Aufklärung, muss das sein…? Ja, muss es!
Aufklärung in Familien kann ziemlich unterschiedlich verlaufen. Mal wird das Thema komplett umgangen, schließlich hat das Kind ja Bio-Unterricht in der Schule und somit ist alles gesagt, ein andermal gibt es irgendwann, vielleicht rund um den zehnten Geburtstag, das klassische Gespräch am Küchentisch, bei dem sich sowohl Eltern als auch Kind unwohl fühlen und beide Seiten hoffen, dass die peinliche Situation möglichst schnell vorbei ist.
Beides nicht ganz ideal, denn so bekommt das Kind einerseits den Eindruck, dass Sexualität und Gefühle Tabu-Themen sind, über die nicht gesprochen werden sollte, und andererseits holt es sich die Informationen aus anderen Quellen, was auch nicht im Sinne der Eltern sein wird. Vielen Eltern fehlt wahrscheinlich auch das Wissen, wie und wann sie anfangen sollen, mit ihrem Kind über Körper, Sexualität und die damit verbundenen Gefühle zu sprechen. Unterstützung bietet hier das Bilderbuch Von wegen Bienchen und Blümchen, in dem nicht nur Kinderfragen beantwortet, sondern auch die Erwachsenen ein wenig an die Hand genommen werden.
Körperwissen, Sexualität und Co. schon für Kindergartenkinder
Die Zeiten, in denen Kindern Geschichten von Bienchen und Blümchen erzählt wurden oder Aufklärung erst kurz vor der Pubertät stattgefunden hat, gehören hoffentlich der Vergangenheit an. Bereits die Allerkleinsten beginnen nach und nach sich zunächst für ihren eigenen und irgendwann auch für die Körper der anderen zu interessieren. Dass das ganz normal ist und in einem geschützten Rahmen zur Entwicklung dazugehört, ist für einige Erwachsene auch heute noch schwierig und es fällt ihnen schwer, diese Entwicklung passend zu begleiten. Wie eine schambefreite Kommunikation gelingen kann, zeigen Carsten Müller und Sarah Siegel in ihrem Sachbilderbuch.
Nach einer kurzen Einleitung geht im Buch es auf der zweiten Doppelseite auch schon direkt mit den unterschiedlichen Geschlechtsorganen von Mädchen und Jungen los, denen jeweils eine eigene Seite gewidmet wird. Bei den im Detail abgebildeten Darstellungen mit Beschriftung bleiben dann auch keine Fragen offen. Thematisch geht es anschließend mit dem großen Bereich Gefühle weiter. Sind äußere Gefühle wie eine kratzige Strumpfhose noch ganz gut zu erkennen und zu äußern, können innere Gefühle oft ganz schön verwirrend sein. Mal möchte man gerne gekitzelt werden, ein andermal vielleicht überhaupt nicht. Eine Umarmung von Mama kann sich schön anfühlen, von der Tante möchte man hingegen lieber in Ruhe gelassen werden. Dass das in Ordnung ist und man das auch sagen darf und sollte, müssen Kinder oft erst lernen. Genauso wichtig ist es jedoch auch, dass Erwachsene diese Grenzen erkennen und respektieren.
Weiter geht es mit dem Schamgefühl, welches sich nach und nach entwickelt, sich in verschiedenen Situationen zeigen kann und für viele Eltern oft erstmal ungewohnt ist. Im nächsten Abschnitt gehen die Autoren konkreter auf Themen rund um Sexualität ein und erklären, wie sich Gefühle und Aussehen des Körpers, speziell des Genitalbereichs, verändern und entwickeln, bevor es anschließend mit dem Thema Geschlechtsverkehr, seinen verschiedenen Arten und der Entstehung eines Babys weitergeht. Den Abschluss machen schließlich die Bereiche erstes Verliebtsein, körperliche Veränderungen in der Pubertät und Geschlechtsreife.
Unbefangen und offen
Wie gehe ich das Thema Aufklärung bei meinem Kind am besten an? Als erfahrener Sexualtherapeut und -pädagoge kann Carsten Müller diese Frage bestens beantworten. Kindgerecht und mit anschaulichen Bildern bietet er Eltern mit diesem Buch die Möglichkeit, die Themen Körper, Gefühle und Sexualität ganz natürlich beim gemeinsamen Betrachten zu besprechen. In Infokästen gibt er Eltern im Umgang mit den unterschiedlichen Themen Tipps, wie sie sich am besten verhalten oder Themen besprechen können. Das Buch richtet sich an Kinder ab fünf Jahren, was auch gut passt. Jüngere Kinder werden mit einigen Abschnitten wie Scham oder Gefühlen häufig noch wenig anfangen können, wobei Körperwissen und eigene Grenzen setzen und die der anderen respektieren auch schon früher interessant und wichtig sein können.
Die Texte selbst sind gut verständlich und alltagssprachlich geschrieben. Anschauliche Beispiele helfen den Kindern dabei, sich komplizierte Dinge vorzustellen und sie somit besser nachvollziehen zu können. Die einzelnen Abschnitte wirken nicht belehrend und ähneln eher einem Angebot an Antworten auf Fragen, die Kinder interessieren. Die Texte sind in der „Du-Form“ verfasst, sodass sich die kleinen Zuhörer wie in einem Gespräch direkt angesprochen fühlen und die Distanz zum Thema verloren geht.
Gestaltung
In einem Aufklärungsbuch kommt Bildern eine besondere Bedeutung zu. Schließlich zeigen sie sonst eher bedeckte Körperteile oder Situationen, die normalerweise hinter verschlossenen Türen stattfinden. Sie sollen dabei helfen, Fragen zu beantworten ohne dabei jedoch durch zu ungewohnte Bilder zu überfordern. Dieser Anspruch ist gut gelungen, da die Bilder ganz ungezwungen und natürlich wirken. Die Illustrationen helfen durch anschauliche Darstellungen dabei, Wissen über den eigenen Körper zu erlangen und zeigen gut, wie unterschiedlich Menschen sein können. Dass Wert auf die Vermittlung von Diversität gelegt wird, zeigt sich nicht nur bei der Berücksichtigung verschiedener Hautfarben. Genauso selbstverständlich finden sich neben schlanken auch fülligere Menschen, es werden Menschen mit Punkfrisur, Piercings, Hörgerät, Rollstuhl oder auch Beinprothese abgebildet. Auch bei unterschiedlichen Familienformen mit beispielsweise zwei Vätern, mehreren Elternteilen oder auch Alleinerziehenden zeigt sich das Buch auf Vielfalt und hin zu einer offenen Gesellschaft bedacht.
Fazit
Von wegen Bienchen und Blümchen ist ein modernes Aufklärungsbuch, in dem bereits Kitakindern ein unbefangener Umgang mit dem eigenen Körper und dem Thema Sexualität vermittelt wird. Behutsam und ohne zu überfordern werden alterstypische Fragen erklärt und ein selbstbewusster Umgang mit dem eigenen Körper und den eigenen Grenzen aufgezeigt. Auch für Eltern hält das Buch hilfreiche Tipps parat, die zu einer gelungen Kommunikation rund um die Themen Körper, Gefühle, Sexualität und Pubertät beitragen können. Ein empfehlenswertes Sachbilderbuch, das Kinder durch Kita- und Grundschulzeit begleitet.
Carsten Müller, Sarah Siegl, Emily Claire Völker, EMF
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