Papa, wo bist Du?
- Hospizverlag
- Erschienen: Januar 2006
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Der kleine Junge, der seine Geschichte ganz aus seiner Sicht erzählt, wird plötzlich mit dem Tod seines Vaters konfrontiert. Da seine Mutter ihm aber sagt, dass sein Vater von ihnen gegangen sei, kann er nicht verstehen, dass der Vater nicht mehr nach Hause kommt - schließlich ist er ja nur weggegangen...
Als der Junge, dessen Namen wir in dieser Geschichte nicht erfahren, morgens in das Schlafzimmer seiner Eltern späht, ist er verwundert darüber, dass sein Papa heute so lange schläft. Aber er will warten und spielt derweil in seinem Zimmer. Als er Schritte im Haus hört, freut er sich und glaubt, sein Vater sei nun aufgestanden. Jedoch findet er nur das leere Bett vor, in dem sein Vater zuvor gelegen hatte. Am Abend nimmt die Mutter den Jungen beiseite und sagte ihm, dass Papa von ihnen gegangen sei. Zu dieser Zeit ist es Winter und es hat zu schneien begonnen. Der Junge denkt nach, warum sollte sein Papa einfach so gehen? Also macht er sich auf die Suche: Im verschneiten, dunklen Dorf, in der Kirche, auf den Feldern - aber nirgends kann er seinen Vater finden. Schließlich geht er geht mutlos nach Hause, um dort auf seinen Vater zu warten.
Es ist bereits Frühling geworden und der Junge drückt seine Nase an die Fensterscheibe - sein Papa ist noch immer nicht zurückgekehrt. Als er eines Tages am Bach sitzt und den Regen auf sich niederprasseln lässt, denkt er nach: Er hatte seinen Vater überall gesucht. Aber er konnte ihn nicht finden. Noch einmal schreit er ganz laut und verzweifelt: ";Papa, wo bist Du?";und dann kommen endlich die Tränen. Die ganze Welt scheint mit dem Jungen zu weinen und als es nicht mehr regnet, hat auch der Junge keine Tränen mehr. Er fasst endlich den Entschluss, seine Mutter zu fragen, warum sein Vater nicht zu ihnen zurückkehrt - wenn er doch nur ";von uns gegangen"; ist...
Seine Mutter hält ihren Sohn schließlich ganz fest im Arm und sagt ihm, dass sein Papa tot sei. Dann erklärt sie, dass sie den Papa nicht mehr sehen und umarmen können - aber trotzdem sei er noch bei ihnen. Plötzlich spürt der Junge die Nähe seines Vaters wieder und meint sogar, seinen Papa zu hören, wie er mit seinem Jungen spricht. Er sagt dem Jungen, dass er in seinem Herzen sei und solange sein Sohn ihn nicht vergesse, werde er immer bei ihm sein. Noch immer ist der Junge traurig aber er spürt, dass die dunklen Wolken die ersten Sonnenstrahlen zu ihm durchlassen.
Das Bilderbuch von Uwe Saegner, erschienen im Hospiz Verlag, erzählt keineswegs eine konstruierte Geschichte. Die Erklärungen von Uwe Saegner im Nachwort ";zum Begleit- und Bildungseinsatz dieses Kinderbuches"; lassen darauf schließen, dass er selbst diese Geschichte so erlebt hat. Er schreibt dazu ";Vor einigen Jahren ist mein Vater gestorben. Es war das Schlimmste, was ich je erlebt habe... Viele Jahre später konnte ich mit diesem Buch ein bisschen von dem ausdrücken, was ich damals gefühlt habe und auch heute noch empfinde."; Wir lernen aus dieser Geschichte, wie wichtig es ist, Kindern die ";ungeschminkte"; Wahrheit zu sagen; in dem Sinne, dass sie mit sprachlichen Verschleierungen nichts anfangen können. Wenn jemand von einem geht, dann ist er eben nur weggegangen und wird - so die kindliche Logik - irgendwann wiederkommen oder kann gefunden werden. Wir erfahren in der Geschichte ";Papa, wo bist Du?"; wie lange der Junge sich in einer, wie Uwe Saegner es ganz treffend bezeichnet, ";Endlosschleife"; befindet; er ist ganz allein und ratlos mit seinem Kummer, ehe er sich erneut seiner Mutter zuwendet und ihr die entscheidende Frage stellt.
Die Mutter bleibt in der Dramaturgie dieser Geschichte beinahe unsichtbar. Ich habe die üblichen Rituale des Abschiednehmens vermisst - der Junge erzählt nichts von einer Bestattung, nichts von anderen, trauernden Familienmitgliedern. Auch seine Mutter scheint in jeder Beziehung abwesend zu sein. Ganz und gar in seiner ";Endlosschleife"; gefangen, kann er keine Einflüsse von Außen wahrnehmen.
Vermutlich hat sich die Mutter dem Schmerz ihres Kindes entziehen müssen, da sie mit ihrer eigenen Trauer beschäftigt war. Dieses Buch zeigt jedoch, wie wichtig es ist, Kindern bei der Bewältigung von Tod und Trauer eine Hilfe zu sein und wie Eltern keine Hilfe sind, wenn sie sich dem Kind in dieser Zeit nicht zuwenden.
