Für Kinder eher schwer zu fassen
Nach der anstrengenden Gartenarbeit gönnt sich Jacominus ein kleines Nickerchen im Schatten des Kirschbaums. Als er erwacht, kann er sich nicht mehr genau an seinen Traum erinnern. Doch eine Sache weiß er: Es muss etwas Wunderbares gewesen sein. Gemeinsam mit seinem Freund Polikarp überlegt er fieberhaft, wohin seine Erinnerungen ihn getragen haben könnten. Dabei kommen sie ins Gespräch über aufregende, emotionale und halb vergessene gemeinsame Erlebnisse.
Jacominus und Polikarp denken an eine Bergwanderung, bei der sie über ein winziges Insekt philosophiert haben. An den Tag, an dem es Jacominus nicht so gut ging und erst ein gemeinsamer Café-Besuch mit Erdbeersaft ihn aufheitern konnte. Sie denken an das Lied, das sie als Soldaten bei der Abfahrt aus dem Hafen gesungen haben. An den Witz des alten Soldaten ohne Gewehr, welcher für einen ganz besonderen Moment im Schützengraben gesorgt hat. Und an den köstlichen Apfelkuchen von Beatrix. Doch all diese Erinnerungen sind nicht die wunderbare Sache, auf die Jacominus hinauswollte. Bis sie gedanklich zu dem Tag kommen, an dem ihre Freundschaft begann …
„Naja, ich würde sagen, es war eher klein, scheint mir. Das heißt, es war etwas, das in den Augen aller anderen sicher unbedeutend erschiene, aber für uns beide war es eine große Sache. Daran erinnere ich mich!“
Jacominus Gainsborough, der kleine Kaninchenjunge, ist mit seiner vierten Geschichte zurück. Und auch diesmal hat er ein kleines Meisterwerk der Poesie und Illustration im Gepäck. Gemeinsam mit seinem Freund, dem Stier Polikarp, ergründet Jacominus den unbezahlbaren Wert von Freundschaft und gemeinsamen Erinnerungen. Das Buch führt uns vor Augen, welche große Wirkung kleine, unscheinbare Dinge im Leben manchmal haben. In diesem Fall ist es eine Murmel, die Jacominus und Polikarp einst zusammengebracht hat. Eine Sekunde, ein Sturz, ein Wendepunkt im Leben der beiden. Aus etwas Schmerzhaftem entstand etwas ganz Wunderbares. Ein Erlebnis, das in der Rückschau ihre Freundschaft besiegelt und für unzählbar besondere Momente gesorgt hat.
Die außergewöhnlichen Zeichnungen der französischen Illustratorin und Autorin Rébecca Dautremer erinnern auch hier wieder an detailgetreue Fotografien, an eine Art Stillleben. Es sind Erinnerungen an Momente, die eine wahnsinnig bedeutsame Atmosphäre erzeugen. Jacominus und Polikarp strahlen eine ungemeine Ruhe aus, wie sie da auf den kleinen Gartenstühlen sitzen und gemeinsam ihren Erinnerungen aus der Vergangenheit nachhängen. Nicht selten ist der Grat zwischen Fantasie und Realität dabei ein sehr schmaler. Die menschlichen Züge der Tierfiguren sind unverkennbar und machen es uns leicht, die dargestellten Situationen und Gefühle nachzuempfinden.
Für Kinder eher kein Pageturner
Mit „uns“ meine ich dabei jedoch in erster Linie die erwachsenen Leserinnen und Leser. Für Kinder könnte es schwer sein, einen Bezug zur eigenen Lebensrealität herzustellen. Da ist zum einen die Zeit, in der die Geschichte spielt, scheinbar irgendwann im 20. Jahrhundert. Erinnerungen an die gemeinsame Zeit im Schützengraben, auch wenn sie ohne explizite Kampfhandlungen auskommen, sind für ein jüngeres Publikum wohl schwer zu greifen. Auch die Sprache und der Umgang miteinander erfordern ein hohes Maß an Vermittlung. Das bedeutet nicht, dass es für Kinder der vom Verlag angezeigten Zielgruppe der 5-Jährigen ungeeignet wäre, jedoch werden die genannten Punkte sowie die fast ausschließliche dialogische Erzählform und teils strengen Mimiken der Tiere viele von ihnen nicht zum Weiterblättern animieren. Um mit Kindern über die Bedeutung von Freundschaft ins Gespräch zu kommen, würde man vermutlich erst einmal zu anderen Titeln greifen. Alles in allem richtet sich dieses Bilderbuch eher an Erwachsene als Lebensweisheit für das eigene Bücherregal oder als Geschenk für liebe Freundinnen und Freunde.
Fazit
Für Kinder mag dieses Bilderbuch schwer zu fassen sein, für Erwachsene ist es ein wahres Kunstwerk.

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