Peter Pan und der rote Pirat

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  • Erschienen: Dezember 2006
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Peter Pan und der rote Pirat
Peter Pan und der rote Pirat
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Kinderbuch Couch
85%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonDez 2006

Idee

Eigensinniger war Peter Pan noch nie und seine Freunde sind einfach herrlich dargestellt. Eine Geschichte, die voller Einfallsreichtum und unterschwelligen Hinweisen ist. Ein anspruchsvolles Buch, bei dem Kinder stets „auf dem Posten“ sein sollten.

Bilder

Wunderschöne s/w Illustrationen von Scott M. Fischer, die an Scherenschnitte erinnern. Die zauberhaften Darstellungen sind im Stil der Peter-Pan-Erstausgabe und nehmen vor jedem neuen Kapitel eine ganze Doppelseite ein.

Text

Die Sprache von Geraldine McCaughrean ist ein wahrer Genuss. Sie versteht es immer wieder, den richtigen Ton zu treffen, mit Worten zu spielen und mit traumwandlerisch schönen Momentaufnahmen zu überraschen.

Zum Anlass des 70. Todestages von James M. Barrie, der den unvergesslichen Klassiker ";Peter Pan"; einst schrieb, hat die von ihm gegründete Stiftung eines Londoner Kinderkrankenhauses einen weltweiten Wettbewerb ausgerufen, bei dem sich meh als 200 Autoren um die Fortsetzung des Klassikers beworben haben. Die Wahl fiel auf die renommierte Autorin Geraldine McCaughrean, die mit ";Peter Pan und der rote Pirat"; einen anspruchsvollen und überaus fantasievollen Roman geschrieben hat, der den Zauber des ";Nimmerlandes"; wieder aufleben lässt.

Die ";verlorenen Jungs"; von damals sind nun erwachsen. Sie haben selbst Kinder und sind Ärzte, Richter und Musiker. Seit geraumer Zeit aber werden sie alle, die Zwillinge, John, Tootles, Nibs, Slightly und auch Wendy von sehr realistischen Träumen aus Nimmerland geplagt. Es sind keine angenehmen Träume und die Souvenirs, die die Träumer von ihren Abenteuern mitbringen, machen es ihnen schwer zu glauben, dass es sich ";nur"; um einen Traum handeln soll.

Gemeinsam und unter der Federführung von Wendy entschließen sich die einstigen ";verlorenen Jungs"; nach Nimmerland zurückzukehren, um herauszufinden, was dort nicht in Ordnung ist. Sie müssen zunächst Feenstaub finden, um fliegen zu können, sie müssen wieder wie Kinder denken, um Kinder zu werden, denn nur die können nach Nimmerland gelangen. Die Aufgabenliste lautet daher: ";Nicht erwachsen werden, Erinnern, wie man fliegt, Feenstaub finden und eine Ausrede für die Ehefrau erfinden. Mit Wendys Hilfe gelingt es den Jungs, nach einigen erfolglosen Versuchen, einen Elf zu fangen: Feuerflieger. Der immer hungrige Elf, der es mit der Wahrheit überhaupt nicht so genau nimmt, stattet sie mit reichlich Feenstaub aus. Sie verabschieden sich von ihren schlafenden Kindern und am Samstag, den 5. Juni geht es schließlich in der Kleidung ihrer Kinder auf in ein neues Abenteuer nach Nimmerland. Doch Nibs geht doch nicht mit, denn er kann seine Kinder nicht verlassen. Und Sir Slightly hat keine Kinder, deren Kleidung er sich ausleihen könnte. Doch schließlich findet er am Fuße seines Bettes einen Weg, wieder ein kleiner Junge zu werden. Und da Richter Tootles erst spät bewusst wird, dass er nur Töchter hat, rasiert er kurzerhand seinen stattlichen Schnäuzer ab und quetscht sich in ein Ballettkleidchen. Dann geht es auf nach Nimmerland.

Im Nimmerwald angekommen, merken die Kinder sofort, dass etwas nicht stimmt. In den zeitlosen Sommer des Nimmerlandes hat der Herbst Einzug gehalten. Viel ist vom Zauber Nimmerlands nicht mehr zu spüren, denn alles befindet sich auf dem Rückzug oder im Sterben. Die Welt des Pans ist kälter, härter und erbarmungsloser geworden. Und die Hoffnung, dass sie ein Fleckchen der ehemals sonnendurchfluteten Welt finden würden, schwindet. Auch Peter ist nicht mehr der Alte. Nachdem das alte Wendy-Haus vom Sturm zerstört wird, müssen sich die Kinder einen neuen Unterschlupf suchen. Doch eine ausgerufene Drachenjagd, bei der es um die Gunst von ";Prinzessin Tootles"; geht, lenkt sie vom Wesentlichen ab. Sie treffen auf den Zirkusdirektor ";Ribbelo";, der mit seinen zahlreichen Zirkustieren auf Nimmerland gastiert. Er bietet seine Gastfreundschaft an, doch Peter lehnt brüsk ab; mit Erwachsenen will der ewige Junge nichts zu tun haben. In der Lagune sehen sie staunend, wie die ";Jolly Roger"; – Hooks ehemals stolzes Schiff – auf sie zukommt. Und das gerade noch rechtzeitig, da der Nimmerwald Feuer gefangen hat. Die Kinder flüchten sich auf das verlassene Schiff und finden eine alte Schatzkarte vom gefürchteten Kapitän Hook.

