Ein Mädchen, das durch Freundlichkeit das Leben herausfordert
Die Kleinstadt Fawn Creeks ist für viele dort das Ende der Welt und vor allem auch eine Art Endstation. Die Jobaussichten sind begrenzt auf eine lokale Chemiefabrik, ebenso überschaubar ist die Auswahl an Speiselokalen und Geschäften. Für etwas Abwechslung fährt man an den Wochenenden zu den Football-Spielen in den Nachbarort.
Die zwölf Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse der Schule des Ortes kennen sich schon ihr Leben lang. Deshalb sind die Rollen, die jede und jeder innehat, klar verteilt: Es gibt die Leisen und die Lauten, die Schönen und die Sportlichen, die Unter- und die Überschätzten.
Greyson und Dorothy zählen zu den leisen Unauffälligen. Die, die sich lieber verstecken. Sie verstecken sich hinter Haaren und Schüchternheit, oft um den Blicken und fiesen Worten der hochnäsigen Janie aus dem Weg zu gehen.
„Super Idee, wollte sie sagen. Sei einfach du selbst. Mach dein Ding! Aber Originalität war vielleicht nicht immer unbedingt gut. Jedenfalls nicht hier in Fawn Creek.”
Eines Tages betritt ein Mädchen die Klasse und überstrahlt alle. Orchid Mason ist Selbstbewusstsein pur! Sie kümmert sich nicht darum, was andere über sie sagen oder denken könnten, sondern hat ein Charakteristikum, welches sie zu etwas sehr Besonderem macht. Sie SIEHT die Person hinter der Rolle. Sie lockt Greyson und Dorothy aus ihrer Zweisamkeit, sie blickt hinter Janies mobbende Fassade und sie lässt sich auf keine präpubertierenden Spielchen, wie wer mit wem geht und wer einen Blick auf wen geworfen hat, ein. Außerdem steht sie durch ihre mysteriösen, weltoffenen Geschichten über vergangene Wohnorte im Mittelpunkt der Träume und manch missgünstigem Neid der Mitschüler.
Natürlich steckt hinter Orchids Erzählungen eine ganze Menge mehr – und bis die Wahrheit ans Licht kommt, haben Greyson und Dorothy und einige andere mehr, ihre eigenen Stimmen finden können.
Ein ganz besonderes Kinderbuch
Irgendwo wartet das Leben ist ein recht leises und psychologisch interessantes Kinderbuch, welches einen ganz genauen Blick auf Klassendynamiken und aufwachsende Kinder wirft. Die Kinder aus Fawn Creek stehen stellvertretend für ganz viele Kinder, die sich nicht gesehen fühlen, die gemobbt werden, diejenigen, die Mobber sind, für alle über- und alle unterschätzten. Das heißt, dass ganz viele sich in diesem Kinderbuch wiederfinden werden.
Orchid ist hier die Freundin, die sich jeder und jede wünscht. Sie hört zu, fragt nach und eröffnet durch ihre Geschichten neue Welten, neue Möglichkeiten, neue Horizonte. Sie macht Hintergründe sichtbar, ordnet Ängste ein und fordert so den Mut heraus.
Ihre wahre Geschichte zeigt aber auch, dass sich hinter jeder Person oftmals noch etwas Verstecktes, Zerbrechliches befinden kann und dass man eine Wahl hat, ob man wütend, herabwürdigend oder eben freundlich und fantasievoll mit seinen Erfahrungen umgeht.
Erin Entrada Kelly hat wieder einmal ihren ganz genauen und warmherzigen Blick schweifen lassen und Situationen und Begegnungen kindgerecht, hilfreich und aufbauend beschrieben. Mit viel Gefühl zeigt sie Kindern, dass das Leben keine Einbahnstraße ist, dass sich Menschen ändern können und dass eben jedes Kind gesehen und gewürdigt werden muss - und dass das auch Kinder untereinander tun können.
Fazit
Wieder einmal ein ganz besonderes und empfindsames Kinderbuch hat Erin Entrada Kelly hier geschrieben. Es ist ein Buch für alle Kinder, für ein freundlicheres und bewussteres Miteinander und über die Kraft der Fantasie, die es vermag, wenig optimale Lebensumstände erträglicher zu machen.
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