Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*. Am Ende des dritten wieder voluminösen Bandes heißt es Abschied nehmen vom selbstverliebten wie sympathischen Dschinn Bartimäus und seinem Hexenmeister, dem machtversessenen John Mandrake. Der respektlosen Quasselstrippe Bartimäus geht langsam die Luft aus, denn die ausgelaugte Substanz des übernatürlichen Luft- und Feuerwesens leidet ernsthaft unter den gnadenlosen Aufträgen seines Zauberers. Das britische Weltreich befindet sich im Krieg, die Gewöhnlichen revoltieren und die Regierung lebt wie eh und je in Saus und Braus. Als der Zauberer Makepeace durch einen schrecklichen Gewaltakt die Regierungsmacht an sich reißt, ahnen weder Mandrake noch sein mürrischer Dschinn, wie nah sie sich noch kommen werden und das im doppelten Sinn…
John Mandrake, der ja eigentlich Nathanael heißt, was allerdings weiterhin nur der Wüstengeist Bartimäus und der Leser weiß, ist mit seinen nun 17 jungen Jahren in der Regierung der Zauberer im britischen Weltreich vom Leiter der Abteilung für Inneres zum Informationsminister aufgestiegen. Als Hätschelkind des Premierministers Devereaux, der mehr an köstlichem Essen und Theaterpremieren seines Günstlings, des Zauberers und Schauspielers Quentin Makepeace interessiert ist, organisiert er die Propagandamaschine für den anhaltenden Krieg gegen Amerika. Doch an allen Fronten sieht es für die herrschenden Anzugträger, die Zauberer, nicht gut aus. Zwar ist die Gruppe der aufständischen Menschen, die als Gewöhnliche bezeichnet werden, zerfallen und doch macht sich Unzufriedenheit bei den Untertanen breit. Sie leiden wie die Dämonen unter dem Krieg und auch Bartimäus müsste durch eine längere Pause am Anderen Ort seine Substanz wieder aufpäppeln. Aber der herzlose Mandrake, der sich zu einem stattlichen, arroganten Jüngling entwickelt hat, kennt keine Gnade. Der exzentrische Prahlhans Bartimäus muss sich bereits von weiblichen Dämonen besiegen lassen. Zu seiner Schande landet er auch noch unter einem Gebäude für ganz spezielle, intime Zwecke. ";Ach, was soll's – es war ein Klohäuschen.(…) Ich war jedenfalls froh, dass in diesem Augenblick weder Harfenspieler noch Chronisten des Weges kamen."; Was ist nur aus dem großartigen, die Welt bezwingenden 5000 alte Jahren Dschinn geworden? Voller Wehmut erinnert sich Bartimäus an seinen ersten ägyptischen Meister, in dessen junge Gestalt er so gern schlüpft. Ptolemäus hatte Mitgefühl für die ausgebeuteten Dschinn, Afriten, Foliot oder Kobolde und versuchte nie sie zu knechten, sondern wollte sie verstehen. Als einzigem ist es ihm geglückt, an den Anderen Ort zu gelangen. Doch kurz darauf verstarb er. Warum und welches Geheimnis steckt hinter der Pforte?
Für seinen stolzen, von krankhaftem Ehrgeiz zerfressenen Meister John Mandrake empfindet Bartimäus nur noch Hass, obwohl die beiden ja schon eine ganze Reihe von lebensgefährlichen Abenteuern gemeistert haben, wie das Amulett von Samarkand aus den Fängen des gierigen Zauberers Simon Lovelace retten oder den Golem besiegen. Mandrake befehligt im Untergrund eine Reihe von Spitzeln, die ob Dschinn oder Mensch herausfinden sollen, wieso die Gewöhnlichen schon seit längerer Zeit in der Lage sind, die Dämonen zu enttarnen. John Mandrake sieht, trotz ununterbrochener Kriegspropaganda, wie die Regierung in London mit offenen Augen der Probleme nicht Herr wird und plädiert für die Aktivierung des magischen Stabes von Gladstone, dem Begründer des britischen Weltreiches. Aber der Premier erteilt John Mandrake eine gehörige Abfuhr. Sein Stuhl wackelt wieder mal und so muss Bartimäus es richten.
