Ein kleiner, tapferer Junge und sein Schwein kämpfen für die Freundschaft
Seit Jack denken kann, ist „DS“– das Kuschelschwein – bei ihm. Die beiden sind unzertrennlich. DS hilft Jack über die Scheidung seiner Eltern hinweg, gibt dem kleinen Jungen stets Halt und Zuversicht. Doch eines Tages verliert Jack sein geliebtes Kuscheltier auf tragische Weise.
„Das Swein war ein kleines Kuschelschwein aus weichem Frotteestoff. Sein Bauch war mit kleinen Plastikbohnen gefüllt, so dass man es herumwerfen konnte. Die knautschigen Schweinepfötchen hatten genau die richtige Größe, um damit Tränen aus dem Auge zu wischen.“
Es ist bereits der Heilige Abend, als Jacks Großeltern mit ihm und Holly, der Tochter von Mums neuem Lebensgefährten, mit dem Auto unterwegs sind. Seit Tagen versucht Holly, allen die Weihnachtsstimmung zu vermiesen und Jack erträgt Hollys Gemeinheiten so tapfer und geduldig, dass es einem zu Herzen geht. Sie wird jedoch auf der Fahrt so wütend auf Jack, dass sie DS aus Jacks Armen reißt und das arme Schwein bei voller Fahrt durchs Fenster auf der Autobahn wirft. Jack ist außer sich!
Jacks großes Abenteuer
J.K. Rowling hat etwas ganz Neues für Kinder geschrieben – noch dazu ein Märchen zu Weihnachten. Als großer Harry-Potter-Fan bin ich natürlich sofort dabei. Und wurde auch gleich zu Anfang in meiner Erwartung bestätigt: Wie berührend die Geschichte beginnt, wie nahe wir uns Jack fühlen und wie gut sie mit ihrer Sprache die Momente und Gefühle transportiert, das ist ganz klar die Stärke von J.K. Rowling.
Zunächst fühlt man sich auch ein wenig in die Welt von Toy-Story versetzt, als die Dinge um Jack anfangen zu sprechen. Aber schnell entwickelt sich die Geschichte vollkommen anders, es wird zunehmend ungemütlich und bedrohlich.
Das Ersatzschwein, das Jack von Holly und den Großeltern als Ersatz erhält, tröstet Jack natürlich nicht. Und er geht ziemlich wüst mit dem armen Ersatzkuscheltier um, das genauso aussieht wie DS, nur eben ganz anders, ganz neu. Als Jack mitten in der Nacht flüsternde Stimmen wecken, ist er erschrocken. Die Dinge in seinem Zimmer sprechen mit ihm. Das Weihnachtsschein, das weiß, dass es kaum ein Ersatz für DS sein kann, eröffnet Jack eine einmalige Möglichkeit: Nur in der Heiligen Nacht ist es für ein menschliches Wesen möglich, in das Reich der verlorenen Dinge zu gelangen. Sie können dort nach DS suchen, aber sie müssen bis Mitternacht zurück sein, sonst muss Jack dort bleiben…
Von den kleinen zu den großen Dingen
J.K. Rowling schildert detailreich die Welt der verlorenen Dinge; die Dinge, das kann irgendwie alles sein, das einem Menschen abhandenkommen kann. Es können Gebrauchsgegenstände sein, liebgewonnene Spielzeuge, wertvolle Schmuckstücke, schmerzlich vermisste Gedichte oder Liebesbriefe, es können neue Dinge sein – aber auch alte. Es kann etwas sein, das uns Menschen anhaftet, wie zum Beispiel schlechte Gewohnheiten, bis hin zu Beweggründen, wie ein Vorwand. Sie gelangen von „Verschusselt“ nach „Vermisst“, wenn sie Glück haben und ihre einstigen Besitzer nach ihnen suchen. Es kann auch ganz bitter enden, wenn sie in die „Ödnis der Unbeweinten“ verbannt werden. Ein trostloser Ort ohne Wiederkehr, immer der Gefahr ausgesetzt, vom „Verlierer“ gefressen zu werden, der ihnen ihre Energie aussaugt. Eine gruselige Vorstellung noch mit einem gruseligen Kerl dazu.
Während WS – das Weihnachtsschwein – und Jack durch diese unwirkliche Welt mit ihren eigenen Gesetzen hetzen, setzen sie sich vielen Gefahren aus und können jederzeit an „Verlustbeamte“, einer Art Stasi im Dienst des Verlierers, verraten und ausgeliefert werden.
Dabei treffen sie in der „Ödnis der Unbeweinten“ auf schlechte Gewohnheiten, die pöbelnd durch die Gegend ziehen, sie erhalten Hilfe von einem Gedicht und einem kaputten Kompass, und finden alte Bekannte wieder. Das alles und auch die Ebene, die Rowling zum Ende hin betritt, entspricht keinem leichten, unbeschwerten Weihnachtsmärchen. Denn wenn „Ehrgeiz“, die einer Politikerin abhandengekommen ist, und „Macht“, der hier König ist und einem Herrscher geraubt wurde, gemeinsame Sache machen, wird es sehr bedrohlich.
Doch zum Glück stellt J.K. Rowling dem Bösen gute Mächte gegenüber
Für Kinder ab acht Jahren, für die diese Weihnachtsgeschichte empfohlen wird, kann es schon eine Herausforderung bedeuten, Jack in diese fremde und bedrohliche Welt zu folgen. Die Charaktere, die die Dinge in dieser Geschichte erhalten, sind nur allzu menschlich. Ihre Abwertung und auch ihre Erhöhung – je nachdem wie hoch ein Mensch ihren Wert bemisst – wird hier ziemlich eindringlich und manchmal auch gnadenlos dargestellt. Wenn etwas nicht mehr geliebt oder gebraucht wird, dann hat es einen schweren Stand.
Doch es wäre kein Märchen von J.K. Rowling, wenn sie es nicht schaffen würde, allerhand skurrile Typen und Konstellationen hervorzubringen, die aus einer anderen Perspektive einfach witzig sind. Sie schafft es wieder einmal, ihre Idee bis aufs Äußerste weiter zu spinnen. Und es wäre auch kein Märchen von J.K. Rowling, wenn sie nicht auch eine klare und ergreifende Botschaft im Gepäck hätte, die auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben hinweist. Wie die Bedeutung von Freundschaft, Loyalität, Aufrichtigkeit, Nächstenliebe und dem Plädoyer, die Hoffnung niemals aufzugeben.
Begleitet werden die kurzen Kapitel von den stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Jim Field. Meist doppelseitig fangen sie diese fremde und doch so bekannte Welt lebendig ein und machen neugierig auf das Abenteuer.
Fazit
Ein außergewöhnliches, gerade zum Ende hin sehr spannendes Weihnachtsabenteuer. Bestens geeignet für alle, die zusätzlich zur weihnachtlichen Aufregung noch etwas mehr Nervenkitzel aushalten können. Eine Geschichte voller fantastischer Überraschungen.
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