Beerdigung, aber richtig
"Die ganze Welt ist voll von Toten" und damit meinen die mutige Ester, ihr kleiner Bruder Putte und der nicht ganz so beherzte Ich-Erzähler verstorbene Tiere, um die sich niemand kümmert. Die Kinder machen aus diesem traurigen Umstand ein aufregendes Kinderspiel. Aus einer spontanen Idee entsteht ein florierendes, professionell geführtes Bestattungsinstitut, dass die besten Beerdigungen der Welt anbietet.
Ester und der Ich-Erzähler der Geschichte, ein zaghafter, kleiner Junge, der vor dem Leben und auch vor dem Tod Angst hat, langweilen sich an einem herrlichen Sommertag. Das Mädchen findet eine tote Hummel und beschließt, das Tier auf ihrer Lieblingslichtung zu begraben. Endlich geschieht etwas, obwohl dem Erzähler bei der Sache nicht wohl ist. Ester ergreift mit Spaten und Zigarrenkiste die Initiative. Der Junge dichtet für die verblichene Hummel poetische Verse, die dann am Grab vorgetragen werden. Die altkluge Ester ("Kleine, kleine Hummel! Aber das Leben geht weiter.") rümpft die Nase bei dem Wort Gedicht. Doch es bleibt keine Zeit lang darüber nachzudenken, denn das Mädchen ist nicht mehr zu bremsen. In Büschen und Sträuchern suchen Ester, ihr Freund und Esters kleiner Bruder Putte aus Spaß am Spiel nach toten Tieren, auf die nun eine Erdbestattung wartet. Als die drei eine tote Feldmaus finden, müssen die Kinder dem kleinen Putte beim Anfertigen des Kreuzes, dem Ausheben und Schmücken des Grabes erst mal die Sache mit dem Tod erklären.
So ganz überblickt der Kleine mit der roten Mütze nicht, was die Großen meinen, aber das macht nichts. Immerhin stellt er die richtigen Fragen. Einfallsreich, ernsthaft und voller Elan widmen sich die Kinder nun ihrer wichtigen Aufgabe. Beerdigungen AG heißt die neu gegründete Firma und die nötigen Utensilien, wie Holzkreuze, Schachteln für Särge, Grabsteine und fertige Blumen, die für die Bestattungsrituale benötigt werden, besorgen die drei. Auch die Arbeit wird gerecht aufgeteilt: Die große Ester ist für das Graben zuständig, der Erzähler für den passenden Gesang und der kleine Putte darf weinen. Mit Perfektion, Pragmatismus und äußerst professionell nimmt Ester nun die Geschäfte in die Hand und ruft die Nachbarn an, um nach toten Haustieren und zahlungswilligen Trauernden zu forschen. Nuffe, der Hamster, kommt in den Genuss einer würdigen Trauerfeier. Das Bemalen der Grabsteine macht Putte am meisten Spaß. Die Endgültigkeit des Todes ist für ihn noch nicht fassbar und so ist er auch der Meinung: "Wenn es Nuffe besser geht, graben wir ihn wieder aus."
Ester steigert sich immer mehr in ihre Rolle hinein. Sie findet die richtige Tonlage und organisiert im schwarzem Mantel die Trauerzeremonie. Alle Trauergäste empfinden jedoch nicht die Erhabenheit des feierlichen Augenblicks. Die aufgeregten Hühner ignorieren am Grab ihres verblichenen Hahns die Totenruhe. Als die eingefrorenen Heringe aus dem Kühlschrank und die Mäuse aus den Fallen der Großmutter (sehr zum Ärger der Katze) begraben werden, müssen sie getauft werden. Der Fantasie und Erfindungsgabe sind gerade bei den Beobachtungen des Alltags keine Grenzen gesetzt. Jeder der gestorben ist, muss natürlich auch einen Namen haben, denn was soll man sonst auf den Grabstein schreiben. Auch wenn Ester und ihre Freunde im Akkord das Kleinvieh begraben, die Kreativität im Spiel lässt nach. Mit dem Beerdigungskoffer laufen die Kinder nun zur Straße, in der Hoffnung auf große Tierkadaver. Freudestrahlend findet Ester einen Feldhasen. Der Erzähler ekelt sich sehr vor toten Tieren und möchte weder die Feldmaus noch den Hasen anfassen. Auch für Putte entstehen neue Konflikte. Wie werden Menschen begraben? Darf er seine Schmusedecke und sein Plüschtier mitnehmen, wenn er tot im Sarg liegt? Wie ist es mit Keksen und Saft? Ester beantwortet alle Fragen und beruhigt damit nicht nur Putte, sondern auch sich selbst ein bisschen. Den richtigen Trost finden Putte und seine Schwester, wenn sie die "sauguten" Gedichte ihres Freundes hören:
"Leg dich ruhig zur Ruhe nieder,
Du weißt, schon bald seh'n wir uns wieder."
"Der Tod kommt plötzlich um viertel nach vier.
Warum? Warum? Sag es mir."
