Ist das vorstellbar? Der Mensch stolpert im Universum herum, ohne das Naheliegendste zu entdecken? Nein, das können wir uns nicht vorstellen. Genau so wie es Luis, der Blattlaus, bei seiner Forschungsreise gar nicht in den Sinn käme, intelligentes Leben übersehen zu haben. Und das ist doch klar, denn eine so kleine Laus hat eben nicht den Blick für das Große und Ganze - und der Mensch? Die Doppelbödigkeit dieser Geschichte erschließt sich auf Anhieb uns Erwachsenen und das ist es auch, das uns ";Luis´ Raumfahrt"; so sympathisch macht. Ist sie doch große Philosphie im Kleinen.
Luis´Raumfahrt vom NordSüd Verlag erzählt in eindrucksvollen Perspektivwechseln die Geschichte von einer kleine Blattlaus, die irgendwie ahnt, dass die Welt doch größer sein muss, als der Blumentopf, den er für seinen ";Heimatplaneten"; hält. Er möchte über den Blumentopfrand hinausschauen...
Papalaus antwortet auf Luis´ Frage, was hinter den grünen Blättern kommt, dass dort noch mehr Blätter gibt, auf denen noch mehr Blattläuse wohnen. Er weiß es zwar nicht genau, hält diese These doch für sehr wahrscheinlich. Bei seiner ersten Expedition findet Luis die These seines Vaters zunächst bestätigt - dann aber gelangt er an einen Abgrund, an dem seine Welt ein abruptes Ende findet. Sein Vater macht dem kleinen Lausejungen wenig Hoffnungen, dass er je den Abgrund überwinden könne - es sei denn, er könnte fliegen.
Nachts träumt Luis davon, fliegen zu können und am nächsten Morgen - wie durch ein Wunder - hat Luis tatsächlich auf seinem Rücken Flügel und macht sich sofort daran, das Fliegen zu üben. Es dauert auch nicht lange, da fliegt Luis, als hätte er nie etwas anderes getan und begibt sich, wie es zu erwarten war, zum Abgrund, um ";unbekannte Welten"; zu erforschen.
Er muss feststellen, dass das Weltall unendlich groß ist, die Sonne furchtbar hell und heiß - er schlägt deshalb eine andere Richtung ein und landet schließlich auf einem blassen, verlassen wirkenden Mond. Er hofft dort andere intelligente Lebewesen zu fnden, muß jedoch feststellen, dass die ";Halme"; die dort wachsen, ungenießbar für Läuse sind - schlechte Voraussetzungen für die Bevölkerung eines fremden Planeten, zumindest aus Laus-Sicht.
Die Ödnis des Mondes wird ihm bald schon zu langweilig und er beschließt, zu einer Gruppe von Kometen zu fliegen, die ihn geschwind mit sich nehmen auf ihren Flug durchs All. Dann wird es Luis aber wiederum zu turbulent und er macht sich auf einen langen Weg zu einem roten, zotteligen Planeten, der ganz und gar eigenartig zu sein scheint.
Dann aber, ganz unvermittelt, bricht ein lautes Getöse aus und ein schwarzes Loch reisst alles auf dem roten ";Zottelplaneten"; mit sich. Luis hält sich mit seiner ganzen Kraft fest, damit er nicht ebenfalls fortgesogen wird. Erst, als ihn die Kräfte zu verlassen drohen, ist das schwarze Loch so plötzlich verschwunden, wie es aufgetaucht ist. Luis schlottern noch alle Glieder als er sich wieder auf den Weg macht. Aber mit dem nächsten Planeten, an dem er vorbeifliegt, hat er auch nicht viel mehr Glück, denn er explodiert und schleudert ihn mit ";100facher Lausgeschwindigkeit"; in eine gelbe, blubbernde Flüssigkeit. Zum Glück kann sich Luis auf eine Insel retten. Ermattet liegt er dort bis er spürt, wie ihn ein warmer Wind trocknet. Er genießt die Wärme und ruht sich einen Moment aus. Schließlich findet Luis, dass es an der Zeit ist, wieder nach Hause zu fliegen. Nach einem sehr langen Flug sieht er das Grün seiner Heimat wieder und die ganze Läusefamilie empfängt Luis freudig, um seinem Abenteuer zu lauschen. Und Luis erzählt. Auf die Frage, ob er auch noch anderen Blattläusen oder anderen Lebewesen begegnet sei, meint Luis nur ";Nein... intelligentem Leben bin ich nicht begegnet. Aber das Weltall ist so unendlich groß! Wer weiß, ob nicht da draußen noch jemand auf uns wartet";.
