Das Riesenmädchen und die Minipopps
- Beltz & Gelberg
- Erschienen: Mai 2006
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";Oggel di umma, oggel di umma - Dube? Minipopps kum Wimmusch, Schoffelschopper wa Bilobitsch...
Kein Wort verstanden? Kein Wunder, denn das ist magrolonisch - die Sprache der Riesen. Und wer will, kann in ";Das Riesenmädchen und die Minipopps" mehr über dessen Ursprung erfahren.
Das Erfolgsduo, das auch ";Den Grüffelo" geschrieben hat, Julia Donaldson und Axel Scheffler, haben nun ein ebenso fantasievolles wie spannendes Märchen über die Riesen verfasst. Viele Hintergründe der Geschichte weisen auf den Ursprung des Märchens ";Jack und die Bohnenranke" hin. Aber die Riesen von heute unterscheiden sich kaum von uns - sie sind nur um ein vielfaches Größer und sie sprechen eine andere Sprache. Und was uns bei der Lektüre des Buches schwant, ist: Vieles würden wir, und womöglich auch unsere Kinder, ähnlich machen. Und dieser Logik folgend, geraten die drei winzigen Kinder, die der Gattung der ";Minipopps" angehören, ganz und gar unfreiwillig in ein Abenteuer, das schon bald dramatische, ja, lebensbedrohliche Ausmaße annimmt...
Das Mädchen Megalili ist ganz und gar besessen von dem Märchen, in dem ein winziger Mann in die Welt der Riesen eindringt. Dies gelingt ihm mittels einer riesigen Bohnenranke. Niemand in dem Land der Riesen, das ";Magrolonien" heißt, glaubt an dieses Märchen und auch nicht daran, dass es diese ";Minipopps" je gegeben hat. Alle, bis auf einen alten Mann namens Possitsch, der den Rand der Riesenwelt vor den winzigen Eindringlinden schützt. Dies tut er mittels ";Klickerpamp" - Pflanzengift - denn keine ";Pimpelronka" - Bohnenranke - darf sich zu Magrolonien emporwagen. Doch Megalili hat einen Plan: Sie hat noch ein paar besondere Bohnen, die zu einer echten ";Pimpelronka" emporwachsen können. Eines Tages lässt sie die Bohne über den Rand ihrer Welt fallen und siehe da: Am nächsten Tag steht am Rande von Magrolonien eine riesige Bohnenranke, an der das Riesenmädchen zu unserer der Welt, der Welt der Minipopps, hinuntersteigen kann. Dabei sammelt sie so manches ein und steckt es in ihren Rucksack: Eine Telefonzelle, einen Briefkasten, ein armes, vollkommen verwirrtes Schaf,eine Wäscheleine mitsamt Kleidungsttücken, einen Traktor-Rasenmäher und mit allergrößtem Entzücken steckt sie auch die drei Geschwister Colette, Stephen und Polly in ihren Rucksack. Noch ehe sie es sich versehen können, landen sie in der Welt der Riesen und werden kurzerhand in Megalilis Puppenhaus umgesiedelt.
Zu Anfang kümmert sich Megalili noch rührend um ihre kleinen Menschlein, doch schon bald lässt ihr Eifer nach. Zu allem Übel kommt hinzu, dass sie große Angst vor Megalilis Mutter haben - sie möchten nicht dasselbe Schicksal wie das arme Schaf teilen, das Megalillis Mutter eines Nachts angeekelt aufgreift. Aber als sei das noch nicht genug, werden sie bei ihrem Fluchtversucht, der so hoffnungsvoll begann, von Megalilis großem Bruder entdeckt: Piso. Der hat jede Menge bösartiger Ideen, die er an den kleinen Menschen ausprobieren will. Einzig die kleinste, Polly, rückt Piso im Tausch gegen den Rasenmäher heraus. Und Pisos ";Spiele" sind wirklich teuflisch: So wird Stephen mit einer Riesen-Stecknadel bewaffnet in ein Marmeladenglas mit einer Wespe gesteckt, die er notgedrungen töten muß. Als er aber eine Spinne auf die gleiche Weise töten soll, obwohl sie ihn nicht angreift, weigert sich Stephen und ruft den Zorn des Riesenjungen hervor. Die darauffolgenden Geschehnisse überschlagen sich und zerstreuen die Geschwister in verschiedene Richtungen in und außerhalb des Riesen-Hauses.
Megalili verliert, jetzt da sie ein kleines Kätzchen geschenkt bekommen hat, gänzlich das Interesse an ihren Minipopps und ein echter Überlebenskampf beginnt für die drei Geschwister. Colette befindet sich noch immer in den Fängen von Piso, Stephen konnte im Garten entfliehen und Polly fristet ein trauriges Dasein in Megalilis Puppenhaus. Die Wege im Haus der Riesen sind für die Kinder wahrlich kein Spaziergang. Und verschlossene Schubladen oder Zimmertüren sind unüberwindbare Hindernisse.
Eingebettet in einem modernen Märchen über Riesen ist ";Das Riesenmädchen und die Minipopps" alles andere als leichte Kost. Das kindliche Spiel des Riesenmädchens macht zunächst einen unbekümmerten und unschuldigen Eindruck - doch das ändert sich bald, denn die Realität des Alltages wird zu einer zunehmenden Bedrohung für die drei Kinder. Sie selbst zu klein, um sich zu wehren und der Sprache der Riesen nicht mächtig, sind sie ratlos und vollkommen unterlegen. Doch dabei meinen es die Riesen gar nicht böse. Die Mutter ekelt sich vor dem dreckigen, wolligen Tierchen in Megalillis Zimmer und entfernt es mit dem festen Entschluss, das Zimmer ihrer Tochter einmal gründlich zu reinigen. Megalilli sammelt, ebenso wie Colette, mit Leidenschaft Dinge und kleine Lebewesen. Für Megalilli sind Minipopps nichts anderes. Und auch Piso sieht in den kleinen Menschen keine Wesen mit Gefühl und Verstand: Sie sind für ihn wunderbare Spielzeuge, wie lebendige kleine Plastikfiguren, die sich plötzlich bewegen können.