Und dann sehen die Kinder, wie eine Amsel, nachdem sie gegen eine Scheibe geflogen ist, stirbt. Ohne Vorwarnung erleben die Kinder den Übergang vom Leben zum Tod. Diese kleine Amsel soll nun die beste Beerdigung der Welt bekommen. Das Empfinden der Traurigkeit am Ende der Geschichte ist echt. Der Pragmatismus und emsige Fleiß bei den vorangegangenen Beerdigungen verflogen, der spielerische Elan vergessen.
An diesem aufregenden Sommertag wird viel geredet, gearbeitet und geweint, aber : "Am nächsten Tag machten wir dann etwas ganz anderes."
Niemand möchte seine Kinder traurig machen. Doch Kinder wollen sprechen, Erwachsene wenn möglich lieber schweigen, wenn es um das Thema Tod geht. Aber irgendwann kommen die Fragen. Der steife Käfer, ein überfahrener Igel oder ein Vogel, der vielleicht gerade auf dem Spielplatz aus dem Nest gefallen ist: bereits Kleinkinder erfahren im Alltag, dass Lebewesen nicht unsterblich sind. Der Tod ist im Kinder- und Jugendbuchbereich schon lang kein Tabuthema mehr. Ulf Nilsson hat sich in seiner Bilderbuchgeschichte ";Adieu, Herr Muffin";, auch im Moritz Verlag 2003 erschienen, schon einmal in literarischer Form mit dem Leben und Sterben als Prozess auseinandergesetzt. Herr Muffin, ein Meerschweinchenmann, wird gewürdigt: sein langes Familienleben, sein natürlicher Tod, die rituelle Trauer und die Verarbeitung des Verlustes. Für das Kinderbuch "Adieu, Herr Muffin" erhielt der Autor eine der höchsten Auszeichnung Schwedens, den August Strindberg- Preis.
Durch die Wahl der Tierfigur entsteht eine gewisse Distanzierung beim Betrachter. Wenn ein Kind seinen geliebten Hamster, die Katze oder den Hund verloren hat, kennt es den Schmerz des Verlassenwerdens. Richtig ernst wird es, wenn Oma oder Opa sterben. Die meisten Kinder werden dann mit der Endlichkeit des Lebens doch spürbar konfrontiert.
In seinem lebensnahen, unsentimentalen, linear erzählten Bilderbuch "Die besten Beerdigungen der Welt" eilt der schwedische Autor Ulf Nilsson dem Thema Tod und seiner Sprachlosigkeit voraus und nimmt so dem Beerdigungsritual und der Trauerarbeit durch das Kinderspiel den Nimbus des Geheimnisvollen und Außerordentlichen. In seiner Geschichte stehen Lebensfreude und Traurigkeit gleichberechtigt nebeneinander. Der schwedische Schriftsteller betont die Neugier der Kinder, ihre Intensität im Spiel, ihre Unbefangenheit und die Freude an der Nachahmung ernster Rituale der Erwachsenen. Komisch wirken dabei seine Brechungen, die stellenweise und folgerichtig makaber klingen, z.B. wenn es um die Ameisen geht. "Die leben doch!" "Mir doch egal, wir beerdigen sie, dann sterben die schon." Sicher erstarrt nur der erwachsene Vorleser, wenn Putte seine unbequemen Fragen stellt und genau im Detail wissen will, was er als Toter so alles in den Sarg mitnehmen kann. Dieses Buch bildet auch ohne aktuellen Anlass in der Familie eine gute Basis für Gespräche und vielleicht auch einen gedanklichen Ausflug des Erwachsenen in die eigene Kindheit.
Durch die skeptische Sicht des Ich-Erzählers, der mit seinen zu Beginn noch unbeholfenen Versen seine Ängste vertreibt, findet der Leser Zugang zu der ungewöhnlichen Thematik. Die Kinder spielen, sie streiten, finden ihre Stärken in der Gruppe und erleben einen spannenden Tag. Die Erwachsenen bleiben im Hintergrund, unterstützen aber das Spiel, in dem sie den drei Kindern tote Tiere, sogar den Hahn, dem der Kopf abgeschlagen wurde, überlassen.
Ulf Nilssons Kammerspiel bietet reichlich bildnerischen Erzählstoff. Die schwedische Illustratorin Eva Eriksson unterstreicht mit ihren heiteren, sonnendurchfluteten Aquarellen die Leichtigkeit, mit der der Autor von diesem einen Sommertag, den er als Kind vielleicht so erlebt hat, erzählt. Sie konzentriert sich in ihren Bildkompositionen auf die einfachen Ideen der Kinder. In fast jeder Illustration sind die drei Freunde, mit ihren unterschiedlichen Empfindungen zu beobachten. Text und Illustrationen harmonieren wunderbar miteinander.
Fazit:
Bilderbücher über den Tod haben es schwer. Niemand kann sagen, was denn kindgemäß ist und befriedigende Antworten, wie es nun ist, wenn man tot ist, kann auch niemand geben. Eins schafft Ulf Nilssons Bilderbuchgeschichte aber auf jeden Fall: sie macht nicht traurig und hält gekonnt die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor. Vielleicht hilft sie auch ein wenig dabei, den Tod als etwas Natürliches zu akzeptieren.
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