Dieser Roman wird nicht nur die jungen Leserinnen und Leser zum Nachdenken über Künstliche Intelligenz anregen
Wenn Mama und Papa mal wieder unterwegs sind, passen die Gurken auf Karla und ihren kleinen Bruder Finn auf. Gurken, so nennen die beiden ihre ganze Mannschaft an Babysittern. Ihre Eltern telefonieren dann hin und her und wenn Karla und Finn Glück haben, kommt am Ende eine Gurke, die sie mögen. Nach dem Umzug in die große Stadt nervt die ganze Babysitterei aber noch mehr als vorher, findet Karla. Außerdem kriegen Mama und Papa es häufig auch einfach nicht auf die Reihe, sodass am Ende zwei Gurken zum Aufpassen vor der Tür stehen. Eine Lösung muss her. Dass die Familie diese jedoch auf der Robotermesse findet, hätte vorher wohl auch niemand gedacht. Doch da steht sie vor ihnen: Marie Bot, ihr Kindermädchen zum Aufladen.
Außer Finn steht die gesamte Familie Kalliske der ganzen Roboter-Sache sehr skeptisch gegenüber. In Marie wehrt sich alles dagegen, dass zukünftig eine Maschine die Verantwortung für sie tragen soll. Warum können Mama und Papa nicht einfach weniger arbeiten? Doch das steht wohl außer Frage, denn schon bald ist es beschlossen: Marie Bot wird ihre vierwöchige Probephase bei ihnen durchlaufen, danach wird entschieden. Es ist schon ein bisschen seltsam, als der Karton tatsächlich zuhause ankommt, der Schalter am Kinn gedrückt wird und Marie sich für die nächsten zwei Tage in ihrer Wohnung orientiert, alles Mögliche scannt und speichert. Für Karla ist klar: Damit will sie nichts zu tun haben. Sie wird Marie so gut es geht ignorieren.
„Erwachsene sind wirklich komische Leute. Da kaufen sie sich einen vollautomatischen Babysitter und dann heulen sie, weil er so gut funktioniert?!“
Marie kann einfach alles, und das auch noch gleichzeitig. Während sie in Perfektion eines ihrer 14.000 gespeicherten Rezepte kocht, räumt sie nebenbei schon mal die Küche auf. Essen muss sie ja ohnehin nicht, nur hin und wieder an die Steckdose. Bei Spaghetti Carbonara und Pizza mit Marshmallows bröckelt selbst Karlas Widerstand Stück für Stück. Aber diese ständige gute Laune nervt doch unglaublich. Wie kann man rund um die Uhr so fröhlich sein? Gemeinsam mit ihrem Bruder versucht Karla deshalb, die superschlaue Marie mal ein bisschen aus dem Konzept zu bringen.
„Marie Bot“ ist der Debütroman der in Hamburg lebenden Autorin Liza Szabo. Auf wunderbare Art und Weise schafft sie es, das Thema Künstliche Intelligenz in einen alltagsnahen, authentischen Rahmen zu integrieren. Die Geschichte überzeugt durch ihren Humor, den nüchternen Blick Karlas auf die Dinge und die allzu liebenswürdigen Figuren. Hinter dem flotten und abgeklärten Schreibstil aus Karlas Perspektive versteckt sich jedoch ein ganz anderes Gefühlschaos: Die 11-Jährige leidet eigentlich sehr darunter, dass ihre Eltern so wenig da sind. Die Eingewöhnung in ihrer neuen Schule setzt ihr zu, vor allem die anstehende Klassenfahrt bereitet ihr Bauchschmerzen. Abends kann sie oft nicht einschlafen, sodass sie auf besagter Reise letztlich im Zimmer ihrer Lehrerin schlafen soll. Ein Glück, dass Marie zusätzliche Not- und Rettungsfunktionen besitzt, mit denen wirklich niemand gerechnet hätte.
Unsere Babysitterin von morgen?
Was hier als kurios und bisweilen lustig beschrieben wird, könnte tatsächlich ein realistisches Zukunftsszenario sein. Ein Roboter als Babysitter? Manche Eltern würden sich dies vermutlich wünschen. Aber wie weit wollen wir gehen? Wie viel Verantwortung sind wir bereit, an eine KI abzugeben? Wollen wir das überhaupt? Diese Geschichte bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte, um mit Kindern ins Gespräch zu kommen. Manchmal mag es dabei vielleicht auch gar nicht um den Roboter, sondern die (wenige) gemeinsame Zeit miteinander gehen. Ein Thema, das Karla sehr beschäftigt.
Nach und nach erweicht Marie Karlas Herz, hat sie doch bei ihr das Gefühl, dass diese immer auf der Seite der beiden Kinder steht. Von den Erwachsenen wäre wohl niemand auf den Baum geklettert, um den verhedderten Drachen zu befreien. Und wer spielt bitte stundenlang mit Finn UNO, lässt sich, ohne die Nerven zu verlieren, von ihm mit Fragen löchern oder kann sich für alle möglichen Ausflüge und Aktionen erweichen? Was für Karla anfangs eine bloße Maschine war, entpuppt sich zu einem richtigen Familienmitglied. Neugierig und mitfühlend analysiert Karla Maries Dasein als Roboter: Ist Marie gerne bei ihnen? Hat sie eigene Gefühle? Was ist gespielt und was ist echt? Mit der Zeit lernt sie die Mimik zu verstehen, wenn Marie etwas in ihrer Datenbank abruft. Dann wird sie ganz ruhig und wirkt in sich gekehrt. Hin und wieder sind die darauffolgenden Entscheidungen jedoch nicht ganz so routiniert, wie sich vermuten ließe.
Ein Schlichtungsversuch zwischen streitenden Kindern endet so fast in einer Anzeige wegen Körperverletzung. Wunderbar beispielhaft wird den jungen Leserinnen und Lesern so vor Augen geführt, dass die Nutzung von Künstlicher Intelligenz nicht zuletzt auch mit weitreichenden Fragen verbunden ist: Wer trägt die Verantwortung, wenn etwas passiert? Der Hersteller? Die Nutzerinnen und Nutzer? Die Maschine selbst? Vor allem den Erwachsenen wird dabei nicht selten der Spiegel vor die Nase gehalten, wenn sie zur Abwechslung mal keine schnellen Antworten parat haben.
Fazit
Ein überzeugendes Debüt, welches das Thema Künstliche Intelligenz sowohl humorvoll, informativ und tiefgründig aufarbeitet. Sehr gerne empfohlen!
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