Luisa ist ein fantasievolles, sympathisches Mädchen. Sie zeichnet, denkt sich Geschichten aus und eckt doch nur an. In ihrer Familie hat sie den Kampf schon fast aufgegeben, in der Schule fällt sie durch ihre Lügengeschichten auf, wird belächelt oder ist Luft für ihre Mitschüler. Luisa will sich ändern und endlich so normal sein wie alle anderen auch. Sie möchte eine Freundin finden oder einfach nur im Strom mitschwimmen. Das kann doch nicht so schwer sein. Doch Luisa täuscht sich. Tief verletzt schmiedet sie einen verhängnisvollen Überlebensplan.
Die 11-jährige Luisa kann sich nicht mehr erinnern, wann sie sich zuletzt in der Familie oder mit Freunden so richtig geborgen und angenommen gefühlt hat. Bei ihrer gestressten, unzufriedenen Mutter Katja, die als Schauspielerin von einem Casting zum nächsten eilt, soll sie einfach nur funktionieren. Aber Luisa ist nun mal verträumt, voller Ideen, dann wieder schnell aufbrausend und ziemlich konfus. Der jüngere Bruder Carlo ärgert sie mit seinen kränkenden Sticheleien und Vater Thomas glänzt durch Abwesenheit und lange Bürozeiten. Wann hat sie mit den Eltern zuletzt ein vertrauensvolles Gespräch geführt? Wann hat sich jemand für sie und ihre Wünsche interessiert? Mit ihren roten Locken und der blassen Haut scheint sie sowieso in der falschen Familie gelandet zu sein. Bereits am Morgen fällt es ihr schwer, pünktlich zum Unterrichtsbeginn in der Klasse zu sein. Sie denkt sich Lügengeschichten aus und entwickelt dabei beachtlichen Einfallsreichtum. Zu keinem Mädchen hat sie einen besonderen Draht. Aber das soll sich ändern, denn Luisa möchte endlich eine Freundin haben, mit der sie Geheimnisse austauschen kann und sich wohl fühlen.
Als Luisas 12. Geburtstag naht, wimmelt sie kurzerhand die übereifrigen, egozentrischen Bemühungen ihrer Mutter ab und beschließt ihren Feiertag ganz allein zu gestalten. Sie zeichnet für fünf Mädchen aus ihrer Klasse persönliche Einladungskarten und plant einen gemeinsamen Kinobesuch. Luisa liebt Filme und ihr Berufswunsch steht schon fest - Storybordzeichnerin. Dafür hat sie sich auch ganz allein bei einem Malkurs angemeldet und wartet sehnsüchtig auf die Zusage. Als Luisa die Einladungen verteilt, registrieren die Mädchen kurzzeitig, Luisas Originalität. Gehen dann aber schnell wieder zur Tagesordnung über. Ihren Geburtstag würde Luisa jedoch im Nachhinein am liebsten aus ihrem Gedächtnis streichen. Bereits am Morgen gratuliert ihr niemand. Luisa backt ihren Schokoladenkuchen, dekoriert den Tisch und freut sich auf den Nachmittag. Sie wartet sehr lang auf ihre Gäste und dann kommt endlich Nathalie. Allerdings hat sie wenig Zeit, denn sie muss zum Sport. Nathalies Geschenk ist eine CD, die sie doppelt hat und offensichtlich loswerden möchte. Luisa ist so sprachlos, dass sie als Nathalie kurz darauf geht, sich nicht mal pflichtschuldig bedanken kann. Diese gefühllose Gleichgültigkeit hat Luisa nicht verdient. Aber niemand in der Familie bemerkt ihren tiefen Kummer. Ihre Mutter hört nur halb hin als Luisa nach einer Ausrede sucht, um die peinlichen Ereignisse herunterzuspielen. Ihr Bruder amüsiert sich über das Ausbleiben der Gäste und ist sich sicher, dass niemand Luisa mag, weil sie nun mal nicht ";normal" ist. Luisa bleibt am kommenden Tag im Bett und träumt sich in ihre eigene Geschichtenwelt. Sie weiß, so kann sie nicht weiterleben, denn: ";Luisa findet, dass man einen Erwachsenen braucht, zu dem man Vertrauen hat."
