Die Bartfrau
- Rowohlt Rotfuchs
- Erschienen: Januar 2019
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Die Bartfrau ist die Beste
Es ist der Abend vor den Zeugnissen. Der Junge Jonathan ist nicht schlecht in der Schule, sondern normal bis gut und müsste eigentlich keine solche Angst und Bauchschmerzen haben. Aber: seine Mutter, die ist nicht normal, sondern hat ganz besonders hohe Ansprüche. Sie und auch Jonathans Vater wollen kein normales Kind, sondern ein perfektes. Ein Wunderkind, das allerallerbeste in allem. Noch mehr Angst als vor dem Donnerwetter, das ihn wegen seines nur normalen Zeugnisses erwartet, dem Hausarrest, den Beschimpfungen als „das Durchschnitt“ oder „Dumbo Dumpfo“, noch mehr Angst hat er, dass seine Eltern ihre Drohung wahrmachen – und die Bartfrau rufen.
Was man sich über die Bartfrau erzählt ist ziemlich gruselig
Über die Bartfrau kursieren gruselige Gerüchte: Man sagt, sie haust in einer Hütte am Schrottplatz; und man sagt, ihr Rock ist schwarz und riecht nach Kartoffelschalen und Kindertränen; und sie trage eine Mütze aus Kaninchenfell; und auf dem Hals stecke ein Kopf und der Kopf habe ein Kinn und am Kinn sei ein Bart und man sagt, sie mag Kinder. Am liebsten gebraten als Burger.
So gruselig wie diese Gerüchte auch sind, so übertrieben sind sie auch. Jonathan und all die anderen Kinder im Buch glauben das zwar tatsächlich, aber unser Kind, das gebannt zuhört, merkt, dass alles nicht ganz ernst gemeint ist. Und kann es ohne Angst genießen. Wie alles andere. Denn die Eltern von Jonathan sind ja auch zum Gruseln, die boshafte, gewalttätige Strenge wäre im wahren Leben strafbare Kindesmisshandlung. Und so despektierlich über eine Frau mit Bart zu sprechen, ist in unseren genderbewussten Zeiten auch zumindest grenzwertig. Aber wie gesagt, es ist zu überzogen, um es nicht lustig zu finden.
Und es hilft alles nichts, egal wie Jonathan sich anstrengt, irgendwann hat seine Mutter die Nase voll von ihrem unperfekten Sohn. Sie ruft die Bartfrau. Und – Wuusch – ist die da.
Aber sie ist ganz anders als gedacht
Wir sehen eine große starke Frau im Tupfenkleid mit großem Busen, langem Bart, haarigen Waden und Puschen an den Füßen, so wie auf dem Cover und auf den vielen kleinen tollen Illustrationen im Inneren. Sie flucht „verdammich kruzi fuzi“ wie ein Bierkutscher, riecht lecker nach Erdbeerbonbons, hat aber tatsächlich einen Bart und eine Mütze mit lustig wippenden Kaninchenohren.
Und dann legt sie los, aber anders als gedacht. Denn sie ist gar nicht dazu da, Kinder aufzufressen. Sondern, so steht es auf ihrer Karte, sie ist „Exbärtin für Optimisation von gar nicht erziehbaren, schwererziehbare und anders erziehbaren Eltern“.
Weil aber an diese schlechten Eltern so schlecht dran zu kommen ist, nutzt sie als Trick, Grusel- Geschichten über sich zu verbreiten. Liebevolle Eltern würden nie auf die Idee kommen, ihr Kind einer bärbeißigen Erziehungsexpertin zum Fraß vorzuwerfen, nur um es „optimisieren“ zu lassen. Aber die bösen, die rufen an. Und so findet sie die Kinder, die ihre Hilfe brauchen. Kinder wie Jonathan.
Die Bartfrau kann zaubern – „schwuppen“ nennt sie es – kochen putzen, Wünsche erfüllen, Freude verbreiten und ist einfach die allerbeste. Noch nie war jemand so freundlich, wohlwollend und zugewandt. Jonathan fühlt sich geliebt und sicher und diese Zuversichtlichkeit trägt sehr dazu bei, dass wir als Leser das Überzeichnete und zum Teil auch Tragische lustig finden können.
Jonathans Vater ist schnell „optimisiert“. Aber Jonathans Mutter ist eine härtere Nuss. Sie intrigiert gegen die Bartfrau, legt Fallen und Finten, und schafft heimlich einen „Perfektor“ an, eine große Maschine in den sie ihren Sohn reinschmeißen will.
Es wird immer schlimmer und lustiger und am Ende wird alles gut
Am Ende ist alles gut. Die Bartfrau ist die beste. Und Jonathan kann endlich das normale Kind sein, das er ist. Und das ist auch das Beste. So formuliert es an einer Stelle der freundliche Eisladenbesitzer Herr Flagranti in seinem herzallerliebsten Italo-Deutsch. „Bisse zum Glücke normalle. Normalle Kind isse Wunderkinde. Alle Menschen seine miracolo.“
Fazit:
Jonathan ist der einzig normale in diesem Buch, aber das ist genau der Grund für die Geschichte. Seine Eltern, überzogen karikiert, ehrgeizig und anspruchsvoll, wollen, dass er mindestens perfekt ist. Und holen die Bartfrau, die Exbärtin für Optimisation – die allerdings anders optimisiert als gedacht. Die Wortschöpfungen erinnern an Pippi Langstrumpf, der Perfektionswahn der Eltern ist absolut heutig, ihre Härte und Kälte wie bei Hänsels und Gretels Stiefmutter. Und die Bartfrau ist wie eine gute Fee eine wahre Menschenfreundin. Diese ganze wilde Mischung könnte man als modernes satirisches Märchen bezeichnen – wenn es so etwas gibt.
Katalina Brause, Rowohlt Rotfuchs
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