Mein wunderbares Ich

Die dunklen Haare sind von meiner Mama, die blauen Augen habe ich von Papa. Aber warum bin ich so groß und meine Schwestern nicht? Ist es ein Zufall, dass unsere ganze Familie eher zurückhaltend ist? Warum schwimme ich nicht gerne, aber liebe Fußball? Die Frage nach unserer Herkunft und dem eigenen Charakter ist eine universelle und beschäftigt wohl uns alle. Warum bin ich so, wie ich bin?

Diesem Thema widmet sich Clarissa Corrêa da Silva in ihrem ersten Kindersachbuch. Die jungen Leserinnen und Leser werden die Autorin kennen: Es ist Clari von der „Sendung mit der Maus“ und „Wissen macht Ah!“. Clari selbst hat eine außergewöhnliche Biographie, die sie an vielen Stellen des Buches mit uns teilt. Ihre Mutter ist Brasilianerin, ihr Vater Israeli und sie hat ihre Kindheit sowohl in Deutschland als auch in Brasilien verbracht. Außerdem hat sie einen leiblichen Papa und zwei Bonus-Papas.

Die Frage nach dem eigenen Ich auf knapp 180 Seiten zu beantworten, ist ein anspruchsvolles Vorhaben. Die Autorin schafft es jedoch, das hochkomplexe Thema der Epigenetik auf eine zielgruppengerechte Art und Weise herunterzubrechen. Sie erklärt, wie eben nicht nur Gene, sondern auch äußere Umwelteinflüsse unsere Persönlichkeit formen.

„Wir sind also nicht nur die Summe vieler Urzeitmenschen, sondern auch das Ergebnis der Umwelt unserer Vorfahren.“

Das bedeutet also auch: Wir haben unser Ich zu einem großen Teil selbst in der Hand und können ein „Update für unser Erbgut ziehen“. Wer beispielsweise für sich selbst entscheidet, gerne viel Sport zu treiben und damit die Muskelzellen kontinuierlich stärkt, gibt dieses Verlangen mit großer Wahrscheinlichkeit an die Nachkommen weiter. Gerade diese Entscheidungsfreiheit ist es, die die Autorin immer wieder betont. Sie ermutigt die jungen Leserinnen und Leser, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und auch mal Dinge auszuprobieren, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht zum eigenen Charakter passen. Sich aus der persönlichen Komfortzone herauszubewegen, kann befreiend sein.

Darüber hinaus ist dieses Sachbuch auch ein Appell an alle Eltern. An so vielen Stellen wird noch einmal klar, welch große Verantwortung wir unseren Kindern gegenüber haben. Denn neben den festen genetischen Strukturen der Bau- und Bedienungsanleitung sind es vor allem Verhaltensweisen und Denkmuster, die vererbt werden. Menschen, die durch schreckliche Erfahrungen traumatisiert sind, geben dieses Trauma vermutlich an spätere Generationen weiter. Auch massiver, Lebensphasen überdauernder Stress kann so auf die Kinder übertragen werden.

Theorie, Beispiele und Interaktion wechseln sich in diesem Buch immer wieder ab. Doch wie Clari zu Beginn betont, ist es trotzdem wenig sinnvoll, den Text an einem Stück zu lesen. Am besten legt man es immer mal wieder, vielleicht auch ein paar Tage oder Wochen, beiseite. Sonst droht tatsächlich ein kleiner Overload an Informationen. Allerdings wäre für die kreativen Kapitelüberschriften dann ein bisschen mehr Kontext nötig gewesen, um herauszufinden, was sich hinter diesen verbirgt.

Die verspielten und humorvollen Illustrationen von Maurizio Onano lockern die längeren Textpassagen gekonnt auf. Insbesondere auf den Seiten des Buches, die die Leserinnen und Leser zum Mitmachen auffordern. So werden diese bereits am Anfang auf eine kleine Selbstfindungsreise geschickt und sollen Eigenschaften und Merkmale notieren, die auf verschiedene Familienmitglieder zurückzuführen sind. Später können Superkräfte, die wir vererben wollen, notiert und Denkblockaden durch die Kopfstandmethode gelöst. Und für einen Moment der Langeweile, die übrigens ein wichtiger und kreativitätsfördernder Gefühlszustand ist, kann man sich einfach einem Ausmalbild widmen. Außerdem gilt die ganze Zeit über das erfrischende Prinzip: Für wen die eine oder andere Technik oder Infobox nichts ist, kann einfach weiterblättern.

Fazit

Wer dieses Buch in die Hand nimmt, begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Neben theoretischem Input lernen wir dabei eine Menge über unser eigenes Ich und werden ermuntert, ausgetretene Pfade hier und da zu verlassen. Es gibt im Leben so viel zu entdecken!