Ferien einmal anders
Noahs Lage ist misslich: seine Mutter hat einen neuen Job angenommen, weswegen sich seine Eltern voraussichtlich endgültig trennen werden. Daher fällt ein gemeinsamer Sommerurlaub flach und die Aussicht, die gesamten Ferien bei seiner Oma in Venedig zu verbringen, ist auch nicht rosig. Noah hat seine Oma bisher erst einmal an einem weit zurückliegenden Weihnachtsfest gesehen und eher peinliche Erinnerungen daran, wie sie stark geschminkt und sehr laut vor dem Weihnachtsbaum singend die Bescherung verzögerte.
Noahs Empfang am Flughafen fällt dann auch recht wenig herzlich aus und überhaupt ist Violetta Ferrari wenig omahaft. Noah darf sie auf keinen Fall „Oma“ nennen, für ihn gibt es in der winzigen Wohnung kein richtiges Bett und regelmäßige Nahrungsaufnahme steht auf Violettas Prioritätenliste auch nicht ganz oben. Außerdem beginnt sein erster Ferientag in Venedig mit schrillem Weckerklingeln kurz vor sechs Uhr und der Erkenntnis, dass Noahs Oma einen Kiosk, eine „Edicola“, betreibt, der jeden Morgen 7 Uhr öffnet.
Langweiliges Venedig – oder doch nicht?
Noah verbringt seine Tage also wenig spektakulär hauptsächlich am Kiosk oder irgendwo im Schatten sitzend und zeichnend. Einzig Ombretta, die Tochter einer Kellnerin aus einem nahegelegenen Hotel, turnt ab und zu um ihn herum. Doch Noah, von Selbstzweifeln und Unsicherheit geplagt, will lieber nichts mit ihr zu tun haben.
Es hätten also recht eintönige, fast langweilige Ferien werden können, wenn Noahs Oma nicht voller Geheimnisse stecken würde. Sei es Violettas turbulente Lebensgeschichte oder die Erkenntnis, dass sie mit ihrem hohen Alter nicht mehr so fit ist wie früher. Als Violetta dann auch eines Morgens vor Schmerzen im Kiosk zusammenbricht, sind Noahs ganzer Mut und Entschlossenheit gefordert…
Sommerferien in Venedig – das klingt toller, als es mitunter sein kann. Während andere Kinder stundenlang im Meer baden oder hohe Berggipfel erklimmen, wird Noah mehr oder weniger zum Arbeiten gezwungen. Zwar ist Venedig trotz Hitze und Touristenströmen ein wunderschöner, geheimnisvoller Ort, doch Noah zeichnet sich nicht durch großes Selbstbewusstsein aus, um in Venedig auf eigene Faust Abenteuer zu erleben.
Zwei Pole – eine Familie
Damit unterscheidet er sich massiv von seiner selbstbewussten und energiegeladenen Oma, die wiederum ihren Enkel wahrscheinlich ziemlich langweilig findet. Doch in beiden steckt mehr, als ein erster Blick vermuten lässt. Edgar Rai erzählt mit Kiosk, Chaos, Canal Grande nicht nur eine unterhaltsame Ferien-Abenteuer-Geschichte, sondern auch etwas über Menschen und darüber, dass es sich lohnt, hinter ihre Fassade zu blicken. Rai gelingt es, diese essentielle Botschaft wunderbar leicht und sommerlich fließend unterzubringen, in dem er die Handlung aus Noahs Perspektive erzählt. Junge Leser*innen können sich daher gut in Noahs Situation hineinversetzen und mit ihm fühlen. Nach dem schockierenden Einstieg (Wer hat schon Lust, den Sommer bei einer unbekannten Oma zu verbringen, die sich dann auch noch als Schrulle entpuppt?) hat Rai noch ein paar andere Brocken parat, denen Noah aber mit zunehmendem Selbstbewusstsein und einer erwachenden Neugier begegnet.
Diese leicht erzählte und doch tiefgründige Geschichte ist in 30 kurze Kapitel unterteilt, die sich gut zum Vor- aber auch zum Selberlesen eignen. Die Charaktere wirken teilweise etwas überzogen, aber immer noch überzeugend, glaubwürdig und vor allem unterhaltsam. Vereinzelt lockern fröhliche schwarz-weiß-Zeichnungen die Kapitel zusätzlich auf.
Fazit
In Kiosk, Chaos, Canal Grande steckt mehr, als der Titel vielleicht vermuten lässt – neben einer abenteuerlichen Feriengeschichte geht es vor allem um Stärke, Mut und Selbstvertrauen. Und ab und zu auch um Nudeln.
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