Paula und die Leichtigkeit des Seins
- Bloomsbury
- Erschienen: Mai 2007
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Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*. Paula ist ein rundes, pausbackiges Kind, das unter ihrer molligen Figur leidet. Niemand lästert über ihre Pfunde und doch spürt das Mädchen, dass sie anders als die anderen in ihrer Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt ist. Zum Glück besucht Patenonkel Hiram die Familie und zeigt, wie man einem Menschen, den man liebt, Selbstvertrauen und Lebensfreude zurückgeben kann.
Als Paula sechs Jahre alt ist, erscheint ihr das Leben unkompliziert und stinknormal. Doch in ihrem siebten Jahr wird sie dicker und dicker. Die üblichen Erwachsenensprüche helfen dem Mädchen nicht aus dem seelischen Tief heraus. Zu allem Unglück sind auch noch fast alle Familienmitglieder dünn wie die Bohnenstangen. Auch wenn die Angehörigen keine Vorträge über die Folgen des Übergewichts halten, nennen sie Paula ";Pummelchen" und hoffen vielleicht doch insgeheim, dass sie bald abnimmt. Paula fühlt sich schwer, denn auch das Wasser oder sogar das Tote Meer haben sich gegen sie verschworen. Regelmäßig geht sie unter wie eine bleiernde Ente. Bevor die Geschichte beginnt, sieht man schon eine Zeichnung von einem dicken Kind, dass sich wie ein Gespenst unter einem Tuch versteckt. Die ausufernden Konturen allerdings sind gut sichtbar. Nur in der hochgewachsenen Wiese kann Paula sich verbergen und sie selbst sein. Dann kündigt sich nach zwei Jahren auch noch Paulas Patenonkel Hiram aus Australien an. Nirgendwo kann sich die unbewegliche Paula verstecken, die sich so für ihre Figur schämt. Der Onkel findet sie und ist einfach nur glücklich, sein Patenkind endlich zu sehen. Paula spürt die Ehrlichkeit und springt vor Glück in die Arme des Onkels. Vor Freude wirft er sie hoch in die Luft, denn er hat gehört, dass die anderen männlichen Familienmitglieder alle ein Kreuzleiden haben. Wie durch ein Wunder überwindet Paula die Erdanziehungskraft und schwebt wie ein bunter Luftballon mit den Wolken in den blauen Himmel hinein.
In der Luft ist Paula endlich in ihrem Element. Der Wind schaukelt sie und sie kann sich frei bewegen, ohne die Schwere des Bodens zu spüren. Wie Italo Calvinos Baron in den Bäumen weigert sich Paula trotz all der Bitten ihrer weltweit verzweigten Familie auf die Erde zurückzukehren. Das Wetter und den Jahreszeitenwechsel verkraftet sie gut, kalorienreiches Essen, aber auch Gemüse und Obst steigen an einem Ballon befestigt nach oben.
Paula liest, schwänzt die Schule, träumt mit den Bäumen und lernt von der Natur alle wichtigen Dinge. ";Und wer Bücher und den Himmel hat, der kann den ganzen Tag nur lesen und schauen, und es wird nie langweilig."
Als die Fernsehreporter in einem Interview genau die dummen Fragen stellen, die Paula so satt hat, dreht sie der Kamera kurzerhand den Rücken zu.
Nach einem Jahr schwebt Paula immer noch über dem Haus ihrer Eltern. Langsam wird es doch etwas langweilig. Doch kaum gedacht, steht schon ein durchs Internet gut informierter, dickleibiger Junge aus Schweden unter Paula und bittet sie um ihre Hilfe. Nicht lang und viele dicke Kinder aus aller Welt schweben unter den Wolken federleicht dahin. Sie streiten und vertragen sich, lesen sich Bücher vor und reden miteinander und niemand vermutet, dass diese sanfte Geschichte irgendwann zu Ende sein könnte.
";Die Wahrheit ist auch, dass das Leben voller Überraschungen steckt und die Langeweile eines Tages aufhört langweilig zu sein, während die Einsamkeit ihre Sachen packt und zurückkehrt in die Einöde."
Zoran Drvenkar kann wunderbare Sätze schreiben und wenn er sich bedrückten Kindern zuwendet, dann wird seine fast philosophische Geschichte über ein dickleibiges Mädchen federleicht und unbeschwert. Paulas Probleme haben mit der ";unerträglichen Leichtigkeit des Seins" Milan Kunderas wenig zu tun, obwohl man natürlich beim Titel sofort an den bekannten Roman denkt. Die Protagonistin hat ganz im Gegenteil mit ihrem Gewicht zu kämpfen und der Erdenschwere, die sie gnadenlos im doppelten Sinn nach unten zieht. In sprachlich auf das Wesentliche reduzierten, fast lyrischen Sätzen fängt Zoran Drvenkar den peinigenden Kummer eines Mädchens ein, zeigt ihre Verletzlichkeit, ihre Traurigkeit, Einsamkeit und Isolation. Um so größer ist dann die Freude an der überraschend gewonnenen Freiheit und die Erleichterung darüber, nicht länger allein zu sein. Die Handlung löst sich aber nicht als Traumgespinst auf und alles ist wie immer; sie wird als reales und fantastisches Gedankenmodell zugleich erzählt.
Zoran Drvenkars Erzählstil lässt die Geschichte zum Vorlesevergnügen werden, aber auch dank der einfachen Sätze zum Lesespaß für Kinder ab 8 Jahren.
Der bekannte Illustrator Peter Schössow findet im Wechsel der Perspektiven die passenden Bilder und kleidet seine Figuren wie so oft am Computer ein. Diesmal verzichtet er auf die perfekten, kühlen Töne und arbeitet eher mit sanften, weichen Blau- und Orangetönen. Die Hauptfigur Paula bildet das Zentrum und so taucht sie auch in fast jedem Bild des Buches auf.
Fazit:
Zoran Drvenkar schafft mit seiner fantastischen, wie optimistischen Geschichte sehr viel Freiraum für die Vorstellungskraft seiner Leser und vor allem ausreichend Gesprächsstoff beim gemeinsamen Lesen oder Vorlesen. Eine befreiende Geschichte über ein dickes Kind ohne Diätvorschläge oder sozialkritische Erklärungsversuche, das ist in Anbetracht aktueller Statistiken mal eine poetische, unverkrampfte Alternative.
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