Auf der ";Nimmerspitze"; hoch über dem Nimmerland befindet sich ein Schatz! Na, wenn das kein willkommenes Abenteuer für die verlorenen Jungs ist und sogleich machen sie sich auf den Weg, diesen wunderbaren Schatz des Piratenkapitäns zu finden. Aber Peter und seine Jungs finden noch mehr: Die Habseligkeiten des Kapitän Hook. Der Unselige wurde beim letzten großen Kampf mit Peter von dem großen Krokodil gefressen und nun bietet sich nicht nur das verlassene Schiff an, sondern auch der rote Mantel des Piraten, den Peter schließlich trägt. Selbst von echten Piraten angegriffen, werden die Kinder von Ribbello und seinen gefährlichen Raubtieren gerettet. Der merkwürdige Mann in seinem langen, wollenen Mantel, der sich stets in Auflösung zu befinden scheint, bietet Peter nochmals unterwürfigst seine Dienste an, die der ewige Junge schließlich geschmeichelt annimmt. So wird Ribbello, der Ribbler, so etwas wie der Kammerdiener Peter Pans und liest ihm fortan jeden Wunsch von den Augen ab. Die Kinder müssen so manches Abentuer bestehen, bei dem sie die ";Jolly Roger"; verlieren, vor irren Hexen im Labyrinth fliehen müssen und zwischen die Fronten eines Elfenkrieges geraten.

Noch bei dem Zusammenstoss mit einem von Hooks ehemaligen Piraten scheint die ehemalige Unbeschwertheit noch zu überwiegen – auch noch, als die Kinder zwischen die Fronten eines Elfenkrieges geraten – doch spätestens bei den angeblichen Kindermädchen, die im Laryrinth umherirren, um ihre verlorenen Jungs zu suchen, beginnt die Stimmung zu kippen und so ist die Überschrift eines Kapitels ";Nun ist der Spaß vorbei"; sehr zutreffend. Und Spaß ist es wahrlich nicht mehr, was Pan wie ein Besessener zum Schatz von Nimmerland treibt.

Aufmerksamen Beobachtern wird weiterhin auffallen, wie sehr Peter Pan dem ehemaligen Widersacher Hook immer ähnlicher wird. In dem roten Mantel, den Stiefeln und den langen schwarzglänzenden Locken, die ihm der Ribbler stets gewissenhaft kämmt, wird er nicht nur äußerlich zu dem Pirat, den er einst so sehr gehasst hat. Peter verändert sich, seine Sprache wird schärfer, seine Ungeduld größer und mit das schlimmste ist, neben der rachsüchtigen und bösartigen Ader, die in ihm aufkommt, dass Peter seine Fantasie verliert. Er kann den hungrigen Kindern kein Essen mehr herbeifantasieren und die Kinder müssen hungern. Als Slightly auf mysteriöse Weise beginnt zu wachsen, verbannt Peter Pan ihn und er muss zurückbleiben. Auch ";Feuerflieger"; ereilt das gleiche Schicksal, denn er hat den letzten Proviant aufgegessen. Am Fuße des Berges angekommen, zeichnet sich bereits ab, dass Peter auch nicht mehr fliegen kann. Ein gefährlicher und erbarmungsloser Aufstieg steht den Kindern bevor, durch klirrende Kälte und Schneestürme kämpfen sie sich weiter empor. Auf dem Weg dorthin entdeckt Peter in einer Eisbrücke, auf die er blickt, sein Spiegelbild und erschrickt: Kapitän James Hook schaut ihm geradewegs ins Gesicht. Er ist verzweifelt, fühlt sich zerrissen – doch noch immer hat er nur das eine Ziel vor Augen: Den Schatz. Und im Nimmerland enthält der Schatz stets, was der Suchende sich wünscht. Doch das, was Peter sich wünscht, hat für ihn selbst keinen Namen. Noch immer hat der ewige Junge nicht begriffen, dass es schon lange nicht mehr seine eigenen Wünsche sind, die ihn zu dem Gipfel der Nimmerspitze voranpeitschen. Denn er trägt längst die Wünsche eines anderen in sich, dessen Kleidung er auch trägt…