Inzwischen erfährt der Leser, dass die mutige Kitty im Land untergetaucht ist und bei einem Zauberer die Bibliothek ordnet. Wie wichtig eine gute klassische Ausbildung ist, begreift sie, als sie entdeckt, dass sie die wichtigste Schrift vom legendären Ptolemäus nicht lesen kann. Hinter Mandrakes Rücken hatte Bartimäus Kitty, die vormals zu den Aufständischen gehörte und dem jungen Zauberer im Kampf gegen den Golem das Leben rettete, fliehen lassen. Mandrake denkt ab und zu an das rebellische Mädchen und ahnt nicht, dass sie insgeheim das Beschwören von Dämonen erlernt. Sie wird sogar Bartimäus in ihr Pentagramm holen, um ihn aufzufordern sich gemeinsam mit den anderen Geistern gegen die Zauberer aufzulehnen. Doch eine Organisation der unterdrückten, eigenwilligen Fabelwesen hält der Dschinn für abwegig. Als John Mandrake zu Ohren bekommt, das Kitty unter falschem Namen in London lebt, steigert sich seine Wut auf Bartimäus, der bei einem seiner Spitzeldienste in einer verschlossenen silbernen Suppenschüssel landet und beinahe seinem Ende entgegensieht. Bevor er sich wie durch ein Wunder aus der sehr fettigen Suppe befreien kann, kommt er auf die Spur des geheimnisvollen Mr Hopkins.
Die Leser des zweiten Bartimäus-Bandes erinnern sich sicher seiner unrühmlichen Rolle bei den Aufständischen, die den Gladstone Stab rauben wollten. Als Bartimäus Hopkins folgt, erkennt er im entscheidenden Moment, dass nicht der fade Hopkins vor ihm steht, sondern sein Erzfeind Dschinn Faquarl. Dieser weidet sich an Bartimäus schwacher Substanz und offenbart dem zu Tode geweihten das Geheimnis seines Herrn. Der Schauspieler und genial verrückte Zauberer Makepeace, der Drahtzieher hinter allen Gemeinheiten, die sich in Strouds Mehrteiler häufen, hat herausgefunden, wie man Dämonen in die Körper der Zauberer schleusen kann. Möglicherweise verlieren die Opfer ihren Verstand, aber der Dämon verfügt über eine unerkennbare Tarnung in einem menschlichen Wirtskörper. John Mandrake, der in seiner Blindheit dieses Zauberexperiment bei Makepeace bereits gesehen hat, ohne an die Folgen zu denken, lauert Kitty auf und zwingt sie in die Theatervorstellung seines Freundes Makepeace mitzukommen. Dieser verschließt die Türen, denn alle einflussreichen Politiker wollen oder müssen sein neues Stück sehen und beschwört den unglaublich mächtigen Afriten Nouda, der in Makepeaces Körper einfahren wird.
Und nun geschehen die grausigsten Szenen des Buches, denn wer nicht für den irren Hexenmeister Makepeace ist und sich als Zauberer mit einem Afriten oder Dschinn vereinigt, ist gegen ihn und wird gefressen. John Mandrake, der durch seine Gespräche mit Kitty und die widerliche Machtgier Makepeaces, die Zaubererwelt mit Distanz und Abscheu betrachtet, muss nun seine Sympathie für seinen "; Freund"; Makepeace heucheln, um Kitty und sein Leben zu retten. Aber alles läuft aus dem Ruder, denn die entfesselten Dämonen übernehmen durch die Unfähigkeit der Zauberer die Macht und üben Rache für ihre Knechtschaft. London geht in Flammen auf. In einem bravourösen Akt verbindet Jonathan Stroud nun alle Zauberercharaktere und magischen Artefakte in einem aufregenden Showdown.
John Mandrake und Bartimäus werden gemeinsam mit List und dem Gladstone Stab gegen Nouda kämpfen. Gleichberechtigt verbinden sich ihre Körper so, dass Mandrakes Verstand nicht leidet. "; Klar, es dauerte eine Weile, bis wir den Bogen raushatten, und es gab ein paar peinliche Situationen, als unsere Körper zwei verschiedene Tätigkeiten gleichzeitig ausüben wollten, aber wir bekamen uns immer erstaunlich schnell in den Griff, sodass es weiter nichts schadete."; Nach dem Motto gemeinsam sind wir stark, besiegt die kleine Schicksalsgemeinschaft die Ungeheuer in Menschengestalt. Und nun riskiert Bartimäus wieder eine große Klappe, da er die Gedanken Nathanaels hören kann. Eine gute Gelegenheit ihn wieder mit wunderbaren, sarkastischen Hieben zu veralbern. Nathanael entdeckt in all den existentiellen Gefechten wieder seine menschlichen Empfindungen. Bartimäus kann es nicht lassen, ihn mit seiner Zuneigung zu Kitty zu piesacken. Aber Jonathan Stroud ist ein konsequenter Erzähler und lässt seine beiden Helden am Ende keine Freunde werden und doch einander besser verstehen. Der unsentimentale Schlussdialog, in dem Nat über sich hinauswächst, bewegt und schlägt den wunderbar ironischen Ton an, den jeder Leser am ersten genialen Bartimäus-Band so liebt. Bartimäus wird bei diesem aussichtslosen Kampf gegen die gigantische Zaubermacht nicht sterben, denn Nat entlässt seinen Dschinn per Formel bevor alles unter Glas und Eisen zusammenbricht. Aber John Mandrake wird nach dem Bravourstreich nicht mehr auftauchen. Der Aufbau eines neuen, demokratischen Landes obliegt den Menschen und den wenigen noch lebenden Zauberern.
