[ab 5 Jahren]
Ängste können sehr dominierend sein und den Alltag beeinflussen. So ergeht es auch Josephine. Sie hat vor allem große Angst vor der Dunkelheit hat.
Josephine fürchtet sich im Dunkeln, deshalb muss das Licht im Flur immer leuchten, wenn sie zu Bett geht. Sie hat Angst vor dem dunklen Treppenhaus, Angst vor dem Keller und auch Angst vor dem dunklen Spielplatz. Dort hat sie einmal einen ordentlichen Schrecken bekommen, als sie allein nach Hause gehen musste. Es war bereits dunkel, etwas raschelte im Gebüsch und zwei Augen funkelten sie an. Zum Glück war es dann doch nur eine Katze...
Als Josephine im Garten ihres Wochenendhauses aufräumen muss, verläuft sie sich und irrt ängstlich in der Dunkelheit umher. Schließlich aber entdeckt sie in einem Haus ein Mädchen, das im Bett liegt und ängstlich zum Fenster hinausschaut. Hat es etwa Angst vor Josephine? Aber das ist doch albern, denkt Josephine und macht sich verwundert aber auch ermutigt auf den Rückweg. Es ist bereits heller geworden und sie findet schnell nach Hause. Die Geräusche ängstigen sie nicht mehr und kein Tier kann sie nunmehr erschrecken. Zufrieden schläft Josephine in ihrem Bett ein.
Günter Kunert thematisiert in seinem Kinderbuch die klassischen Ängste vor der Dunkelheit und wünscht sich bestimmt, den Kindern etwas Mut zu machen und ihnen die Ängste nehmen zu können. Doch bei seinem Vorhaben legt er sich - und Kindern - gleich mehrere Steine in den Weg.
Nett ist zwar die Idee, schon zu Beginn als Erzähler (und damit als Vorleser) Josephine direkt anzusprechen und so einen direkten Bezug aufzubauen. Aber dass die Eigenschaft vor dem Alleinsein eine schlimme Eigenschaft sein soll und daß Josephine als feiger Angsthasen charakterisiert wird, ist ein doch eher fragwürdiger Auftakt, der die kleine Zuhörerschaft beinahe gegen die Titelheldin stellen möchte. Frei nach dem Motto: Ihr seid doch bestimmt mutiger, oder? Er scheut auch nicht davor zurück, ein schlechtes Gewissen zu produzieren, indem er erwähnen muss, dass die Eltern sogar wegen Josephines Angst auf einen Kinobesuch verzichten müssen und nun zuhause mit dem Fernseher Vorlieb nehmen müssen. Welchen Zweck Kunert dann noch damit befolgt, Josephine als betont unordentlich hinzustellen, bleibt mir schleierhaft und lässt vielleicht doch veraltete pädagogische Ansichten erahnen.
In gewisser Weise wird hier Druck auf die Kinder erzeugt, sich eben nicht so zu verhalten wie Josephine, da es unpassend oder ungehörig ist. Josephine ist das Ventil, an dem sich auszulassen ermöglicht wird. Warum Josephine nun ihre Angst verliert, das wird meiner Meinung nach nicht überzeugend vermittelt. Erst als sie ein anderes Kind sieht, das Angst vor Josephine hat, gewinnt sie ihren Mut zurück. Josephine zieht über dieses ";alberne" Verhalten des Mädchens her, eigentlich so, wie es zuvor der Erzähler mit Josephine gemacht hat. Die abschließende Erklärung, dass eben alles im Dunkeln anders aussieht als im Hellen und das man sich das nur vergegenwärtigen soll, wenn einen die Angst befällt, hinterlässt ein doch enttäuschendes Gefühl.
Günter Kunert, geboren 1929 in Berlin, gilt übrigens als einer der bedeutendsten und vielseitigsten Gegenwartsschriftsteller. Die Liste seiner Veröffentlichungen und Auszeichnungen ist lang. Doch Kinderbücher sind eher wenige darunter. Das mag vielleicht erklären, warum er sich in deutlich zu langen und komplizierten Satzbauten verliert. Poesie, Humor oder Charme vermag er dadurch nur schwer zu versprühen. Das Vorlesen gerät an der einen oder anderen Stelle derbe ins Stocken. Satz und Layout im Buch erschweren den Lesefluss zudem unnötig. Da muss ich ein Doppelseitenmotiv überblättern, um den letzten Satz eines Absatzes zu einem verständlichen Ende zu bringen, um dann schließlich wieder zum Doppelmotiv zurückzukehren.
Die Bilder von Jutta Mirtschin haben zumindest eine gewisse Anziehungskraft und nehmen den Titel des Buches förmlich beim Wort. Ein Großteil der Motive ist entsprechend in tief dunkle Farben getaucht. Leuchtende Augen, merkwürdige Wesen oder die sichtlich verschreckte Josephine bieten nur spärlichen Kontrast. Das erzielt durchaus den gewünschten Effekt. Dennoch hebt auch Jutta Mirtschin zu keiner Zeit diesen dominierenden Aspekt auf und es entsteht ein eher unruhiger, verwirrender Eindruck. Wenn nicht nur Josephine, sondern auch noch ihre Eltern verschreckt dreinschauen, wird es schon beinahe zuviel. Da fragt man sich unweigerlich: Wollen die Bilder nun Angst machen oder Mut? Und so verwundert es auch nicht, dass wir mit einem eher tristen Motiv in das ersehnte Happy-End verabschiedet werden.
Fazit:
";Josephine im Dunkeln" mangelt es an konzeptioneller Ausgewogenheit. Zu unharmonisch, irgendwie ziellos wirken Sprache und Bilder. Zwar unterhält die Geschichte mit der düsteren Grundstimmung für einen Moment, aber es ist ein mühsamer emotionaler Weg, den wir beim Vorlesen mit unseren Kindern gehen. Es entsteht kaum der Eindruck, dass die Gefühle der Kinder verstanden und ernst genommen werden. Schade, so wird es das kleine Mädchen nicht leicht haben, in die Herzen der Kinder vorzudringen.
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