Ein gelungenes und facettenreiches Bilderbuch, das durch tolle Bilder und eine wichtige Botschaft überzeugen kann.
„Wann bin ich endlich groß?“ Eine Frage, die wahrscheinlich so manches Kind seinen Eltern stellt, wenn es mal wieder frustriert feststellen muss, dass etwas noch nicht möglich ist oder nicht funktioniert, weil es noch zu klein ist. Aus Erwachsenensicht geht das Großwerden oft viel zu schnell und auch einige Kinder müssen leider viel zu früh die Erfahrung machen, schon als groß angesehen zu werden und von all den Erwartungen, die damit einhergehen, überfordert zu sein. So geht es auch dem kleinen Mädchen in „Groß“, bei dem zunächst jeder kleine Meilenstein zum Großwerden mit viel Lob gefeiert wird, bis sich die Sicht der Umwelt plötzlich ändert…
Anders als die anderen
Wenn ein Kind geboren wird, freuen sich eigentlich alle über das niedliche Baby. Jeder kleine Fortschritt wird gelobt. Wird der Teller aufgegessen, freuen sich die Eltern, wenn das ABC aufgesagt oder gezählt werden kann, sind alle ganz stolz. So geht es auch einem kleinen Mädchen, das glücklich immer größer wird. Von ihrer Umwelt wird sie als mitfühlend, einfallsreich, liebevoll, anmutig, flink, schlau oder auch kreativ angesehen. Besonders viel Spaß macht ihr das Tanzen. Doch als sie in die 2. Klasse kommt, ändert sich plötzlich die Sicht der Erwachsenen und der anderen Kinder. Steht sie mit ihren Mitschüler*innen in einer Reihe, fällt sie durch ihre Größe auf, auch vom Weihnachtsmann bekommt sie zu hören, dass sie ein großes Mädchen sei. Als sie dann auch noch in der Kinderschaukel stecken bleibt, aus der die anderen Kinder mühelos hinauskommen, wird sie von allen anderen nur noch als zu groß und dick angesehen. Vor allem ihre Lehrerin, die ihr aus der Schaukel hilft, die natürlich bei der Aktion auch noch kaputt geht, macht ihr große Vorwürfe.
Von nun an ändert sich für das kleine Mädchen alles. Anstatt sich einfallsreich, mitfühlend oder anmutig zu fühlen, wie es früher der Fall war und wie es von ihrer Umgebung widergespiegelt wurde, fühlt sie sich bewertet, unpassend und bloßgestellt und zieht sich immer mehr zurück. Ihre Kleidung wird grau, damit sie weniger auffällt, beim Ballett nimmt sie nur noch unbedeutende Nebenrollen ein, bei denen sie im Hintergrund bleiben kann.
Traurig zieht sie sich zurück. Ob sie einen Ausweg finden wird, damit sie sich endlich wieder selbst lieben und glücklich werden kann?
Bodyshaming und Adultismus
Welche Macht Worte haben, wird oft unterschätzt. Gerade bei Kindern wird oft gesagt, sie sollen sich nicht so anstellen, es war ja nicht so gemeint oder auch, dass sie nicht so empfindlich sein sollen. Gleichzeitig ist die Kindheit die Zeit, in der sich Selbstwertgefühl und Selbstliebe entwickeln. Wird dabei ständig negativ bewertet, das Gefühl vermittelt, die Erwartungen nicht zu erfüllen und im Vergleich zu anderen „schlechter“ zu sein, kann das gravierende Auswirkungen auf die Persönlichkeit haben. Wie sich dies anfühlen kann, erzählt Vashti Harrison autobiografisch angehaucht in ihrem Bilderbuch „Groß“. Im Nachwort geht sie darauf ein, wie schädlich Bewertungen und Vorurteile sein können und welche bleibenden Auswirkungen diese haben können.
Ihre Geschichte richtet sich an Kinder ab 3 Jahren, ist sowohl optisch als auch inhaltlich relativ alterslos und kann auch gut in Kindergruppen mit älteren Kindern eingesetzt werden, wenn es um Themen wie Mobbing, Ausgrenzung oder Vorurteile geht.
Besonders interessant für Erwachsene ist der Bereich Adultismus, der in unserer Gesellschaft relativ verbreitet ist. Nicht nur, dass unausgeglichene Machtverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern, auch die Erwartungshaltung an Kinder zählt zu diesem Thema. Zwar sollen Kinder Kind sein und spielen dürfen, gleichzeitig wird von ihnen früh erwartet, dass sie sich in vielen Bereichen wie Erwachsene verhalten, nicht laut und angepasst sind und funktionieren. Welche Auswirkungen dies hat, zeigt die Autorin anhand ihrer Geschichte und auch das Nachwort an die Erwachsenen sensibilisiert hierzu.
Besonders gelungen sind die Illustrationen, die im Fokus der Geschichte stehen und im Vergleich zum Text den Hauptteil der Botschaft tragen. Die Gefühle des kleinen Mädchens und das Verhalten der Mitmenschen lassen sich gut erkennen, sodass es schon jüngeren Kindern leichtfällt, sich in das Mädchen hineinzuversetzen.
Fazit
Ein gelungenes Buch, das auf behutsame und einfühlsame Weise viele Facetten von Diskriminierung und Ausgrenzung thematisiert. Durch das Happy End macht es gleichzeitig Mut und zeigt, dass es Wege aus dem Abseits gibt, sodass es sich bestärkend sowohl für kleinere als auch größere Kinder eignet.
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