Robert Hopp ist gar nicht begeistert - tief im Wald, ja, in der Wildnis, liegt das alte dunkle Schloss, das seine Eltern kaufen wollen; aus steuerlichen Gründen. Und wenn seine Eltern einmal nicht streiten, reden sie an ihm vorbei. Eigentlich ist Robert schon jetzt einsam, er hat keine Freunde und möchte sogar sich selbst nicht zum Freund haben. Nun aber wollen sich seine Eltern trennen und machen sich in ganz verschiedene Richtungen der Welt auf. Robert bleibt allein zurück und mit ihm ein Mädchen, das ebenso nicht mehr in das Lebenskonzept seiner Mutter passt. Aber das Abenteuer um die Rettung der Fledermäuse lenkt sie ab, macht sie stark und schweisst sie zusammen...
Robert Hopp ist 12 Jahre alt und etwas zu klein für sein Alter. Robert ist in seiner Klasse ein Außenseiter. Er ist zwar klug und bringt sehr gute Noten mit nach Hause, aber Freunde hat er keine. Seine Meinung von sich selbst könnte geringer nicht sein - dafür ist seine Angst vor der unbekannten Welt des Waldes umso größer. Und hier soll er nun seine Ferien verbringen: In einem dunklen Schloss, das schon bessere Tage gesehen haben muss, und seinen Eltern, die sich nicht einmal darauf einigen können, welche Pizza bestellt werden soll?
Die gesamte Umgebung stellt eine wahre Herausforderung für einen ängstlichen Jungen wie Robert dar. In seiner ersten gruseligen Nacht im Schloss, träumt er zum ersten Mal von den Fledermäusen, die sich nett, an der Gardinenstange aufgereiht, hin -und herschwingen und sich über ihn ein wenig zu ärgern scheinen, da Robert irgendwie nichts begreift.
Am nächsten Tag ist sein Vater verschwunden - und zwar nach Paris. Seine Mutter erklärt ihm, dass Roberts Vater eine neue Frau kennengelernt habe und sich die Eltern deswegen trennen würden. Seine Mutter trägt es mit regelrechter Erleichterung, denn nun muss sie sich in ihre Karriere stürzen, da sie ja nun das Geld verdienen müsse. Vollkommen verwirrt kehrt Robert zum Schloss zurück. Es dauert auch nicht lange, da befindet sich auch Roberts Mutter auf ";Weltreise"; und überlässt ihn der ältlichen Frau Eisenstein. Sie ist Eigentümerin des Schlosses und beherbergt ausserdem noch ihre vermeintliche Urenkelin Joe, die auch ungefähr in Roberts Alter ist.
Frau Eisenstein ist nett zu Robert, aber Joe lässt keine Gelegenheit aus, um ihn zu beleidigen. Frau Eisenstein stürzt dann auf geheimnisvolle Weise so schwer, dass sie in ein Krankenhaus muss. Joe will aber auf keinen Fall, dass jemand davon erfährt, da sie ein nicht unerhebliches Problem mit dem Jugendamt hat. Zum ersten Mal in ihrem Leben ganz auf sich allein gestellt und noch dazu in diesem riesigen Schloss, fernab der Zivilisation, wird schon das Einkaufen für Robert ein wahres Abenteuer. Aber auch Joes Begeisterung für Fledermäuse führt die beiden in ein weitaus aufregenderes Szenario. Denn schon bald werden sie bedroht, als Robert durch Zufall eine geheimnisvolle Pflanze entdeckt. Ein angeblicher Botaniker, der Joe zudem noch erpresst, ist aus ";wissenschaftlichen"; Gründen sehr an dem Fundort der Pflanze interessiert. Aber Robert hört auf seine innere Stimme und verweigert dem unheimlichen Mann jede Auskunft. Eigenartige Dinge passiern schließlich im Schloss und im Wald, die Robert auf den Rat der Fledermäuse hören lassen, tagsüber zu schlafen und des nachts wach zu sein. Und eine Rettungsaktion eines solchen kleinen ";Flattertiers"; bringt ihn näher an die Geheimnisse um seine Person, die in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielt...
Am Ende, man hofft es kaum, wendet sich alles zum Guten. Frau Eisenstein kehrt aus dem Krankenhaus zurück und auch Joes verschollene Mutter taucht wieder auf. Aber das ist nicht unbedingt zur Freude der Kinder. Denn für Joe und Robert steht seit ihrem bestandenen Abenteuer fest, dass sie beide zusammenbleiben wollen.
