Ein König, ein kleiner Junge, ein Ritter, ein Drache, eine Burg... und ein Kuss. Na, wenn das mal nicht genau die richtigen Zutaten für eine märchenhafte Geschichte sind.
Der König hat es am Abend wie immer eilig und so bleibt nur noch Zeit, seinem Sohn einen flüchtigen Kuss in das Kinderzimmer zu pusten. Doch der verfehlt diesmal sein Ziel. Verdutzt kann der kleine Prinz nur noch zusehen, wie der Kuss durch das Zimmer und aus dem Fenster hinaus saust. Der Prinz informiert die Königin, diese darauf den König, welcher sogleich seinen treuen Ritter herbeiruft und ihm befiehlt, dem Kuss zu folgen.
Das macht der Ritter auch sofort, wenngleich die Figur, die er abgibt nicht gerade Erfolg verspricht. Das Besteigen des Pferdes erweist sich mit eingerissener Hose, im Geschirr des Pferdes verheddert und rücklings auf dem Pferd sitzend - sagen wir mal - als problematisch. Und kein Wunder, dass selbst das Pferd da nur noch einen skeptischen Blick übrig hat. Ängstlich zaudernd reitet der Ritter schließlich in einen dunklen, stinkenden und verschneiten Wald hinein. Gerade als sich ein Rudel Wölfe auf den Ritter stürzen will, kommt der königliche Kuss daher geflogen und versetzt alle Tiere im Wald in tiefen Schlaf.
Auch das Pferd und der Ritter wollen sich etwas ausruhen und nehmen auf einem Baumstrunk platz. Der bewegt sich aber plötzlich, erhebt sich in die Lüfte und entpuppt sich als Finger eines riesigen Drachen, welcher, gierig dreinblickend, sein Frühstück in der Hand wähnt. Doch dieser Gedanke besteht nicht lange, denn der königliche Kuss kommt angeflogen und setzt sich direkt auf die Nase des Drachen, der mit einem kräftigen Niesen Ritter und Pferd vom Finger fegt. Mit dem Kuss aber hat der Drache auch seine Gesinnung geändert, folgt den beiden nun, nicht um sie zu verspeisen, sondern um ihnen den königlichen Gute-Nacht-Kuss zurückzugeben.
Schließlich kehrt das Dreiergespann zurück zum Schloss, wo Königin und König glücklich den Kuss vom Ritter in Empfang nehmen. Doch das wichtigste: Der König verspricht sich mehr Zeit zu nehmen und beginnt sogleich mit einer Gute-Nacht-Geschichte...
Es ist wirklich amüsant, wie David Melling eine so häufig genutzte Geste wie den flüchtig zugeworfenen Kuss als Aufhänger dieses kleinen Abenteuers nutzt und sie symbolisch für die fehlende Zeit und Aufmerksamkeit des Vaters heranzieht. Obwohl der Gute-Nacht-Kuss hier eindeutig sein eigentliches Ziel und damit die gewünschte Wirkung verfehlt, büsst er dennoch nicht alle ";väterliche Qualitäten"; ein und kann sich als rettender Begleiter und ";gefühlvoller Beschützer"; klar behaupten. Hierin zeigt sich dann auch die spürbare Leichtigkeit, die sich durch die gesamte Geschichte zieht.
Dass für Melling per se im Vordergrund steht, Kinder einfach nur prächtig zu unterhalten, merkt man dann vor allem seinen zauberhaften Bildern an. Denn die bestimmen das Geschehen, sprühen vor Humor und der erkennbaren Freude am bildhaften Erzählen. Die bunt-prächtige Märchenwelt und ihre Bewohner werden in beinahe trickfilmischer Dramaturgie mit viel Schwung inszeniert. Hier kann man sofort nachvollziehen, dass der in Oxford geborene Melling auch in einem Trickfilmstudio sein Faible für die Buchillustration entdeckt hat. Viele Kleinigkeiten - so leidet beispielsweise ein auf dem Schild des Ritters abgebildeter Löwe mit allen Ängsten mit - und die liebevolle Ausarbeitung, besonders die der Mimik der Darsteller, machen einfach Spaß. Da ist nichts ernster als es unbedingt sein muss. Die schrecklichen Wölfe und der riesige Drache werden kurzerhand vom ";königlichen Kuss";, dargestellt als goldglänzendes geschwungenes Band, besänftigt und große Heldentaten muss hier wirklich niemand vollbringen.
Allerdings ist dieser optische Eindruck schon wieder so dominierend, dass darüber ein wenig die eigentliche Erzählung verloren geht. Denn die ist mit wenig Text zwar kurzweilig, bietet aber eben entsprechend wenig Substanz. Das macht die Geschichte besonders für kleine Kinder interessant, aber wenn der Drache dann am Ende den Gute-Nacht-Kuss zurückgibt, ist der eigentliche Kuss des Vaters vielleicht schon in Vergessenheit geraten und die Rückkehr des Ritters samt Begleitung kommt beinahe zu früh. Die deutsche Übersetzung stammt übrigens von Mirjam Pressler.
Fazit:
Mit Humor nimmt sich bekanntlich vieles leichter. Das scheint auch David Mellings Motto zu sein und so schafft er mit ";Der Gute-Nacht-Kuss, der danebenging"; ein vor allem in Bildern zauberhaftes Märchen zum schmunzeln und mitfiebern, das auch an Eltern adressiert ist. Für die gibt es eben keinen mahnenden Zeigefinger, aber zum Ende die Erkenntnis, dass familiäre Gemeinsamkeit und die abendliche Lesestunde vor allem für Kinder weniger ein Wunsch als viel mehr ein Bedürfnis ist. Das können wir an dieser Stelle nur bestätigen.
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