So weit die Geschichte aus Luis´ Sicht. Aber was die Bilder uns zu der Geschichte zeigen, mögen die einen oder anderen bereits ahnen. Denn die Bilder geben nach und nach frei, was in den vermeintlichen Weiten des Universums tatsächlich vor sich geht.
Wir und die Kinder erkennen schnell das, was uns nur zu bekannt ist: Die dahinsausenden Kometen sind Teil eines Mobilés, der Zottelplanet ist ein roter Teppich und das schwarze Loch ist der Staubsauger. Der Planet, der einfach explodiert, ist ein lila Ballon und die blubbernde Flüssigkeit ist ein Glas Limonade. Die rettende Insel war die Fingerkuppe einer Frau und der warme, rettende Wind kaum aus dem roten Mund derselbigen... Stets wenn Luis sich von seinem Aufenthaltsort fortbewegt und anderen Zielen zustrebt, sehen wir aus der Vogelperspektive, um welche Art von ";Himmelskörper"; es sich gehandelt hat. Da sehen wir aus dem kargen Mond ein Babykopf werden und aus der heißen Sonne eine Deckenlampe. Am Ende sehen wir das Große und Ganze, das Luis sicherlich auch gerne so gesehen hätte. Genau bei dieser Auflösung fällt schließlich der Satz von Luis, dass er kein intelligentes Leben finden konnte. Ja, da kommt man schon ein wenig ins Grübeln...
Die interessanten und aufschlussreichen Perspektivwechsel dieses Bilderbuches von Christine Goppel, das als Diplomarbeit an der Bauhaus-Universität in Weimar entstand, bilden fraglos die spannenden Momente aus Luis´ Raumfahrt. Aber auch die Darstellung der sich sehr ähnlichen sehenden Läusefamilie ist durchaus gelungen. Die Geschichte beginnt in dem grünen Dickicht der Zimmerpflanze, in der sich ihre Bewohner hauptsächlich durch ihre schwarzen Konturen von ihrer Umgebung abheben. Sie sind sehr rund, Der Kopf geht direkt in den Körper über und die Fühler fallen ebenso lang aus wie deren Arme und Beine. Erstaunlich, wie lebendig ihre kleinen Gesichter wirken, die nur aus Augen und Mund bestehen. Aus dieser Mischung geht eine humorvolle Ausdrucksstärke hervor - besonders von dem Hauptdarsteller Luis, der doch so manche Überraschung und Gefühlsregung auf dem kleinen Gesicht zeigt. Die Zeichnungen sind in Pastellkreide angelegt und verfügen über ein warmes Farbspektrum, das den Raum, durch den Luis ";fährt";, in freundlichen und sanften Tönen wiedergibt. So verfügen die Darstellungen über eine Tiefe, die erst das Erleben der verschiedenen Perspektiven, das Groß und das Klein, möglich und so lebendig macht.
Die Geschichte ist flott und witzig erzählt - stets aus der Sicht von Luis, der die Welt nicht versteht. Auch sind es seine Beschreibungen und Hoffnungen die hier zum Ausdruck kommen. So pendelt das Erzählte geschickt zwischen Luis´ Gedanken und der Beobachtersicht, was das Zuhören und Verstehen für Kinder noch spannender macht.
Fazit:
Wenn man eine mikroskopische Bestandsaufnahme eines Objektes vornimmt, ist in der Regel klar um was es sich handelt. In Luis´ Geschichte ist es genau anders herum - ähnlich wie bei dem ";Dalli-Klick";- Bilderrätsel, das einer Spielshow aus den Siebzigern entstammt. Denn hier liegt die Kunst darin, Dinge wieder zu erkennen, die wir ";so"; noch nicht betrachtet haben. Mit diesem Effekt spielt auch dieses Buch von Christine Goppel sehr gekonnt und überzeugt eben auch durch seine Verspieltheit. Für Kinder, die selbst kleine Entdecker und ";Hinterfrager"; sind, das richtige Lesefutter, das ihnen den Anreiz gibt, hier einmal genauer hinzuschauen. Dennoch ist das Thema Weltraum und seine Unendlichkeit ein sehr abstraktes und, sogar für uns Erwachsene, ein unvorstellbares ";Ding";. (Daher sollten Eltern versuchen, diese bei uns allgemein anerkannte These ihren Kindern ein wenig näher zu bringen.) Alles in allem ist es eine gelungen hintergründige Geschichte mit einem gewissen Clou, der sich naturgemäss erst ganz am Ende zeigt. Humorvoll und lebendig illustriert ist ";Luis´ Raumfahrt"; eine spannende Geschichte für alle Forscher ab vier Jahren.
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