Hilke Rosenboom erzählt wahrhaft meisterhaft, und das von der ersten Seite an, wie aus einem kleinen verschreckten Jungen, der sich am liebsten hinter seinen Computer zurückziehen möchte, ein mutiger, selbstbewusster Junge wird. Innerhalb der wenigen Wochen, in denen er von seinen egoistischen Eltern ganz und gar allein gelassen wird, lernt er mehr über das Leben, als je zuvor. Robert muss sich mit heftigen Emotionen auseinandersetzen - eigentlich bereits seinen Eltern entfremdet, spürt er den Verlust seines Vaters sehr. Seine Familie ist zerbrochen und Robert muss, ob er will oder nicht, seinen eigenen Platz in der Welt finden. Es gibt wohl keinen besseren Ort als dieses alte Schloss inmitten eines undurchdringlichen Waldes, um Robert in die richtige Richtung zu ";schubsen";. Denn er muss seine Angst überwinden - dabei sind gerade die Passagen, in denen ein Eindringling des nachts im dunklen Schloss unterwegs ist, ausgesprochen spannend und realistisch erzählt - er begreift aber schließlich auch, dass sein Wissen und seine Intelligenz sehr hilfreich sind, um dieses Abenteuer zu bestehen. Am Ende ist er überlegener als die schienbar mit allen Wassern gewaschene, furchtlose Joe. Er behält Ruhe und zeigt Mut, als Joe sich in ein vor Angst bibberndes Kaninchen verwandelt. Er spürt, dass sein zuvor dünner und kränklicher Körper beweglicher und kräftiger geworden ist. Und mit ihm auch sein mageres Selbstbewusstsein. Als er sich bis an die Grenzen seiner Furcht und sich vielleicht auch so manches Mal jenseits dieser bewegt, wird er von den Fledermäusen reich belohnt. Für sie ist er der Retter, weil er eine Stärke in sich hat, von der er selbst noch nichts ahnte. Sie zeigen ihm das pure Glück. Von diesem Moment an, weiss Robert wer er ist, er weiss was er will und findet seine innere Sicherheit - aber dies ist auch der Moment, da er die Fledermäuse nicht mehr versteht; denn Robert muss erfahren, dass die Fledermäuse nur für wirklich traurige Menschen verständlich sind.
Auf dem Weg hierher spinnt Hilke Rosenboom mit scheinbar geschlossenen Augen ein ganz und gar dichtes Netzwerk an Beziehungen und Ereignissen, die allesamt ganz wunderbar authentisch wirken. Das Fingerspitzengefühl, mit dem sie die Gefühlswelt Roberts darstellt, seine Verzweiflung, die er stets versucht zu verdrängen, seine Minderwertigkeitsgefühle - aber auch den Wandel der Beziehungen, besonders die zu Joe, ist wirklich bewundernswert und auf eine Weise geschrieben, die so leicht daherkommt, als habe die Autorin die Menschen und den Ort des Geschehens wahrhaftig vor ihrem inneren Auge. Dabei findet sie die richtige Sprache, das angemessene Tempo und an manchen Stellen findet sich eine Poesie, über diese, ganz eigene Welt der Nacht, die sich ganz und gar homogen einfügt. Ist scheinbar alles in Roberts Leben schief gelaufen, so finden wir in den Gedanken und den Ansichten des klugen Jungen jede Menge Galgenhumor, der das Buch - eben weil wir nicht mit der Nase auf die Kernaussagen gestossen werden - so angenehm positiv in seinem Unterton macht. Dabei wirkt nichts überflüssig und sie führt uns behutsam aber zielgerichtet an einen Punkt, der alle vorherigen Geschehenisse erklärt und sie damit in einen nachvollziehbaren Zusammenhang bringt.
Aber die Geschichte vom ängstlichen Robert ist auch ein Pladoyer, gerade introvertierten Kindern mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Hilke Rosenboom findet an vielen Stellen gute dramaturgische Mittel, dies zu dokumentieren: Roberts Eltern werfen sich gegenseitig stets vor, ";an dem Kind vorbeizureden"; - jedoch stets in Momenten, in denen sie endlich einmal Klartext mit ihm reden. Sie nehmen ihn, auch mit 12 Jahren, noch immer nicht ernst. Sie machen sich Sorgen über seinen Fernsehkonsumn (dabei gibt es im Schloss weit und breit keinen Fernseher), merken aber überhaupt nicht, in welcher Not ihr Junge steckt, da sie immerzu selbst reden bzw. einseitige e-mails schreiben. Sie haben keinerlei Zugang mehr zu ihm.
Das Verhalten der Eltern zeigt auch, wie die Erwachsenen ihre Probleme in Gelddingen, am Arbeitsplatz und in ihren Beziehungen immer wieder über die der Kinder stellen. Drastischer als hier Hilke Rosenboom kann man es fast schon nicht mehr darstellen: Roberts Mutter rettet einen Großkonzern, Roberts Vater erlebt seinen zweiten Frühling - aber Robert kämpft, aus seiner Sicht gesehen, um sein Überleben. Roberts Eltern können auch bis zum Schluss hin ihren negativen Eindruck nicht mehr wett machen und wir merken alle, dass Robert seine Eltern nicht mehr wirklich braucht, denn die verstehen ihn ohnehin nicht. Aber er braucht Joe.
Fazit:
Ein wunderbar dicht und fantasievoll erzähltes Buch, das Kinder ermutigt, ihre eigenen Fähigkeiten und Qualitäten zu entdecken. Es ist aber auch ein gutes Buch für Eltern, denn sie können hier erahnen, was ihre Kinder fühlen und können sich fragen, an welchen Stellen sie selbst vielleicht zu oberflächlich waren. Niemals ist es aber ein Buch, das mahnend den Zeigefinger hebt.
";Der Sommer der dunklen Schatten"; ist spannend, einfühlsam und einfach gut geschrieben. Es ist ein Buch, angefüllt von einer ganz eigenen Atmosphäre, das man nicht so schnell vergisst und das selbst Erwachsene mit Begeisterung (vor-)lesen werden!
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