Oswald - Die Abenteuer einer Sumpfratte
- Sauerländer
- Erschienen: November 2006
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Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*. Kinderbuch des Monats [11.2006]. ";Der Sumpf ist der Fluss des Wassers, und der Fluss des Wassers ist Leben"; – das sagen die Sumpfbewohner Will der Alligator, Preacher der Blaureiher, Rufus der Manati und alle Tiere, die es selbst erlebt haben. Auf seinem Weg durch den Sumpf macht der kleine Ratz Oswald viele wichtige Erfahrungen und begegnet so manchem eigenwilligen Gesellen. Der amerikanische Autor Carter Crocker erzählt eine tiefsinnige und dabei wunderschöne Geschichte über das Leben einer kleinen Ratte, die ihren Platz im ewigen Kreislauf des Lebens findet.
Oswald, einer von zwölf Rattenkindern, ist von Anfang an anders als seine Geschwister. Er beobachtet viel und schweigt. Seine Eltern machen sich ernsthafte Sorgen um den kleinen Ratz, denn im Sumpf lauern überall Gefahren. Doch wie das Schicksal es so will, erwischt es gerade Oswald nicht, als die bösartige Klapperschlange ";Mr. Took";, ";das einzige richtige Ungeheuer im Sumpf";, den Bau von Oswalds Familie überfällt und alle Familienmitglieder auf einen Schlag tötet. Oswald gelingt es, schwerverletzt zwar, zu fliehen.
Und Oswald hat, wie so manches Mal, Glück im Unglück: ";Onkel Will"; – der größte und älteste Alligator, den der Sumpf je erlebt hat und eine lebende Legende – nimmt sich der Sumpfratte an. Will begreift Oswalds Situation, hilft ihm bei dessen Genesung und als es Oswald wieder besser geht, zeigt Will dem kleinen Ratz die Welt des Sumpflandes. Oswald entdeckt das mannigfaltige Leben im Sumpf, begreift sein jahrtausendaltes Gleichgewicht und Will gibt sein ebenso altes Wissen an ihn weiter. Auf dem Rücken des riesigen Alligators schwimmt Oswald durch die Kanäle des Sumpfes und macht so manche Bekanntschaft. Natürlich wird der Alligator da auf seinen ";Fahrgast"; angesprochen (Übrigens, Du hast da ne´ Ratte auf dem Rücken, ich mein ja nur…), doch Will erwidert stets, dass der kleine Oswald heisse aber nicht gerne rede. Dabei ist Oswalds Sprachlosigkeit nicht unbedingt von Vorteil, denn viele Tiere des Sumpfes fassen sein Schweigen als Feindseligkeit auf. Doch auch hier hat der weise Will nachgedacht und setzt Oswald eines Tages an einer kleinen Insel ab, wo Oswald Spielkameraden findet. Dort verbringt er die erste vergnügliche Zeit seines Lebens – und siehe da: Oswald spricht tatsächlich seine ersten Worte. ";Emma"; ein Rattenmädchen, bewegt ihn so tief, dass sein erstes Wort spricht und darauf viele weitere folgen. Will macht aus der Tatsache, dass Oswald endlich spricht, wie immer keine große Sache: ";Was Du nichts sagst"; ist sein einziger Kommentar – doch wir ahnen, wie glücklich der alte Alligator darüber ist.
