Luftmaschentage

Hardcover, 173 Seiten

ISBN: 9783407757593

Luftmaschentage
Luftmaschentage
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Kathrin Walther
83%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonJul 2023

Idee

Interessante Charaktere, aktuelle Themen.

Text

Abwechslungsreiche Geschichte, die vor allem durch ihre Zeitsprünge spannend zu lesen ist.

Eine interessante Geschichte, die durch eine abwechslungsreiche Erzählweise, vielschichtige Charaktere und aktuelle Themen überzeugen kann!

In Matheas Bauch wohnt eine große, dicke Krake namens „Madame Schüchtern“. Madame hat ziemlich genaue Vorstellungen, wie sich Mathea in bestimmten Situationen verhalten soll und passt auf, dass Mathea sich an ihre Regeln hält. Sie mag es beispielsweise überhaupt nicht, wenn Mathea außerhalb von zuhause spricht, weder mit Lehrern, Mitschülern oder sonstigen fremden Personen. Ausnahmen macht sie nur bei ganz wenigen Menschen, die ihr sympathisch sind, was nicht viele sind. Andernfalls erhebt sie sich von ihrem Sofa, streckt ihre vielen Tentakeln aus und angelt in Matheas Kopf nach Wörtern und Sätzen, sodass sie keinen einzigen Ton mehr hinausbringen kann. Zuhause kann Mathea ganz normal sprechen, auch gegen ihre Freundin Charlotte hat Madame nichts einzuwenden und nach vielen Monaten Übung lässt sie Mathea auch beim Bäcker ein Brötchen bestellen.

Als plötzlich Ricci in Matheas Klasse kommt, macht Madame überraschenderweise eine Ausnahme, sodass sie mit ihr reden kann. Dabei ist Ricci das komplette Gegenteil der zurückhaltenden und schüchternen Mathea, die am liebsten ganz unauffällig bleibt. Ricci gibt den Lehrern Kontra, lässt sich aus dem Unterricht werfen, ist nie um einen coolen Spruch verlegen und setzt sich auch mit Gewalt durch, falls es ihr notwendig erscheint. Je mehr Mats, wie Mathea von Ricci genannt wird, sich mit ihr anfreundet, desto mehr erfährt sie über ihre Freundin. Zwar spricht Ricci nicht offen über ihre Probleme, doch bemerkt Mats immer mehr, dass mit Riccis Zuhause etwas nicht zu stimmen scheint. Als beim Besorgen neuer Wolle für ihr gemeinsames „Guerrilla-Häkelprojekt“ ein Gegenstand aus einem leerstehenden Haus verschwindet, merkt Mats, dass Ricci auch ihr gegenüber nicht ehrlich ist. Als sie sich endlich traut, Ricci zur Rede zu stellen, verschwindet diese und reagiert auch nicht mehr auf ihre Nachrichten. Ob ihre Freundschaft noch eine Chance hat?

Ungleiche Freundschaft mit einigen Hürden

Anne Becker greift in ihrem Roman einige schwierige Themen auf, die zur Belastungsprobe einer Freundschaft werden können. Auf der einen Seite steht Mats, die nicht mit Fremden spricht, aus einer gut situierten Pastorenfamilie kommt und wohlbehütet aufwächst. In der Schule geht es ihr nicht so gut. Zwar ist sie gut und hat mit Charlotte eine Freundin, doch wird sie durch ihren Mutismus von den anderen Schülern als seltsam betrachtet und teilweise sogar gemobbt. Dass auch Charlotte zunächst nur auf Bitten ihrer Mutter mit ihr befreundet war, erfährt sie im Laufe des Romans. Ricci hingegen ist ziemlich selbstbewusst und weiß sich zu behaupten. Ihr ist egal, was andere von ihr denken, doch gleichzeitig hat sie mit vielen Problemen zu kämpfen und kein richtiges Zuhause. Sie wohnt mit ihrer Mutter mal hier, mal dort und Armut belastet sie. Durch ihre harte Kindheit kennt und nutzt sie manchmal Gewalt, ist abends lange draußen und schreckt auch vor anderen Dingen nicht zurück. Auch wenn Mathea diese Dinge nicht gutheißt, fühlt sie sich mit Ricci verbunden, die sie gegen eine fiese Mitschülerin verteidigt hat und sie so nimmt, wie sie ist.

Aus der Sicht Matheas erzählt die Autorin die Freundschaft der Mädchen über 12 Tage hinweg, bevor Ricci verschwindet und auch nicht mehr auf Matheas Sprachnachrichten reagiert. In einem Wechsel aus Rückblick und Gegenwart erfährt der Leser Stück für Stück, wie sich die Freundschaft zwischen den beiden Mädchen entwickelt hat, was sich auch an der Bezeichnung der Kapitel erkennen lässt. Heißt das erste Kapitel „Erster Tag mit Ricci“, welchem dann „Sprachnachricht am 1. Tag ohne Ricci“ folgt, setzen sich diese Überschriften bis kurz vorm Ende fort, wodurch häppchenweise aufgedeckt wird, was zum Cut zwischen den beiden führte.

Schwierige Themen

Dadurch, dass Anne Becker aus der Perspektive Matheas erzählt, bekommt der Leser tiefe Einblicke in Matheas Gedanken und erfährt mehr über das Thema Mutismus, welches oft dazu führt, dass die Betroffenen von ihrem Umfeld unterschätzt werden, da es bei vielen Mitmenschen auf Unverständnis stößt, warum jemand in bestimmten Situationen nicht in der Lage ist zu sprechen. Mathea stellt sich ihren Mutismus als eine Art Krake vor, die sie von ihrem Inneren heraus kontrolliert und sie daran hindert, mit anderen Menschen zu sprechen, sodass auch Außenstehende durch ihre Beschreibung eine Vorstellung davon bekommen können, wie es sich für Betroffene anfühlt.

Etwas schade ist, dass der Begriff Mutismus nicht fällt, da Matheas Verhalten auch mit starker Schüchternheit verwechselt werden könnte, was ihr nicht gerecht wird. Ein Nachwort am Ende oder eine Erklärung der Autorin zum Thema wäre schön gewesen, um mehr Verständnis für Betroffene von ihrem Umfeld zu erreichen, welches in erster Linie durch gute Aufklärung gelingen kann.

Auch Riccis Probleme lassen viel Raum für Interpretation, sodass sie stellvertretend für viele ähnliche Schicksale stehen kann, die es in fast jeder Klasse geben wird und die auf diese Weise thematisiert werden, ohne jemandem zu nahe zu treten. Durch die vielen unterschiedlichen Problembereiche, die aufgegriffen werden, eignet sich das Buch auch gut als Klassenlektüre, um Schüler unterschiedlichste Perspektiven zu vermitteln und Toleranz und Verständnis füreinander zu fördern.

Fazit

Ein interessantes und lesenswertes Buch, das sowohl durch seine sympathischen Charakteren als auch seine vielschichtige und aktuelle Themenwahl überzeugen kann, Einblicke in verschiedene Lebensbereiche gewährt und für Verständnis und Toleranz steht.

Luftmaschentage

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