Dass der Grafiker und Illustrator Uwe Saegner eher in der Trickfilmwelt beheimatet ist, lässt sich leicht erahnen. So hat er u.a. an ";Benjamin Blümchen";, ";Kommando Störtebeker"; oder ";Wer hat Angst vor Wöfchen Wolf"; mitgearbeitet. Seine Bildsprache erinnert sehr an die eines Trickfilms.
Besonders positiv fällt dies in der lebendigen Darstellung des Regens auf, etwas übertrieben dagegen wirken auf mich die dargestellten Momente, als der Junge in seinem Herzen wieder die Gegenwart seines Vaters vernimmt. Hier werden die Illustrationen positiver, sonnengelb - scheinbar wie aus Zauberei sprühen Funken und Sterne. Da hätte ich mir persönlich, anstelle dieses ";Feuerwerks";, eine ruhigere Annäherrung gewünscht. Die Darstellung des Protagonisten ist auf das Wesentliche reduziert - es gelingt Saegner aber dennoch, die wesentlichen Gefühle und Stimmungen wie Verzweiflung oder Mutlosigkeit wiederzuspiegeln. Das zeigt sich zum einen im Gesichtsausdruck des Jungen aber auch in seiner Körperhaltung.
Saegner versteht es sehr gut die emotionale Dramaturgie in seinen Illustrationen wiederzugeben. Draußen, im kalten, trostlosen Gewitterregen, ist der Junge auch körperlich dort angekommen, wohin er sich die ganze Zeit über emotional hinbewegte: Immer weiter aus dem zu Hause, das ihm Licht und Geborgenheit gegeben hatte, weg, in die Schuztlosigkeit und Kälte. Vielleicht ein Indiz dafür, dass Uwe Saegner es sehr viel besser vesteht, sich über seine Bilder auszudrücken. Jedoch erscheint mir die Stelle des Buches, als der Junge seinen Vater wieder in sich spüren kann, als ein zweifelhafter Plott: Seine Mutter flüstert ihm zu: Hör´genau hin! Papa ist ganz nahe bei Dir!"; Und im innern geschieht dann etwas seltsames ";Ich konnte Papa spüren...so spüren, als ob er zu mir sagt: ich bin bei Dir! Hier in Deinem Herzen! Und solange Du micht nicht vergisst, werde ich immer bei Dir sein!";
Dieser, auch auf illustratorische Weise übertrieben dargestellte Wendepunkt der Geschichte birgt unter Umständen zwei weitere ";Endlosschleifen"; in sich. Zum einen, dass betroffene Kinder, die den verstorbenen Menschen nicht in sich hören oder spüren können, glauben, zu versagen. Dieser Teil ist meiner Meinung nach dramaturgisch nicht eindeutig gelöst und wird bei dem einen oder anderen Kind sicherlich eine Art ";Erwartungshaltung"; auslösen. Zum anderen ist es der Satz ";Und so lange Du mich nicht vergisst, werde ich immer bei Dir sein!"; Dies könnte auf einige Kinder einen Druck ausüben und Schuldgefühle auslösen, wenn sie vielleicht einige Tage einmal nicht an den Menschen denken. Sie werden sich fragen, ob sie dann Schuld an dessen endgültigen Verschwinden haben. Jedes Kind sollte selbst herausfinden, wie es mit dem Tod umgehen will. Dieses Buch kann hier nur Anleitung geben, wie sich Eltern und Kinder dem Thema nähern können. Wenn ein Kind in seiner Trauer angenommen und begleitet wird, dann wird es eigene Strategien entwickeln.
In dem ausführlichen Nachwort unterstreicht Uwe Saegner, wie wichtig die Begleitung der Kinder in ihrer Trauer ist. Allein können sie den Weg nicht gehen, brauchen in diesen Tagen einen besonders sicheren Halt und ehrliche Erklärungen, damit sie mit dem Unbegreiflichen fertig werden können. Denn Tod bedeutet gerade für sehr junge Kinder nicht das, wofür es für uns Erwachsenen steht. Tod ist für Kinder nur eine Art Abschied - sie begreifen die Endlichkeit des Lebens noch nicht. Bekommen sie aber emotionalen Rückhalt und Verlässlichkeit, können sie so ein ";Spiel"; entwickeln, das ihnen die Trauerbewältigung erleichtert. Wichtig bei alledem ist, dem Kind zu signalisieren, dass es vollkommen natürlich und in Ordnung ist, sehr traurig zu sein. Denn das ist der Anfang aller ";Trauerarbeit";. Trauer ist kein Gefühl des Moments,sondern es ist ein langer Prozess, wie es Uwe Saegner in seinen persönlichen Worten selbst zum Ausdruck gebracht hat.
Fazit:
Für betroffene Kinder sicherlich ein gutes Buch, um sie emotional anzusprechen und um so in den Dialog mit ihnen treten zu können. Die Anleitung, wie man es schaffen kann, dass am Ende die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken brechen, halte ich jedoch nicht für ein ";Patentrezept";, denn das gibt es bei der Trauerbewältigung nicht. Es steht dabei jedoch ausser Frage, dass es für den Autor, Uwe Saegner, eine Hilfe bei der Trauerarbeit war. Dies möchte ich ihm auch auf keinen Fall absprechen. Beim Vorlesen sollten Eltern darauf achten, dem Kind gegenüber gegebenenfalls zu relativieren denn Kinder neigen dazu, wie die Geschichte dieses Buches ja deutlich zeigt, das, was wir sagen, wörtlich zu nehmen.
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