Ihr Glück ist jedoch bedroht.Der Sumpf trocknet zunehmend aus und in den Zeiten, in denen es regnen sollte, bleibt der Regen aus. Die Situation spitzt sich für die tapferen Sumpfbewohner zu und die Angst unter ihnen wächst. Das Teilen fällt ihnen zunehmend schwer. Diese Unsicherheit nutzt der selbsternannte Prophet ";Bubba"; für sich – ein ziemlich eigensinniger und aufrührerischer alter Storch – und er ist dabei nicht gerade von großer Hilfe. Im Gegenteil: Stets schiebt er einer Tiergattung die Schuld an der zunehmendenTrockenheit zu. Mal sind es die Vögel und mit ihnen, alles was fliegen kann, schuld an dem Dilemma; denn ihr Flattern vertreibt die Regenwolken. Ein anderes Mal sind es die Schildkröten, die Löcher für ihre Behausungen in die Erde graben, durch die aber das Wasser abfliesst und den Sumpf mehr und mehr trocken legen. Als der Sumpf aber auch noch von einem großen Feuer heimgesucht wird, ist es schließlich Oswald selbst, der das Unglück über die Bewohner gebracht hat. Die Tiere sind ebenso gutgläubig wie verzweifelt, jeder versucht, sich und seine Familie, seine Art durch die schwere Zeit zu bringen – und so glauben sie schließlich dem verrückten Storch und schließen Oswald einer nach dem anderen aus ihrer Gemeinschaft aus. Noch hat Oswald seinen alten Freund Will, doch der hat es zunehmend schwer, in dieser verbrannten Landschaft einen schützenden Lebensraum zu finden. Oswald will die Bewohner des Sumpfes in Sicherheit bringen und findet heraus, dass sich auf einer kleinen Insel, dem ";Alligator-Hole"; von Will, das einzige Fleckchen Sumpf wo es noch Wasser und Nahrung gibt, befindet. Doch als er zurückkehrt, wollen ihm die anderen Tiere nicht einmal zuhören.
Schließlich geschieht, vor dem sich der Alligator so viele Jahre zu schützen wusste: Zwei Jäger schießen ihn an und verletzen ihn schwer. Als Will stirbt, ist Oswald allein – auch sein alter Freund Preacher, der Blaureiher, kann nichts ausrichten, um Bubbas Hetzkampangnen zu stoppen. Nachdem er von anderen Ratten verprügelt wird, beschliesst Oswald die Gemeinschaft endgültig zu verlassen. Doch dann steht ihm plötzlich Emma bei. Sie weigert sich, ihren Freund zu verlassen.Eine Geste, die auch andere ermutigt, endlich Zivilcourage zu zeigen und sich gegen die Verleumdungen Bubbas zu stellen…
Ein kleiner Maulwurf erzählt die Geschichte um den kleinen Ratz Oswald. Der Maulwurf erfährt vieles von den Vögeln, die ihm die Geschichten des Sumpfes erzählen. Und die führen uns in eine faszinierend schöne Welt mit zahlreichen schicksalhaften Wendungen. Und wenn der kluge Samtpelz sich, wie der Autor selbst, zwischendurch ";einmischt"; dann nur, um uns zu verdeutlichen, dass alles die reine Wahrheit ist – zumindest fast, denn ein paar Dinge musste er sich eben selbst zusammenreimen.
Die wunderbaren, einfühlsamen Beschreibungen des Lebens im Sumpf liefern die Basis für diese, an sich doch so schlichte Geschichte. Carter Crocker lässt stets eine Tiefgründigkeit mitschwingen, die sich jedoch nicht aufdrängt, sondern neugierig und nachdenklich macht. Mit kleinen, wiederkehrenden, poetischen Wiederholungen wie etwa, dass der Frühling in den Sommer übergeht, ohne dass es jemand bemerkt, stellt er auf berührende Weise dar, wie die Zeit unmerklich vergeht und die Not darüber wächst. Dabei verirrt sich Crocker niemals in kitschiger Pathetik. Eher zurückhaltend und objektiv beschreibt er die dramatischen Wendungen – dabei zeigt er durch die vielen kleinen Episoden zwischendurch seinen hintergründigen Sinn für Humor. Dass die Geschiche dabei so spannend und unterhaltsam ist, ist sicherlich dem Erzähltalent von Carter Crocker zu verdanken sowie seiner Fähigkeit, sehr eigene, authentische Charaktere zu schaffen. Hier gibt es allerlei ulkige Nebendarsteller, die, gleich einem ";Running Gag";, in gewisser Kontinuität in der Geschichte ihre Rolle spielen und dem