Trau niemals einem Tiger

In Hamra brodelt es. Sehr!

Durch die blöde Pandemie arbeitet ihre Mutter in einem großen Krankenhaus einer anderen Stadt und ihr Vater engagiert sich für die Hilfsbedürftigen, die aufgrund des Lockdowns Unterstützung benötigen. Deswegen wohnt das Mädchen nur mit ihren Großeltern, die eigentlich ihre liebsten Menschen auf der Welt sind. Doch Opah, Hamras Oma, verschwindet immer wieder und ihrer statt ist da jemand, der alles vergessen hat und absolut unberechenbar ist. Atok, ihr Opa, nervt mit seinen alten Geschichten und versucht die rebellische Teenagerin und seine geliebte Frau so gut wie möglich zu versorgen.

Und doch wird Hamras 13. Geburtstag vergessen und die Wut wächst, sodass sie ihr Glück geradezu herausfordert, als sie zum Kräuter sammeln in den angrenzenden Dschungel geht. Denn es gibt fünf Regeln, die man unbedingt einhalten muss, um dort sicher zu sein. Hamra bricht sie alle und begegnet einem Tiger, der die Gelegenheit nutzt.

„Hamra Sayang, sagte er zärtlich. Du hast dein ganzes Leben hier gelebt. Du bist mit der Insel und ihren Legenden aufgewachsen. Da wirst du doch erkennen, wenn du von einer Geschichte als Heldin ausgewählt wirst. Und du weißt doch auch, wie diese Märchen ausgehen.“

Der Tiger macht dem Mädchen ein Angebot, dass sie nicht ausschlagen kann. Gemeinsam mit Ilyas, einem Nachbarsjungen und Freund der Familie, machen sich Hamra und der Tiger auf, einen Fluch zu brechen und die alten Legenden, von denen jeder denkt, sie seien nur ausgedacht, auf ihre Wirksamkeit herauszufordern. Dabei tauchen sie ein in die magische Welt der malaiischen Sagenwelt, durchqueren Dschungel und suchen auf den vielen Inseln die Orte und Wesen, die die Hoffnungen von Tiger und von Hamra erfüllen sollen.

Pubertät, Pandemie und Phantasie

Mit Trau niemals einem Tiger ist Hanna Alkaf ein Kinderbuch gelungen, welches mich absolut begeistert hat.

Das Setting in Malaysia und die fantastisch gelungene Kombination von pandemischer Realität und traditioneller Mythenwelt ist neu und aufregend. Alkaf beschreibt die lokalen Geschichten ganz zauberhaft und man reist beim Lesen hinein in den grünen und gefährlichen Dschungel und hin zu den verschiedenen Inseln, die vor der Pandemie eine Touristenattraktion waren und nun Schauplatz eines Aufeinandertreffens von Moderne und uralter Geschichten werden, wo Tiger und Kinder auf gruselige, gehässige, kämpferische und auch sehr hilfreiche Elfen, Vampire, Feen und Hexen treffen.

Dabei kämpft Hamra immer wieder mit ihren Gefühlen. Sie fühlt sich nicht gesehen und vom Schicksal ungerecht behandelt. Sie vermisst ihre Familie und kämpft sehr mit der Angst und der Trauer über die Demenzerkrankung ihrer geliebten Großmutter. Die Geschichte beschreibt auch gut diesen Übergang von Kind zu junger Erwachsener, die nun selbst für ihre Fehler einstehen muss und selbstständig ihr Schicksal in die Hand nehmen kann, um Dinge zu ändern.

Hamra ist Muslimin, sie trägt einen Hidschab, gerne einen roten, um ihr inneres Feuer sichtbar werden zu lassen. Ihre malaiische und arabische Sprache, das lokale Essen, ihr Glauben – das alles findet sich in dieser herausragenden Geschichte wieder und ist auch in der Übersetzung sehr gut übertragen worden.

Sehr besonders ist auch der moderne, wache, humorvolle Ton der Geschichte, der die Lesenden nur so durch die fast 400 Seiten fliegen lässt. Hier kommt keine Langeweile auf, die Geschichte ist durch und durch glaubhaft, fantasievoll und nachvollziehbar und alle drei Protagonisten sind kompliziert und tiefgründig geschildert.

Fazit

Trau niemals einem Tiger ist ein außergewöhnliches Kinderbuch, welches es schafft, eine uralte Mythenwelt mit modernen Problemen und einer turbulenten Heranwachsenden stimmig und einfühlsam zu verbinden. Hier bekommt man reale Einblicke in eine andere Welt, die voller Magie und mit viel Gespür für das Besondere erzählt wurde. Große Empfehlung!