Der jungenhaft, unbeschwert wirkende, sein Publikum begeisternde Brite Jonathan Stroud sagte sehr treffend nach einer Lesung in Berlin:
";Wenn man den Leser nicht vom ersten Moment an seiner Seite hat, dann wird er das Buch in die Ecke werfen. Ich versuche immer in regelmäßigen Abständen viel Action und Humor einzubauen und wechsle ebenso regelmäßig die Perspektive des Erzählers. Der Leser muss immer in Bewegung bleiben, er weiß nicht genau, was ihn erwartet und das ist meine Art, die Aufmerksamkeit des Lesers zu erreichen.";
Auch im dritten Band folgt Stroud seiner Erfolgsmaxime auf 600 Seiten. Wie in jedem guten Entwicklungsroman verändern sich die Hauptfiguren durch die Ereignisse, die sie bewältigen müssen. Das Verhältnis zwischen Nathanael und Bartimäus (sein Name stammt aus der Bibel) wandelt sich so von Band zu Band. Beide durchleben alle Höhen und Tiefen einer engen Beziehung.
Stroud dazu: ";Es ist für mich faszinierend, diese beiden Charaktere zu haben, da beide aus der moralischen Perspektive betrachtet ambivalent sind, aber zusammen wieder das Gleichgewicht herstellen. Das ist das Herz des ganzen Buches. ";
Durch die verschiedenen Erzählperspektiven, Nathanael, Kitty und Bartimäus, beschleunigt der Autor in seinen Romanen das Erzähltempo und er verbindet geschickt durch Rückblenden oder Fußnoten im Bartimäus-Teil die Ereignisse der vorangegangenen Jahre. Glaubt man, dass diese ewigen Putschversuche der Zauberer nicht zu toppen sind, so beweißt Stroud im dritten Band das Gegenteil. Auch wenn in allen Büchern inhaltlich jeweils neue Schwerpunkte gesetzt werden, geht es doch immer wieder um Ränkespiele und politische Machtkämpfe unter den Zauberern und um Regierungskrisen. Jonathan Stroud:
"; Es ist einfach schön, satirische Elemente über Großbritannien und die Welt heute in die Fußnoten einzuarbeiten. Aber ich mache keine direkten Kommentare über spezifische Parteien oder Politiker. Ich glaube in Großbritannien und vielleicht in Deutschland sind die Leute von vielen Politikern enttäuscht. Sie trauen ihnen nicht und das Buch reflektiert das.";
Jonathan Stroud schreibt in dieser typisch britischen Art, indem er ernsthafte Themen mit Leichtigkeit und Enthusiasmus in humorvollen, wie ironischen Geschichten verarbeitet.
"; Ich glaube, das Buch schafft einen angenehmen Ausgleich zwischen dem Humor und der Leichtigkeit von Bartimäus, dem Dschinn, der seine Form wechseln kann. Er ist schnell, sehr schnell und macht viele Witze. Die menschlichen Charaktere sind viel ernster und mehr mit der Erde verbunden und da ist ein Ausgleich zwischen Leichtigkeit und Schwere in diesem Buch. Die Politik ist relativ ernsthaft und auch die Erziehung von Nathanael und Kitty. Diese Seite ist etwas pessimistisch. Ich glaube, das ist sinnvoll, da viele Fantasy-Bücher vor den realen Anforderungen des Lebens in eine Scheinwelt fliehen oder mit viel zu vielen Witzeleien und Spezialeffekten aufwarten. Meine Meinung ist, es funktioniert besser, wenn man eine Mischung aus Magie und den irdischen Elementen hat.";
Bei J.K. Rowling gibt es einen Medienhype, wenn es darum geht, wird H.P. nun sterben oder nicht. Jonathan Stroud ist da viel konsequenter. Er lässt seine Hauptfiguren entschwinden, sicher nicht aus der Angst heraus, jemand könnte seine Geschichte aufnehmen und weiterschreiben.
Fazit:
Bereits für den ersten Bartimäus-Band hätte Jonathan Stroud mit Auszeichnungen überhäuft werden sollen. Nun bekommt er verdient neben Kazuo Ishiguro, Necla Kelek, Bertina Henrichs, Kurt Biedenkopf, Klaus Maria Brandauer, Tim Flannery und Diana Gabaldon für seinen dritten Band
";Bartimäus – Die Pforte des Magiers"; den Internationalen Buchpreis Corine 2006 am 24. September verliehen.
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