[ab 5 Jahren]
Wie schmerzhaft ist es schon für Erwachsene zu erkennen, dass sich ein geliebter Mensch mit dem Alter und mit einer Krankheit unumkehrbar verändert? Wie schwer aber muss es für Kinder sein, solche einschneidende Veränderungen zu spüren und die damit einhergehenden Gefühle verstehen und zuordnen zu können. Jutta Treiber und Jens Rassmus zeigen in ihrem gefühlvollen Bilderbuch ";Der Großvater im rostroten Ohrensessel"; vor allem eines: Verständnis.
Der kleine Junge – der durchaus auch ein Mädchen sein könnte – erzählt von seinem Großvater. Mit ihm teilt er so viele schöne Momente. Der Großvater ist immer für ihn da. Sie lesen zusammen Bücher und Großvater hört sich auch seine Sorgen an. Er ist gutmütig und sanft.
Doch der kleine Junge nimmt uns auch mit ins Krankenhaus, denn da sitzt der Großvater nun im Rollstuhl. Von diesem Großvater kann der kleine Junge nicht viel erzählen, es ist ihm befremdlich und er fühlt sich nicht wohl. Doch zum Glück wartet zu Hause der Großvater wieder in seinem rostroten Ohrensessel auf ihn, mit einem Bilderbuch. Gerade als sie so richtig in der Geschichte versunken sind, hört er seine Mutter sagen ";Ich mach mir Sorgen um das Kind. In der letzten Zeit spricht es mit sich selbst…";, bevor sie das Zimmer des Jungen betritt. Der Großvater ist aus dem Zimmer geflogen, das Zimmer leer. Auf die Frage ob alles in Ordnung sei, antwortet der Junge mit einem Nicken, um dann schnell seinem Großvater nach zu fliegen – hinauf in den Kastanienbaum, den Mond anschauen…
Wir erfahren übrigens noch von einem gestorbenen Opa, der auf dem Friedhof liegt und an den der kleine Junge keinerlei Erinnerungen hat. Zugegeben es ist nicht auf Anhieb leicht zu verstehen, dass Jutta Treiber diesen Opa schlicht ausschließen muss, damit Kinder verstehen, dass der Großvater im Krankenhaus und der Großvater im rostroten Ohrensessel ein und derselbe Großvater sind.
Jutta Treibers sparsamer Umgang mit Worten ist mehr als passend. Ihre klaren, einfachen Sätze wirken wie die Bestätigung des Offensichtlichen. Ihr geht es nicht darum aufzuzeigen, welchen Weg es gilt einzuschlagen, um mit tiefen Gefühlen oder einschneidenden Erlebnissen umzugehen oder darüber gar zu empfehlen, wie sich das Umfeld entsprechend verhalten soll. Sie versucht nicht zu erklären, was genau vor sich geht, wenn schon allein die Veränderung des Geruches große und vor allem neue Empfindungen auslöst. Sie macht einfach deutlich, dass es gut und richtig auch für Kinder ist, überhaupt eigene Gefühle zu haben.
Jens Rassmus hat diese feinfühlige und zurückhaltende Geschichte bebildert und wer das im Frühjahr erschienene Buch ";Der große Klong"; (ebenfalls bei Dachs erschienen) gesehen hat, wird den Illustrationsstil sofort wieder erkennen. Auch für ";Der Großvater im rostroten Ohrensessel"; wählt der Hamburger Illustrator die gleiche ansprechende und harmonische Komposition, nutzt diese aber noch mal verstärkt zur Unterstützung von Intention und Dramaturgie der Geschichte.
Mit unterschiedlichen Gestaltungsebenen und Ausstaffierungen trennt er die emotional bedeutsamen und klaren Erinnerungen an den Großvater von der phantasievoll untermalenden Gefühls- und Gedankenwelt. Wer aufmerksam hinschaut erkennt gleich, dass die gesamte Geschichte in dem Kinderzimmer des Jungen spielt und wir verlassen dieses auch nur kurz, wenn wir den Großvater im Pflegeheim besuchen. Der grüne Boden des Kinderzimmers markiert das Fundament und den Ausgangsort der Erinnerungen des Jungen. Der Großvater auf dem Ohrensessel, Bücher, der Junge selber und sein Stofftier, ein putziger kleiner hellgrüner Hase mit langen Löffeln, sind in betont kräftigen Farben, mit weicher Strichführung und stimmungsvoll ausbalancierter Farbgebung dargestellt. Dem Großvater und dem Jungen steht das Glück über ihre Zweisamkeit förmlich ins Gesicht geschrieben, die Vertrautheit und feste Bindung ist mit jeder Geste beinahe greifbar. Der große rote Ohrensessel hält den Großvater in den Erinnerungen des Jungen fest. Auf der, vor allem in grünen Farbtönen realisierten, Umgebung tritt er deutlich hervor, verspricht Stabilität und Sicherheit. Rings um den Boden – also räumlich gesehen die Wände nutzend – finden wir die ergänzende Gedankenwelt des Jungen, die sich mit Schraffuren und leichten Linien eher zurückhaltend, aber dennoch mit genügend Lebendigkeit darstellt. Sie nimmt Bezug auf die Bilderbuchwelt in die der Junge mit seinem Großvater eingetaucht ist. Entsprechend arbeitet Jens Rassmus noch eine dritte Gestaltungsebene ein, wenn dann tatsächlich ein Bilderbuch auf dem Schoß des Großvaters geöffnet wird und wir ihm über die Schulter blicken können. Kurz bevor die Mutter am Ende der Geschichte ins Zimmer kommt, sind Großvater und Enkel genau in dieser verbindenden Bilderbuchwelt vereint.
Diese wirklich beeindruckende und unbeschwerte Mischung ist nicht nur wunderschön anzusehen, da sie so treffend die Gefühlswelt einfließen lässt, sondern sie schafft auch eine behutsame Intimität und vermittelt das Gefühl, der besonderen Beziehung zweier Menschen nahe sein zu dürfen. Denn auch das wird am Ende deutlich, diese Gefühle und Erinnerungen offenbaren sich nicht jedem, sondern bleiben stets zu einem großen Teil für Außenstehende verborgen. Ein wichtiger Aspekt, der aufruft, Kindern respektvoll diesen Freiraum zu geben, um Abschied nehmen zu dürfen und die schönen Erinnerungen an geliebte Menschen im Herzen tragen zu können. Auch so können wir verständnisvolle Begleiter sein und den notwendigen Halt liefern.
Fazit:
Trotz der vermeintlich schwermütigen Thematik belasten Jutta Treiber und Jens Rassmus die Gefühlswelt von Eltern und Kindern in keiner Weise. Mit jeder Seite in ";Der Großvater im rostroten Ohrensessel"; folgen wir einer Spur voller Hoffnung und Verständnis. Es herrscht wahres Glück über die schönen Erinnerungen vor, die eine so wichtige Funktion übernehmen. Mit diesem warmherzigen Buch können wir Kinder ermutigen ihre Gefühle anzunehmen, um sich ihnen öffnen und sie so eines Tages auch äußern zu können. Denn diesen Schritt können wir ganz sicher nicht erzwingen.
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