Die Sprache von Geraldine McCaughrean ist ein wahrer Genuss. Sie versteht es immer wieder, den richtigen Ton zu treffen, mit Worten zu spielen und mit traumwandlerisch schönen Momentaufnahmen zu überraschen. Dabei findet sie stets den für Nimmerland so typischen Ton, der sich elegant zwischen Humor und Poesie bewegt. Sätze wie ";In ganz London… holten die Jungs ihre alten Koffer vom Dachboden und klaubten all den Mut heraus, den sie besaßen. Sie gingen zur Bank und hoben die gesamte Waghalsigkeit ab, die sie in den letzten Jahren gespart hatten. Sie wühlten in allen Taschen ihrer Anzüge und in den Sofaritzen, um so viel Tapferkeit wie möglich zusammenzukratzen."; wie auch die überaus treffende Beschreibung von Pans langsamen Versinken im Sumpf: ";Der gelleeartige Untergrund saugte nachdenklich an Peters kleinen Füßen, beschloss, sie zu mögen, und verschlang seine Zehen und Fersen.";, verleihen dieser Geschichte einen so leichtfüssigen Unterton, wie man ihn nur treffen kann, wenn man die Welt der Kinder versteht.

Die etwas sprunghafte Logik der Autorin – oder sei es typisch für das Nimmerland – macht es aber zuweilen schwer, der Handlung ohne ein Stirnrunzeln folgen zu können. Man muss schon mit Pans ursprünglicher Geschichte gut vertraut sein, um bei den Eigenheiten des Nimmerlandes mitzukommen. Wie bei einem Spiel unter Kindern können sich die Regeln ändern und damit auch die Logik, nach dem dieses Spiel ursprünglich gespielt werden sollte. Dinge, die nebensächlich erscheinen, können plötzlich von entscheidender Bedeutung sein. Dabei sind die einzelnen Ereignisse typischerweise nicht vorhersehbar und eine daraus resultierende ";entspannte Erwartungshaltung"; stellt sich so bis zum Ende der Geschichte nicht ein. Lange Zeit über passiert so manches, doch bleibt das Wesentliche, die Wahrheit hinter den mysteriösen Veränderungen im Nimmerland, in einer Schicht unterhalb der Erzählung. Ribbelo, der uns während der gesamten Geschichte über suspekt in seiner Unterwürfigkeit bleibt, entpuppt sich zum Ende hin mehr und mehr zu einem gefährlichen Begleiter – sein Ziel bleibt ungewiss und seine Motivation rätselhaft; bis zu dem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt: auf der Nimmerspitze.

Geraldine McCaughrean erschafft damit eine unterschwellige Bedrohung, die sich auch dem Leser erst am Ende in seinen ganzen Ausmaßen offenbart. Sie lässt vielmehr die Ahnung, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist, beim Leser mitwachsen. Aus der Erzählerperspektive gibt sie ";ihre Beobachtungen"; wertfrei an die Leser weiter und lässt sie teilhaben an dem Spiel der Kinder, die mit jedem Schritt, den sie auf den unentdeckten Teil des Eilands setzen, merken, dass aus dem Spiel jederzeit tödlicher Ernst werden kann.

Die emotionalen Motive der Hauptdarsteller überzeugen daher umso mehr. Denn der neidvolle Hass des ehemaligen Piratenkapitäns auf Peter Pan, dessen Jugend, ganz im Gegensatz zu Hook, nicht von einer Mutter oder einem Vater geraubt wurde, haben im Magen des gefürchteten Krokodils noch kein Ende gefunden. Und auch nach diesem Abenteuer kann es sein, dass das ";Spiel"; noch nicht zu Ende ist…

Fazit:

Geraldine McCaughrean schreibt mit ihrem Roman ";Peter Pan und der rote Pirat"; hingebungsvoll die Geschichte vom Nimmerland fort. Das ist nicht nur ihrer zauberhaften Sprache zu verdanken, sondern auch ihren teilweise grotesken Ideen, die im Nimmerland ja bekanntermaßen nie fern genug der Realität sein können. Mit ihrem beeindruckenden sprachlichen Einfallsreichtum erreicht sie eine beinahe greifbare Atmosphäre, die den Zauber des Originals auf lebendige und kraftvolle Weise fortsetzt. Ein anspruchsvolles Buch, für das es sich aber lohnt, hellwach zu bleiben.

Stefanie Eckmann-Schmechta


Peter Pan und der rote Pirat

Geraldine McCaughrean, cbj

Peter Pan und der rote Pirat

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