Hallo, Herr Eisbär!
- Beltz & Gelberg
- Erschienen: März 2019
- 1
Illustrationen von Daniel Rieley
Wenn nur noch ein Eisbär helfen kann...
Arthur hat einen kleinen Bruder, der anders ist. Liam mag nichts Unvorhergesehens, keine lauten Geräusche, nicht viele Menschen auf einmal. Und wenn ihm irgendwas zu viel wird, dreht er durch. Wenn Arthur Fußball guckt zum Beispiel und den Ton anmacht, damit er den Kommentator hört. Wenn Liam durchdreht, schicken die Eltern immer beide Jungen auf ihre Zimmer. Liam, damit er sich beruhigt, Arthur zur Strafe.
Liam ist Arthur peinlich, gleichzeitig fühlt er sich verantwortlich und ist getroffen, wenn sich andere über ihn lustig machen. Er hasst es, wenn sich alles nur um Liam dreht, auch wenn er weiß, das Familienleben ist entspannt, wenn Liam entspannt ist. Trotzdem: „Es geht immer nur um Liam, Liam, Liam. 'Liam hatte eine echt gute Woche', 'Liam hat heute so ein schönes Bild gemalt', 'Liam hat sich so angestrengt mit dem Lesen' Mich bemerken sie nur, wenn ich etwas Schlechtes gemacht hat.“
Arthurs Bruder ist besonders und alles dreht sich nur um ihn
Eines Tages ist wieder einmal eine wichtige Fußballübertragung gestrichen, weil Liam gerade keine Lärm aushalten kann und es aus Sicht der Eltern unfair wäre, nur den einen Bruder das Spiel schauen zu lassen: „Du musst verstehen, wie sich das aus Liams Perspektive anfühlt.“ Aber Arthur will nicht verstehen, sondern nur noch so schnell und so weit wie möglich weg. Weg von zu Hause, weg von seinem Bruder und weg von seinen „dämlichen Eltern“. Er rennt los und schon knapp hinter der Haustür direkt in einen riesigen Eisbären hinein. Der scheint dort gewartet zu haben und will offensichtlich wirklich zu ihm.
Ein unsichtbarer Freund für Arthur also, das passt, das ist etwas, was in der Bücherwelt häufig vorkommt, wenn ein einsames, vernachlässigtes, unverstandenes Kind dringend jemand an seiner Seite braucht. Der hat dann magische Eigenschaften, ist Spielkamerad und Vertrauter. Für uns Leser wird es oft lustig, weil die Figuren eben unsichtbar sind, aus einer anderen Welt kommen und in unserer Menschenwelt viel Quatsch anrichten. Für Arthur ist es also ein Eisbär geworden – mit der Besonderheit, dass er gar nicht unsichtbar oder eingebildet – ist, sondern von allen anderen auch gesehen wird.
Ein imaginärer Freund, den auch alle anderen sehen können
Arthurs Freunde und der Schulbusfahrer, die Lehrer, die Eltern und natürlich auch Liam. Liam und der Eisbär verstehen sich blendend, Liam ist ruhig, wenn der Eisbär da ist und der Eisbär ist gerne mit ihm zusammen. Das lässt Arthur vor Eifersucht fast platzen. Es war doch sein Freund! Endlich mal einer der ihn lieber mag und wichtiger findet als seinen Bruder. Der Eisbär spricht zwar nicht, versteht es aber, Arthur zu signalisieren, dass das auch so ist. Er ist wegen ihm da. Aber er signalisiert ihm auch: wenn Liam entspannt ist, sind auch alle anderen entspannt. Die Eltern zum Beispiel. Und die können sich dann auch mal um Arthur kümmern.
Der Text ist in diesem Buch ist groß gedruckt – gut zu lesen für Anfänger und Großeltern. Innerhalb der Sätze wechselt das Schriftbild oft die Größe, daran sieht man schon, wann wieder einer herumbrüllt. Der Text ist aufgelockert mit vielen Bildern. Alle sind in schwarz-weiß und eher einfach und schematisch gemacht. Aber sie fügen sich wie eine Einheit in den Text, dessen Sätze auch mal um die Illustrationen schwingen und flattern oder Teil von diesen sind. Es gibt Sprechblasen und Notizbuchausrisse aus Arthurs Tagebuch. Die Geschichte ist zwar generell aus Arthurs Sicht geschrieben, aber hier erzählt er dann wirklich selber, in der Ich-Form. Das mit dem Tagebuch ist eine Idee von der „Frau, die einmal in der Woche kommt um ihnen mit Liam zu helfen“, so nennt er es. Schneller als diese Frau hilft allerdings der Eisbär dem vernachlässigten Arthur aus seinem Schattenkinderdasein. So nennt die Fachwelt Kinder, die im Schatten eines kranken der behinderten Geschwisterkindes aufwachsen. Sie sind froh, selbst gesund und selbständig zu sein und entwickeln oft eine solche Überverantwortlichkeit. Sie schämen sich für die Situation zu Hause, sind wütend auf die Eltern und haben genau deswegen auch noch Schuldgefühle.
Es wird nicht alles gut, aber besser
Arthur ist ein Paradebeispiel.: Er gewinnt er mit einem lustigen Eisbären-Fußballfoto drei VIP-Tickets für ein wichtiges Pokalspiel. Eigentlich wäre klar: der Vater geht mit den beiden Jungs. Aber Liam wird es im Stadion nicht aushalten können. Die Eltern können es nicht aushalten, ihm zu sagen, dass er nicht mitkommen kann, sondern Arthur und Papa alleine gehen werden. Mit Eisbär würde es Liam allerdings aushalten. Aber es gibt nur drei Tickets und ein Erwachsener muss wohl auch mit. Also entscheidet Arthur sich zu verzichten, damit Liam mit Papa und dem beruhigenden Eisbären fahren kann. So klein er ist, so verantwortungsbewusst ist Arthur, nimmt seinen Eltern Eltern sogar die Last und die Verantwortung ab, eine unschöne Entscheidung zu treffen, in dem er es im vorauseilenden Gehorsam selbst macht.
Zum Glück hat Arthurs Familie den Eisbären, der ihnen zeigt wie es besser gehen kann. Und dann zieht der Eisbär weiter, zum nächsten Auftrag, zum nächsten Schattenkind. Mit Liam ist es immer noch nicht leicht und besonders ist er immer noch. Aber es ist viel besser als vorher.
Fazit:
Arthur steht im Schatten seines kleinen, behinderten Bruders und als er es vor Vernachlässigung nicht mehr aushält, gerade dann taucht ein riesiger Eisbär auf. Wie es sich für einen imaginären Freund gehört, hilft er allen und vor allem seinem Freund Arthur. Am Ende ist längst nicht alles gut, aber ein bisschen besser auf jeden Fall. Eine lustige, ehrliche, traurige und tröstliche Geschichte um ein Schattenkind und seinen imaginären Freund.
Deine Meinung zu »Hallo, Herr Eisbär!«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!