Hinter Erbensuppe steckt viel mehr, als es scheinen mag
Evi ist ein bisschen anders als die anderen Kinder. Aufgekratzt, laut, direkt und nicht immer hat sie ihre Emotionen ganz unter Kontrolle. Mit fast jedem Kind in der Klasse ist sie schon einmal angeeckt. Daher wird sie nun neben den stillen Nils, dem Jungen mit dem „ausgleichenden Gemüt“, gesetzt – in der Hoffnung, dass seine zurückhaltende Art auf sie abfärben möge. Doch Evi ist auch ziemlich vereinnahmend. Da Nils und sie die einzigen Kinder der Klasse sind, die nicht der Klassenbande, den „22 Fragezeichen“, angehören (beide waren bei deren Gründung krank), beschließt Evi, dass die beiden eine eigene Bande gründen. Außerdem legt sie fest, dass sie auch die Nachmittage mit Nils verbringt, der in dieser Zeit wiederrum bei seinen Großeltern ist.
Die Großeltern nehmen das zusätzliche „Nachmittagskind“ mit Fassung auf. Mit ihrer direkten und fröhlichen Art wird sie schnell in die Nachmittagsroutine (Mittagessen, Hausaufgaben, „gemütliche Stunde“) integriert. Eines Tages kommt Lina, ein syrisches Mädchen neu in die Klasse und wird direkt unter Evis Fittiche genommen. Das ist in vielerlei Weise ein Glücksgriff, zum Beispiel hat Lina bereits Erfahrungen als Teil einer syrischen Detektivbande sammeln können. Diese Erfahrungen brauchen die drei Kinder dringend, denn Nils Großeltern beginnen, sich zunehmend eigenartig zu verhalten. Vor allem Nils Großmutter wird sehr wunderlich, packt Koffer, guckt ununterbrochen Nachrichten und kauft vor allem haufenweise Erbensuppe in Dosen…
Vergangenheit ist heute noch spürbar
Flucht, Traumatisierung, Integration, Freundschaft, Spannung und Witz – all diese Begriffe zusammen passen nicht in ein Kinderbuch? Dazu noch in eine kurzweilige, unterhaltsame und leicht zu lesende Geschichte? Nun, wer Zweifel hat, sollte Forschungsgruppe Erbensuppe lesen und wird voller Erstaunen feststellen, dass sich hinter dem unschuldigen, fröhlichen Titel genau die genannten Themen verstecken, eingebettet in eine spannende und unterhaltende Geschichte, mit Witz, Ernst und Taktgefühl erzählt. Rieke Patwardhan gelingt es in diesem Buch, locker und fröhlich schwere Themen angemessen zu beschreiben, ohne sie zu trivialisieren.
Überraschenderweise werden Flucht, Angst und Traumatisierung nicht über das neue syrische Mädchen angesprochen, sondern über Nils Oma. Über ihre Vergangenheit weiß ihr Enkel kaum etwas und erst als Lina auftaucht, bricht sich eine Angst Bahn, die Nils Oma begleitet, seitdem sie ein junges Mädchen ist. Durch diese ungewohnte Perspektive wirkt all das, was Flucht aus einem Kriegsgebiet ausmacht, noch einmal viel stärker, denn nicht nur Lina ist davon betroffen, sondern auch Nils Familie. Die Vergangenheit beeinflusst akut das Hier und Jetzt und zwischen den Kriegsgenerationen wird eine stärkende Verbindung hergestellt.
Zusammen füreinander da sein
Als Nils Oma in scheinbar eigenartige Verhaltensweisen verfällt und Nils ziemlich ratlos dasteht, ist er froh, seine beiden tatkräftigen und einfallsreichen Mitschülerinnen an seiner Seite zu haben. Darüber entsteht zusätzlich eine schöne Geschichte über Freundschaft, Werte und Chancen. Die drei Kinder sind sehr unterschiedlich, harmonisieren doch überraschend gut miteinander und bieten hohes Identifikationspotenzial. Sie sind einfallsreich, draufgängerisch, mutig und rücksichtsvoll und stehen füreinander ein. All dies schildert Rieke Patwardhan sprachlich überzeugend, mit Witz und gut verständlich aus Nils Perspektive.
Die Handlung ist in 13 Kapitel unterteilt, die längenmäßig für etwas routiniertere Leserinnen und Leser für sich gut schaffbar sind. Zudem werden die Kapitel durch vereinzelte schwarz-weiß Illustrationen aufgelockert, die die Charaktere und verschiedene Stimmungen gut wiedergeben.
Fazit
Forschungsgruppe Erbensuppe überrascht mit einem bunten Themenpotpourri bestehend aus Freundschaft, Flucht, Integration und Detektivgeschichte. Harmonisch und überzeugend miteinander verbunden entsteht daraus eine ernste, spannende, unterhaltsame und kurzweilige Geschichte.
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