. Niemand hat dies bisher geschafft, alle Hoffnungen liegen auf Oskar. Und so reisen wir mit ihm und November immer wieder in andere Sphären - eine Geschichte in der Geschichte. Dies stört jedoch nicht den Lesefluss, denn die verschiedenen Welten lassen sich durch ihre eigenen Schriftarten eindeutig voneinander unterscheiden.
Es sind nicht irgendwelche Figuren, die Oskar in seiner eigenen Geschichte zum Leben erweckt. Vielmehr sind es genau die Charaktere, die er aus Brumas geliebten Romanen kennt. Sie alle erleben mit November und Oskar nun neue Abenteuer. Sie begeben sich auf die Suche nach der wahren Lüge, denn nichts anderes sind Geschichten. Lügen. Was Brumas Tochter genau für eine magische Krankheit hat, bleibt die ganze Zeit über unklar und wird erst am Ende gelüftet. Sicher ist nur: Anscheinend kann diese nur durch eine ganz besondere Geschichte geheilt werden. Und dafür braucht es einen talentierten Erzähler wie Oskar.
Auffallend ist besonders die bildliche Sprache der Erzählung. Mit den Augen von Oskar sehen wir Kleinigkeiten des Alltags in einem vollkommen anderen Licht. In den letzten Jahren fühlte er sich von seiner Mutter ein Stück weit entfremdet, was Oskar beispielsweise immer wieder mit einer dicken Eisschicht vergleicht, die seine Mutter umgibt. Er kann einfach nicht zu ihr durchdringen. Kleine Anmerkungen Oskars am Text („Damals dachte ich…“ oder „Das sagte ich eher…“), die sich typographisch vom Rest absetzen, verleihen der Geschichte sowie dem Protagonisten außerdem noch mehr Authentizität und eine Spur Humor.
Eine unterschwellige Wehmut begleitet den Text
Oskars Geschichte strotzt an vielen Stellen nur so vor Wortwitz, ist dabei aber keineswegs oberflächlich und leicht. Der Junge hat in seinem Leben schon so viele Rückschläge erleben müssen: Den Tod seines Vaters, den unausstehlichen neuen Freund seiner Mutter und die vielen Mobbingattacken an der Schule. Es ist kein Wunder, dass er sich lieber in fantastische Welten flüchtet.
Trotz aller positiven Aspekte gibt es doch einen klaren Kritikpunkt: Das viel zu schnelle Ende. Eigentlich hätte es für Oskars Welt noch eine Fortsetzung gebraucht, denn auf den letzten hundert Seiten überschlagen sich die Ereignisse und lassen zu wenig Raum für letzte Erläuterungen. Zumal wir es mit einem ergreifenden Schluss zu tun haben, der die Leserinnen und Leser emotional fordert. Alles in allem wäre also noch mehr drin gewesen, um das Gesamtbild abzurunden.
Fazit
Ein Fantasyroman, der von Spannung bis Humor alles im Gepäck hat. Die bildhafte Sprache und Tiefgründigkeit der Geschichte berühren auf vielerlei Weise. Sehr gerne empfohlen.

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