Innerlich bin ich aus Lakritze

Lilou hat zwei Zuhauses: Eines in der Wohnung in der Bornholmer Straße und eines im Café ihrer Mutter direkt gegenüber ihrer Schule. In ihrer Schule fühlt sich das Mädchen nicht besonders wohl. Sie ist eine Einzelgängerin, die ein großes Geheimnis hat, dass sie unter allen Umständen für sich behalten möchte. Neben ihren unterschiedlich farbigen Augen, die Lilou so gar nicht verstecken kann, tobt in ihrem Kopf oftmals ein Sturm von Eindrücken. Ihr „Mischimaschi“ vermischt Gerüche, Farben und Geschmäcker und führt dazu, dass sie oftmals erst einmal alles begutachten und ordnen muss. In ihrem Kopf und mit den unzähligen Listen, die sie anlegt.

Die Beschaulichkeit der kleinen Familie wird jäh gestört, als sich Lilous bis dato unbekannter Großvater verletzt und zu ihnen in die kleine Wohnung ziehen muss.

„Wir waren mit dem alten Mann allein. Mit seinen abgewinkelten Gipsarmen sah er aus wie eine Marionette, mit der keiner mehr spielen will. Ich hatte das Gefühl, dass sich in meinem Mund Sägespäne sammelten. Mein Großvater schmeckte ziemlich holzig.”

Mutter und Großvater hatten jahrelang keinen Kontakt, sodass Lilou zum ersten Mal jemanden aus ihrer Familie kennenlernt – und das gleich auf engstem Raum. Auch ihren Vater kennt sie nicht und sie hat bis jetzt auch nie jemanden vermisst. Als plötzlich ein Fremder auftaucht, der ihr in der S-Bahn hilft und wieder verschwindet, wird sie fast magisch von ihm angezogen. Sie will ihn wiedertreffen und hat nur die eine Fährte: Ein hellblaues Lüftchen, das ein wenig nach Mohnkuchen schmeckt. Gemeinsam mit ihrem Klassenkameraden Onno, der ganz langsam zu einem Freund wird, geht sie auf die Suche und das bleibt nicht das einzige Abenteuer der beiden.

Voller magischer Verbindungen

Lilou nimmt die Welt und die Menschen in ihr auf vielfältigste Weise wahr. In ihrem Kopf verbinden sich Farben mit eigentlich farblosen Dingen sowie Gerüche und Geschmäcker mit Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen. Das ist ganz schön anstrengend, sodass sie ihr hellblaues Heft benutzt, um für Ordnung zu sorgen. Diese Listen hat die Autorin Katja Ludwig auch in ihre Geschichte eingeflochten, sodass die Leser*innen einen genauen Einblick in Pläne für Wohnungen, Räume und Umgebungen und vor allen Dingen in Lilous ziemlich spannende und genaue Assoziationen zu Zahlen, Menschen und Dingen bekommen. So riecht und schmeckt zum Beispiel eine Lüge nach faulen Äpfeln, ihre Mathelehrerin leuchtet schwefelgelb und Lilou ist innerlich aus Lakritze und hat immer einen Salmiakgeschmack im Mund, wenn sie wütend ist, Angst hat oder sich ärgert. Meist in Kombination mit ihrer schwefelgelben Lehrerin, die recht offen Lilou ihr Unverständnis entgegenschleudert.

Lilou ist diese Synästhesie peinlich und außer ihrer Mutter weiß niemand davon. Dadurch grenzt sie sich selbst ab und erscheint den anderen Kindern eher auch etwas verschroben. In der Geschichte verbindet sich aber Lilous Sichtweise zu wundervollen Wortkombinationen, die auch in den Leser*innen ganz fantastische Ideen auslösen können. Man kann auch gut verstehen wie anstrengend so eine überbordende Wahrnehmung sein kann, vor allem, wenn man nicht darüber spricht und sich mit niemanden austauschen kann oder möchte.

Das Auftauchen ihres Großvaters bringt etwas Licht in ihre wenig vorhandene Familiengeschichte und was vorher kein Thema war, entwickelt sich zu etwas, was plötzlich wichtiger wird.

Auch ihre aufkeimende Freundschaft zu Onno ist ganz vorsichtig und mit Gefühl geschildert und verbindet sehr schön und witzig zwei Familienkonstellationen, die ganz spannend zu lesen sind.

Fazit

Innerlich bin ich aus Lakritze ist ein Kinderbuch voller fantasievoller und völlig nachvollziehbarer Wortkombination, die ganz automatisch dazu anregen, selbst kreativ zu werden. Familie und Freundschaft sind neben diesem besonderen Blick auf die Welt die großen Themen dieses tiefgründigen Kinderbuchs, das mit viel Empathie und Wärme erzählt ist.