Kindern von Judenverfolgung erzählen
Gerda wundert sich: Die zehnjährige Norwegerin hört in ihrem Haus unbekannte Stimmen. Außerdem verschwinden immer wieder Lebensmittel. Gerade als die unerschrockene Gerda den Geräuschen aus dem Keller nachgehen will, kommt die Mutter hinzu und verhält sich sehr seltsam. Kurze Zeit später steht die Polizei vor dem Haus: Sie hat einen Tipp bekommen, dass die Doktor-Familie Juden versteckt. Obwohl sie im Haus niemanden entdecken können, nehmen sie die Eltern mit. Kaum sind sie abgezogen, stoßen Gerda und ihr Bruder Otto auf zwei jüdische Kinder, die sich im Haus versteckt halten. Im Wissen um die Gefahr, in der die Kinder schweben, beschließt Gerda, sie zu ihrer Tante zu bringen, die ihnen helfen soll, über die Grenze nach Schweden zu kommen. Verfolgt von der Polizei und dem unangenehmen Dypvik, einem überzeugten Nazi-Helfer, machen sich die Kinder auf den Weg und geraten in große Gefahr.
Spannend und altersgerecht erzählt
Geschichten über die Verfolgung und Vernichtung von jüdischen Familien im Zweiten Weltkrieg gibt es viele. Und doch berühren sie mit ihrer Intensität und dem Wissen um das grauenvolle Schicksal von Millionen von Juden immer wieder aufs Neue. Das gilt auch für den Roman Über die Grenzen von Maja Lunde. Die norwegische Autorin erzählt darin kindgerecht die Verzweiflung der beiden jüdischen Kinder Daniel und Sarah, die nur durch eine beherzte Flucht über die Grenze nach Schweden die Chance erhalten, zu überleben. Begleitet werden die Kinder von der mutigen Gerda und ihrem zwar ängstlichen, aber klugen Bruder Otto, der immer wieder über sich selbst hinauswachsen muss, um die Flucht von Daniel und Sarah möglich zu machen. Maja Lunde erzählt auch über die Menschen, die gegen die Nazis sind und die Menschen, die sich mit ihnen verbünden und ihre Landsleute verraten.
Nicht mehr loslassen
Auf knapp 190 Seiten wird eine abenteuerliche Flucht dargestellt, deren Scheitern nur durch die kindliche Unerschrockenheit von Gerda, dem zähen Durchhaltewillen von Otto und letztlich die Hilfe verschiedener Erwachsener verhindert werden kann. Es ist nicht nur eine Geschichte für Kinder, obwohl sie sowohl von der Sprache wie auch vom Aufbau her klar an die jüngeren Leserinnen und Leser gerichtet ist. Auch Teenager oder Erwachsene lassen sich von der dichten und stimmigen Atmosphäre fesseln und erleben die vier so unterschiedlichen und doch in vielen ähnlichen Kinder als authentisch und überzeugend. Maja Lunde stellt auch die Gedanken von Gerda, die sich an den ganzen Ereignissen immer wieder die Schuld gibt, nachvollziehbar und glaubwürdig dar. Einzig das Ende kommt etwas abrupt und lässt viele Fragen offen. Zu viele Fragen – hier hätten zwei drei weitere Seiten mit Erklärungen das Gefühl, in der Luft hängen gelassen zu werden, verhindern können.
Fazit
Über die Grenze ist eine temporeiche, überzeugende Aufarbeitung eines schlimmen Kapitels der Geschichte während des Zweiten Weltkriegs. Die Charaktere sind dabei ebenso gut gewählt wie das Szenario, in dem sich diese Geschichte abspielt. Der Roman eignet sich hervorragend, um Kindern das Thema Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg näher zu bringen.
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