Von der Bauchmutter zur Herzensmutter
Knut und Ida sind wenig begeistert, als ihre Mutter sie auffordert, mit dem neuen Mädchen, das in der Nummer 5 in der Straße lebt, zu spielen. Viel lieber holen sie sich beim Eismann ein Zitroneneis. Doch da taucht das Mädchen gleich hinter ihnen am Eiswagen auf und spricht Knut und Ida an. Die beiden kommen ins Staunen, als ihnen das Mädchen erklärt, sie habe vier Namen. Als Knut meint, dass sich da die Mutter wohl nicht entscheiden konnte, erklärt Luna Debora Gretel Victoria, dass ihr eben jede ihrer vier Mütter einen Namen gegeben hat: Die Mutter, die sie geboren und zur Babyklappe gebracht hat, die Mutter, die sie aus der Babyklappe genommen und gewärmt hat, die Mutter, die sie zur Pflege bei sich aufgenommen hat und die Mutter, deren Herz sie rührte und die sie fest zu sich genommen hat.
Ungewöhnliche Geschichte gut erzählt
Angepriesen wird das Buch als Liebeserklärung an alle Mütter. Doch diese Bezeichnung wird der präsentierten Geschichte nicht gerecht. Denn hier legt die Autorin Frauke Angel etwas vor, das sowohl als Plädoyer für Toleranz und Offenheit verstanden werden kann, wie auch als Grundlage, die eigenen Sichtweisen zu überdenken und eine Situation von einem ganz neuen Standpunkt aus zu betrachten. Die Nonchalance, mit der das Mädchen Luna Debora Gretel Victoria über ihre Begegnungen mit einer ganzen Reihe von Müttern spricht, hat etwas Bestechendes. Das Mädchen kann jeder seiner Mütter viel Gutes abgewinnen und stellt ihre teils temporäre Funktion nicht in Frage. Im Wissen darum, dass es auch für ein sehr offenes Kind nicht ganz so einfach ist, sich dem jeweiligen Loslöse-Prozess zu stellen und ein neues Lebensumfeld zu akzeptieren, kann es doch ein Fingerzeig darauf sein, Vorurteile über Bord zu werfen und das Gute in einer Situation, die man nicht ändern kann, zu suchen. Sehr schön geschildert ist aber auch die Szene, in der sich die Nachbarskinder von ihrer Mutter nicht dazu drängen lassen wollen, das neue Kind in der Strasse kennen zu lernen – um dann in einer weniger herbeigeführten Situation genau das doch zu tun.
Witzig und doch irgendwie auch traurig
Zunächst besticht das Bilderbuch durch eine witzige und lockere Erzählweise. Und doch vermag die Erzählweise das eigentlich Tragische an der Geschichte nicht zu verschleiern. Aufmerksame Kinder werden schnell Fragen stellen, darunter auch jene, was eine Bauchmutter eigentlich ist, wieso diese Bauchmutter das Kind in eine Klappe gelegt hat – und ob die eigene Mutter auch die Bauchmutter ist. Da braucht es Fingerspitzengefühl, dem Kind die Sachlage so zu vermitteln, dass es nicht in eine Phantasiewelt abtaucht und die familiäre Geborgenheit bedroht sieht. Da lässt der Text der Autorin sehr viel Spielraum, was die Erwachsenen auffordert, sich mit dem Kind intensiv über das Thema Familie zu unterhalten. Auch kann die kleine Protagonistin nicht so recht überzeugen, sie wirkt weniger unkompliziert als leicht trotzig und herausfordernd.
Die Bilder sind einfach und knallend
Bei der Illustration hat sich Mehrdad Zaeri für eine sehr klare und schnörkellose Bildsprache entschieden. Die Bilder sind einfach gehalten und kommen mit einem knallenden Farbkonzept daher. Hier stellt sich die Frage, ob eine etwas weniger grobe Bildgestaltung nicht mehr Wärme vermitteln und mit der Aussage des Textes besser korrespondieren würde.
Fazit
Das Bilderbuch spricht ein wichtiges Thema an, vermag ihm aber letztlich nicht ganz gerecht werden. Dazu werden zu viele Fragen aufgeworfen, die zwar auf den ersten Blick nicht unbedingt erscheinen, doch bei der Auseinandersetzung mit dem Buch letztlich im Raum stehen.
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