Buch eine durchweg optimistische Grundstimmung verleihen. Mit einem freundlichen Augenzwinkern schafft er so sehr dichte und eigenwillige Charaktere; schreibt den Tieren, gleich wie in einer Fabel, menschliche Eigenschaften zu, hält uns Menschen auf seine unaufdringliche Weise den Spiegel vor. Denn auch die Mittel, die er einsetzt, um jedem Tier seine Rolle zu geben, beeindrucken. In seinen Beschreibungen erfahren wir viel Toleranz. Auch in der Charakterisierung des intriganten Propheten ";Bubba"; findet er jene neutralen Worte, die es nicht besser hätten treffen können: ";Ich weiß nicht, was mit diesem Vogel los war. Er hatte etwas in sich, ein Körnchen Schmutz, das sich an seiner Seele wetzte. Wenn die Sumpfbewohner ruhig und gelassen waren, musste er sie in Rage bringen. Wenn alles still war, musste er Lärm machen. Wenn dieses Korn ihn juckte, musste er sich kratzen.";
Die Botschaften an uns Leser, allen voran an die Kinder, sind klar und lassen dennoch viel Spielraum für eigene Interpretationen. Ganz wie Will sich dem kleinen Oswald zuwendet, so wendet sich auch Crocker an uns. ";Pass gut auf, wo du bist und wo du hinwillst. Du wirst dir nämlich schon bald deinen eigenen Weg suchen müssen."; Sind einer seiner Sätze, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte ziehen. Die Geschichte um Oswald zeigt liebevoll auf, worauf es im Fluss des Lebens ankommt – doch ganz wie Will, schreibt sie nichts vor und lässt auch dem Fluss unserer Gedanken ihren eigenen Weg. Dies wird durch die wiederkehrenden Passagen aus dem ";Sumpflied"; und aus den ";Sumpfsprichworten"; am Anfang eines jeden Kapitels auf feinsinnige Weise unterstützt; ebenso wie die Geschichten, die der Alligator Will und seine Freunde erzählen, geben sie der verzauberten Atmosphäre ihren eigenen Klang.
Ein Sumpfsprichwort lautet: ";Kein anderes Wesen erträgt, was ein Alligator in seinen Träumen sieht."; Dabei ist die Wahl des Alligators als das Tier, dessen Erinnerungen bis an den Anfang der Zeit zurückreichen, wirklich treffend. Denn in Crockers Erzählung vererben Alligatoren ihre Erinnerungen seit Anbeginn ihrer Zeit an ihre Nachkommen. Je näher das erahnte Ende des alten Alligators Will rückt, desto weiter reichen seine Erinnerungen bis an den Anfang der Zeit zurück und Oswald begreift, dass er nur ein winziger, aber dennoch bedeutsamer Teil im Kreislauf des Lebens ist.
Erwähnenswert ist auch die engagierte Arbeit der Übersetzerin Cornelia Krutz-Arnold. Sie transportiert nicht nur sehr einfühlsam das amerikanische Original in die deutsche Sprache, sie liefert außerdem noch viele Zusatzinformationen; ihre Kommentare und Erläuterungen erleichtern es dem hiesigen Publikum, sich von der fremden Welt der Sümpfe ein Bild zu machen (z.B. was ein ";Atemknie"; ist) und gibt auch Erklärungen zu ganz eigenen, amerikanischen Wortschöpfungen, wie zum Beispiel, dass ";Preacher"; in den USA eine volkstümliche Bezeichnung für Blaureiher ist.
Carter Crocker, in Alabama (USA) geboren und aufgewachsen hat mit ";Oswald – Die Abenteuer einer Sumpfratte"; sein erstes Kinderbuch geschrieben. Er schreibt Fernseh-Drehbücher, für die er bereits zwei Emmys gewonnen hat.
Fazit:
Ein wunderschönes Buch, das durch seine zarte und unaufdringliche Poesie berührt. Carter Crocker stattet selbst seine kleinsten Nebenrollen mit so viel Charakter aus, dass es einfach faszinierend ist, in dieser wunderbar stillen und geheimnisvollen Welt zu versinken. Wohlüberlegt, fast behutsam, setzt er seine Worte und zeigt oft frappiernde Ähnlichkeiten zu unserem sozialen Miteinander auf.
Carter Crockers Geschichte um Oswald, die Sumpfratte, ist von beeindruckender erzählerischer Dichte, in ihrer Tiefgründigkeit versprüht sie ebenso viel Optimismus wie Humor – eine Mischung, die das Buch sowohl wertvoll als auch unterhaltsam macht.
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