Da die Welt der Riesen auch unserem eigenen familiären Alltag sehr ähnlich ist, können Kinder die Gesetzmäßigkeiten dieser überdimensionale Welt schnell nachvollziehen.Und das löst eine ungeheure Spannung für Kinder aus, entsteht diese Spannung doch durch jene Logik, die auch unsere Welt auszeichnet. Hier sind es zwar keine Menschenfresser, die Leib und Leben der Kinder bedrohen - die Bedrohung liegt in der alltäglichen Welt der Riesen und ist vielleicht durch den realistischen Bezug noch erschreckender: Ein Schaf, das wohl sein Ende in der Toilettenspülung findet, die bösartigen Quälereien des älteren Brudes und der folgenschwere Angriff der Katze auf Polly führen diese Logik konsequent weiter, müssen aber erst einmal verdaut werden.
Trotz aller Schreckensmomente ist es eine ";Materie", die fantasievolle Kinder zu ungehantem Ideenreichtum motivieren kann. Denn die Idee ";Riesenkind enführt kleine Menschen für ihr Puppenhaus" wurde von Julia Donaldson ebenso klug wie kindgerecht umgesetzt. Mit den etwas skurrilen Nebendarstellern, wie dem alten Possitsch, und allen weiteren Eigenheiten von Magrolonien, ist es Julia Donaldson wirklich gelungen, eine ganz eigene spannende Märchenwelt aufzubauen, die Kinder unmittelbar mitreisst, da sie der ihren so ähnlich ist. Dabei ist die Erzählweise von Julia Donaldson klar und leicht - aber auch ehrlich. Sie überdramatisiert zwar nicht, aber sie geht auch nicht über die dramatischen Wendungen der Geschichte weg. Klar nach dem "Ursache-Wirkung-Prinzip", ist deren Zuspitzung zu lebensbedrohlichen Momenten eine Folge der vorhergegangen Geschehnisse. Wie auch im richtigen Leben, wird für die Kinder kein Wunder geschehen und sie müssen sich mit ihren Mitteln über Wasser halten. Ebenso weiß Julia Donaldson aber auch, wann sie mit der ";bitterbösen" Wahrheit aufhören und den drei Geschwisterkindern eine Chance geben muss. Dieser dramaturgische Balanceakt zwischen realistischem Bezug und Märchenwelt bringt die Spannung für Kinder mit sich und fordert sie auf, weitere Lösungswege zu erdenken.
Sehr schön und unterhaltsam wird die Geschichte von den Illustrationen von Axel Scheffler unterstützt. Trotz der reduzierten s/w-Illustrationen versteht er es, den Darstellungen eine ganz eigene Leichtigkeit zu verleihen, die der Geschichte an manchen Stellen auch ein wenig ihre Schärfe nehmen. Betrachtet man nämlich die Illustrationen, fordern sie einen auf, die Welt von Magrolonien doch nicht so ganz zu ernst zu nehmen.
Im Anhang des Buches finden wir ein Wörterbuch Deutsch- Magrolinisch/Magrolinisch-Deutsch. Mit der neuen Sprache der Riesen ausgestattet, die wirklich ausgesprochen kindgerecht ist, läßt sich der Spaß für den Alltag schnell fortsetzen. Eine Sprachspielerei, die über das Abenteuer hinausgehen kann und vielleicht zur lebendigen Erweiterung des ";Riesenwortschatzes" führen kann. An dieser Stelle sei hier auch die wunderbar gelungene Übersetzung von Mirjam Pressler erwähnt; sie mußte mit Sicherheit so manche ";Transformation" der Ur-Magrolonischen Sprache vornehmen, damit sie für die deutsche Sprache so eingängig klingt.
Ach so, Sie wissen immer noch nicht, wovon am Anfang die Rede war? Ganz einfach, hier die Übersetzung:
(";Oggel di umma, oggel di umma - Dube? Minipopps kum Wimmusch, Schoffelschopper wa Bilobitsch...)
Schau dich um, schau dich um - Wo? Kleine Leute mit Schaf, Rasenmäher und Telefonzelle...
Also, wenn von ";Schoffelschopper", ";Klickerpamp" oder einer ";Pimpelronka" die Rede ist, dann wundern Sie sich nicht... Ihre Kinder werden vielleicht nach der Lektüre dieses Buches noch so reden.
Fazit:
Verkehrte Welt: Die Riesen fürchten sich vor den Kleinen Menschen und lassen, nur für alle Fälle, den Rand ihrer Riesenwelt bewachen, damit keine Pimpelronka - pardon,Bohnenranke - unbemerkt an ihrer Welt emporwachsen kann.
Ein echtes Abenteuer - das durchweg spannend und so manches Mal auch schonungslos ehrlich ist. Dabei folgt die Geschichte durchweg ihrer eigenen Logik und das macht sie so auch so besonders, denn hier wird das Märchen von den Riesen einmal aus einem ganz neuen Blickwinkel erzählt. Dieses Buch könnte durchaus der Beginn einer Serie sein, denn es wurde eine ganz eigene Welt geschaffen und die dazugehörige Sprache noch dazu. Und darum sage ich jetzt ";schnippeldidaj Oggelewipp!" (schnell Auf Wiedersehen)
Julia Donaldson, Beltz & Gelberg
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