Anna Maria Sofia und den kleinen Wim verbindet mehr als nur der gemeinsame Spaziergang. Stück für Stück tauchen wir ein in das berührende Schicksal, dass einen Menschen verändert hat und Menschen zueinander führt...
Anna Maria Sofia, eine Frau höheren Alters im ";Großmutter-Look";, geht des Weges. Der kleine Wim begleitet sie auf seinem Kettcar. Unterwegs treffen sie auf verschiedene Personen und Begebenheiten.
Da ist die Nachbarsfrau mit dem dicken Bauch. ";Keksdose"; sagt Anna Maria Sofia als sie auf den Bauch schaut, doch Wim berichtigt sie und weist darauf hin, dass die Nachbarsfrau ein Baby bekommt. Und er erwähnt, dass die Welt anders aussah, als Anna Maria Sofia selber ein Baby war. Sie treffen auf Fußball spielende Kinder. ";Fernsehen";, sagt Anna und Wim korrigiert abermals und wir erfahren von ihm, dass sie Tennisspielerin war.
Es geht vorbei an einem küssenden Paar (";Ding Dong"; sagt Anna und meint einen Wecker), zu einem Teich (";Bild";) und einer Kinderkrippe (";Schuh Schuh Schuh...";). Jedes mal assoziiert Anna die Situationen mit einem scheinbar gar nicht passenden Begriff, der dann auch immer bildlich neben ihr gezeichnet ist. Durch Wim erfahren wir mit jeder Begegnung ein wenig mehr von Anna. Zum Beispiel davon, dass sie sich am Hafen geküsst hat, dass sie nach Amerika ziehen wollte aber das Schiff gesunken ist und sie in ein Rettungsboot musste. Und wir erfahren auch von dem Baby, das Anna Maria Sofia bekommen hat.
Schließlich gehen Anna Maria Sofia und Wim auf einen Friedhof. Sie gehen zu einem Grab. Anna ist still und Wim sagt nur ";Jeder stirbt mal.";. Der Grabstein ist sehr klein, hat ein kleines Kreuz und einen kleinen Namen. Der Vorleser wird nun in seinen Gedanken die Vergangenheit und das Schicksal von Anna Maria Sofia weiter mit Bildern füllen können...
Nach dem Friedhofsbesuch machen sich die beiden auf zu Henk, dem Mann von Anna. Hier erwartet uns dann die Klärung der von Anna Maria Sofia zunächst nicht verständlichen Begriffsassoziationen: Wim bekommt von Henk Kekse aus einer Keksdose, Anna Maria Sofia sieht im Fernsehen Fußball (was sie immer macht), auf dem Fernseher stehen kleine Schuhe (wir dürften nun wissen, wem sie gehörten) und ein roter Wecker steht auf der Kommode. Tim sieht sich derweil das Bild von dem untergehenden Schiff an. Sofort erkennen wir nun, dass es sich wahrlich nicht um Fantasien einer verwirrten Frau gehandelt hat, die uns auf dem Spaziergang der beiden gewahr wurden. Henk fragt den kleinen Wim, ob er am nächsten Tag wiederkommen möge, dann würde er weitererzählen - von sich und natürlich von Anna Maria Sofia...
Edward van de Vendels Erzählung ist anrührend, auch oder besonders zwischen den Zeilen. Wenn auch Zuversicht, Hoffnung und Lebensfreude stets Begleiter in dieser Geschichte sind, so bewegt sich doch alles auch auf einer sanften Spur der Melancholie. Stück für Stück offenbaren sich die Komplexität und der wahre Hintergrund der Erzählung, der drei Menschen eng miteinander verbindet.
Wim erzählt uns mit seinem Wissen aus Henks Erzählungen, die Lebensgeschichte von Anna Maria Sofie - ihre Vergangenheit und ihr Schicksal, das vor allem durch den Verlust des Kindes geprägt ist. Die Wörter von Anna sind der Bezug zur Gegenwart, ihr derzeitiges Leben, wie uns am Ende klar wird. Aber sie sind auch ein Beweis für die durchaus funktionierende Wahrnehmung ihrer Umwelt. Wim selber aber ist nicht nur der regelmäßige Begleiter von Anna, sondern ein kleines Stück gemeinsame Zukunft voller neuer Hoffnung und Liebe. So endet die Geschichte auch mit Henk und Anna, die sich umarmen und wünschen, dass Wim sie vielleicht bald Oma und Opa nennen wird. ";Wrumm wrumm wrumm"; macht Anna schließlich, genau wie Wim mit seinem Kettcar und das macht uns deutlich, wie bewusst Anna die Zeit mit Wim wahrnimmt und wie sehr dieser es geschafft hat ihr trauriges Herz mit neuem Glück und Lebensmut zu füllen.
Es mag sicher nicht leicht sein für kleinere Kinder, die Gegenstände, die neben Anna Maria Sofia lediglich in ihren Gedanken auftauchen, in einen inhaltlichen und verständlichen Kontext zu bringen. Viele Aspekte in diesem Bilderbuch benötigen emotionale Orientierung durch den Vorleser. Das wiederum macht es aber so reizvoll, denn es werden Fragen entstehen: Warum sind Anna und Wim auf dem Friedhof? Wer ist gestorben? Warum spricht Anna nicht? Aber auf die vielen Fragen kann das Buch die richtigen Antworten liefern, manchmal ohne sie wirklich angesprochen zu haben. Mann muss eben nur aufmerksam hinschauen und ein wenig mit dem Herzen lesen und zuhören.
Mit Ingrid Godon konnte die Wahl als Illustratorin treffender nicht ausfallen. Ihre Bilder wollen sich nicht aufdrängen und tragen van de Vendels Worte behutsam, aber sich ihrer Aufgabe bewusst. Der zurückhaltende und gleichzeitig markante Stil lässt genügend Raum. Das harmonische Farbspiel und die kräftigen, braun unterlegten Konturen vermitteln Ruhe und zugleich Präsenz. Gerade durch ihre prägnante Einfachheit sind die Bilder auch für kleinere Kinder attraktiv.
Fazit:
Edward van de Vendel fordert mit ";Anna Maria Sofia und der kleine Wim"; förmlich den Dialog zwischen Vorleser und Zuhörer heraus. Das Buch wirft Fragen auf, liefert aber still und offenkundig auch die passenden Antworten. Und es ist ein gefühlvolles, tiefsinniges Buch, das Generationen berühren kann.
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