Schon lang herrscht wegen Familienzwistigkeiten zwischen Katja und ihrer Schwester Freya, die in der Schweiz lebt, Funkstille. Luisas Ansprechpartnerin war früher ihre Oma. Nun hofft sie auf das Verständnis ihrer Tante. In ihrer Erinnerung konnte sie mit ihr immer gut reden. Luisa ist zwar auf einsamem Posten, aber sie ist noch handlungsfähig und nicht bereit, so weiter zu machen. Sie muß fort, denn die Klassenlehrerin plant eine obligatorische Klassenfahrt, an der das Mädchen nach diesem Geburtstagsfiasko auf keinen Fall teilnehmen kann. Luisa findet auch kein Fünkchen Sensibilität bei ihrer Lehrerin. Auch Katja kennt keine Gnade, Luisa soll unbedingt mitfahren. Luisa schleicht sich am Tag der Klassenfahrt als blinder Passagier an Bord eines Rheindampfers, der in die Schweiz schippert. Auf dem Boot wird sie von Freddy entdeckt, dem Sohn des Kapitäns.
Inzwischen haben Luisas Eltern eine großangelegte Suchaktion nach ihrer Tochter gestartet. Luisa hat sich beim Besteigen des Schiffes verletzt. Eine Blutvergiftung ist die Folge und Freddy erkennt, dass er sein Versprechen nichts zu sagen, auf keinen Fall halten kann. Luisas Eltern überdenken ihr Verhalten und auch die Mädchen aus der Klasse gehen in sich.
Laut Statistik wird jeder 6. bis 7. Schüler im Laufe seines Schullebens ein gezieltes Opfer von Mobbing. Die erbarmungslose Ausgrenzung und die gefühllosen Demütigungen durch Mitschüler nehmen viele Kinder aus Hilflosigkeit und in der Hoffnung einfach hin, dass sich die Gruppe bald einer anderen Person zuwenden wird. Oft findet kaum eine Form der Kommunikation weder mit den Eltern noch Lehrern statt. Leistungsabfall sind die Folge, Desinteresse an Schulthemen und im schlimmsten Fall steht am Ende einer Kette von Qualen der Suizidversuch.
Die Heldin der Kölner Autorin Ute Wegmann scheint auf den ersten Blick nicht das typische Mobbingopfer zu sein. Sie ist weder dickleibig, noch äußerlich irgendwie negativ auffällig, noch hinterlässt sie einen verängstigten Eindruck. Luisa ist nur anders. Da sie aber ein lebendiges, sensibles und fantasievolles Mädchen ist, empfindet der Leser für ihre einsame, wie ausweglose Lebenssituation sofort Mitgefühl. Die Eltern haben keine Geduld mit Luisa und hören ihr schon lang nicht mehr zu. Aus einer stimmigen Erzählperspektive heraus überzeugt die strikte Handlungsführung, die in wenigen markanten Szenen einen umfassenden Eindruck von Luisas Charakter, ihrer familiären Situation und dem Verhalten der Mitschüler vermittelt. Die gleichgültige Reaktion der Eltern und Schüler auf Luisas zaghafte Versuche, Kontakt zu finden, sich zu öffnen, zu verändern, binden den Leser im Laufe der Geschichte immer enger an die widersprüchliche Hauptperson. Mit Empathie gewährt die Autorin einen Blick in Luisas Innenleben und steigert von Episode zu Episode in ihrer linear erzählten Alltagsgeschichte Luisas Hilflosigkeit, aber auch Stärke. Psychologisch genau erfasst Ute Wegmann ihre Figuren, die ihrer Protagonistin ob bewusst oder unbewusst das Leben schwer machen. Auch wenn Ute Wegmann sehr reduziert erzählt, nicht in die Versuchung verfällt, alles auszuplaudern und so dem Leser auch Spielraum lässt, spürt er fast körperlich, besonders in der Geburtstagsszene die Qualen und die Beschämung des Mädchens. Luisa sucht instinktiv nach Sicherheit und Geborgenheit und nach dem einen Erwachsenen, dem sie vertrauen kann und das klingt in der Geschichte ein wenig nach praktischer Lebenshilfe, die aber auch erlaubt ist. Die Protagonistin ist zum Glück noch nicht an dem Punkt der Selbstverleugnung angekommen und das lässt hoffen, dass sie sich treu bleiben wird.
Oftmals wird dem Mobbing unter Schülern ein Ende durch den Schulwechsel des Opfers gesetzt, ohne die endgültige Sicherheit, dass man nicht wieder zum Außenseiter wird. Luisa kehrt in eine geläuterte Familie zurück. Ihre Klassenkameradinnen überdenken ihre Gefühllosigkeit - ein seltener Hoffnungsschimmer in einer immer härter werdenden Schulatmosphäre, in der das Ausgrenzen im schlimmsten Fall bereits in der ersten Klasse beginnt.
Fazit:
Ute Wegmann erzählt eine glaubwürdige, lebensnahe Alltagsgeschichte, die auf diffizile und feinfühlige Weise das Thema Mobbing im schulischen wie privaten Bereich durchspielt. Luisa wehrt sich mit ihren Mitteln und das ist wohl die wichtigste Botschaft in diesem aufrüttelnden Buch.
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