Geheimnisse aufsplitten
Nicht jedes Geheimnis ist gut! Aber wie erkennt ein Kind, welches Geheimnis ein gutes, und welches ein schlechtes ist? Diese Frage nimmt das Autorenteam rund um Andrea Russo und Christin-Marie Below auf und beantwortet sie auf vielfältige Weise. Das Buch Psst! Gute und schlechte Geheimnisse ist in verschiedene Kapitel gegliedert und geht zu jedem Thema mit der selben Ernsthaftigkeit auf dieses jeweils spezielle Geheimnis ein, das gerade behandelt wird. Ob es nun Mobbing, körperliche oder sexualisierte Gewalt oder aber freudige Überraschung geht: alle Formen von Geheimnis haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und werden den Kindern nähergebracht. Dabei spricht bereits die Illustration der jeweiligen Kapitel eine deutliche Sprache, ob es sich hier um ein gutes oder um ein schlechtes Geheimnis handelt. Gerade, wenn das Buch mit einem jüngeren Kind erarbeitet wird, kann das höchst hilfreich sein.
Nicht immer ganz realistisch
Damit die Kinder das Wesen des jeweiligen Geheimnisses erfassen können, wird ihnen von den Autoren jeweils eine Geschichte dazu präsentiert. In manchen Fällen scheinen diese aber eher unrealistisch. Etwa dort, wo es um körperliche Gewalt geht. Hier realisiert der Freund eines geschlagenen Jungen, dass etwas Ungutes vor sich geht. Er beschließt, so lange bei seinem Freund zu übernachten, bis dessen blaues Auge verheilt ist. Zudem tritt er der schlagenden Mutter sehr bestimmt und mit der Präsenz eines Erwachsenen gegenüber. Diese idealisierte Form von Schutz kann ein Kind, das Misshandlung an Freunden erlebt, auch massiv unter Druck setzen. Nur wenige Kinder sind in der Lage, so selbstbewusst und vor allem abgeklärt einem gewaltanwendenden Erwachsenen gegenüberzutreten. Hier stellt sich die Frage, ob dem Kind nicht eher der Weg aufgezeigt werden sollte, mit den eigenen Eltern über die Gewalt in der anderen Familie zu sprechen.
Abstrakt oder konkret?
Dass die Geschichte rund um die sexualisierte Gewalt von Symbolik geprägt und in einer abstrakten Form nacherzählt wird, ist an sich verständlich. Allerdings steht es etwas im Wiederspruch zu den klaren Empfehlungen an die Eltern, mit dem Kind sehr offen über das Thema zu sprechen. Denn hier wird empfohlen: „Seien Sie beim Vorlesen darauf eingestellt, dass die Kinder Ihnen Fragen stellen. Bitte beantworten Sie sie ehrlich, direkt und konkret…“ Generell wäre bei diesem Kapitel noch etwas mehr Hilfestellung für die erzählenden Eltern notwendig, denn nicht jedes Kind kann die Geschichte des Taubers wirklich nachempfinden oder mit den eigenen negativen Erlebnissen in Einklang bringen. Die passenden und bedrückenden Illustrationen vermögen aber durchaus, die negativen Gefühle, die mit den Übergriffen verbunden sind, darzustellen.
Gute Zusammenstellung
Ob nun Bereiche wie Toleranz oder Schmetterlinge im Bauch wirklich als Geheimnis klassiert werden können, muss nicht entschieden werden. Grundsätzlich geht es in diesem Werk um positive und negative Gefühle, Erlebnisse und Beobachtungen und die Lektüre kann ein Ventil sein, damit umzugehen. Schön ist, dass die Kinder auch mehr über ihre Rechte erfahren, so etwa die gewaltfreie Erziehung. Die Zusammenstellung der Themen überzeugt vor dem Hintergrund, dem Kind eine Möglichkeit zu verschaffen, über alles zu reden und die eigenen Gefühle ernst zu nehmen und sich, wann immer möglich, den Erwachsenen anzuvertrauen.
Fazit
Dieses Buch ist ein wichtiges Instrument, um mit Kindern „Geheimnisse“ zu thematisieren und ihnen Mut zu machen, über schlechte Geheimnisse zu reden, aber die guten Geheimnisse als solche stehen zu lassen. Es ist übersichtlich dargestellt, kindgerecht aufgearbeitet und dennoch ebenso auf die Eltern fokussiert, die mit den Geheimnissen der Kinder konfrontiert sind. Es ist leicht verständlich aufgebaut und bietet auch Erwachsenen viel Hilfestellung.
Andrea Russo, Christin-Marie Below, Isabel Abedi, dragonfly
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