Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe
- Thienemann
- Erschienen: Januar 2019
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Ein moderner Klassiker und eine echte Bereicherung für die Welt der Geschichten und der Fantasie.
Der furchterregende Raubritter Rodrigo Raubein und sein Knappe Knirps sind Figuren, die Michael Ende geschaffen hat, bevor er gestorben ist. Das Abenteuermärchen rund um die beiden hat er noch begonnen zu schreiben. Jetzt ist die Geschichte vom Kinderbuchautor Wieland Freund zu Ende geschrieben worden. Und so trägt sich nun alles zu:
Schauplatz der Geschichte ist das Reich König Kilian des Letzten und der Bangewald, dunkel, groß und voller alter Bäume. Sumpfdruden, Wurzelgnome und Astkobolde leben hier. Harmlose, aber geheimnisvolle Wesen. Die Geschichte spielt im Mittelalter. Im „finsteren Mittelalter“ um genau zu sein. Mit diesem geflügelten Wort wird oft gespielt und gleichzeitig wird es genutzt, um kleine Informationen über diese Zeit einzubauen. So dass sich auch die Kinder des 21. Jahrhunderts vorstellen können, wie es wohl damals im Vergleich zu ihrem Leben war. Wirklich finster und dunkel nämlich. Kohlpechrabenduster. Weil es noch keinen Strom gab, kein Gas, keine LED, keine Straßenlaternen, Scheinwerfer oder Taschenlampen.
Hauptperson ist der kleine Hastrubel Anaximander Chrysostomos; seines komplizierten Namens wegen wird er von allen nur Knirps genannt und so bleibt es auch im Buch. Er ist das Kind fahrender Marionettenspieler. Seine Eltern sind einfache, anständige, freundliche Leute, aber Knirps ist das alles zu langweilig.
Er will etwas erleben. Ritter werden, Raubritter am liebsten. Weil er sehr viel Tatkraft hat und wenig Bedenken – seine Eltern nennen ihn störrisch – nutzt er eine stürmische Gewitternacht, um wegzulaufen. Um die Burg des Ritter Raubein zu suchen. Dessen Knappe will er nämlich werden. Nun ist der Ritter nicht irgendwer, sondern der schlimmste und grausamste aller Raubritter: Er tut Böses einfach, weil es ihm Spaß macht, nicht nur für Geld und Gold. Die Gräber und Knochen seiner Opfer säumen den Aufstieg hoch zu seiner Burg. Das sieht auch Knirps, als er dort entlang geht. Und es bestärkt ihn, unterwegs zu genau dem Richtigen zu sein. Angekommen, klopft er. Keiner macht auf und während er wartet, schläft er vor Erschöpfung ein, genau vor der Tür, im strömenden Regen.
Am anderen Morgen tritt der Raubritter vor die Tür. Knirps ist sofort auf den Beinen und schüttelt ihm kräftig die Hand: „Guten Morgen, Herr Raubritter Rodrigo Raubein. Ich bin Knirps und werde ab sofort euer Knappe sein, darf ich Onkel Roddi zu dir sagen?“ „Nein“, antwortet der entsetzt und auch ein bisschen verstört über diese überschwängliche Unbekümmertheit. „Okay, Onkel Roddi. Wann gibt es denn Frühstück?“ Worauf der Ritter sich den Jungen packt – und merkt, dass er heiß vor Fieber ist. Kein Wunder, wer bei Sturm und Regen draußen schläft. Roddi steckt das Kind kurzerhand ins Bett und pflegt ihn gesund.
Denn der böse Ritter ist gar kein Böser, im Gegenteil. Er ist ein ganz freundlicher, sehr scheuer Mensch, der im Burggarten Gemüse anbaut und Kakteen züchtet. All die Geschichten über sich hat er selbst in Umlauf gebracht, damit ihn die Welt in Ruhe lässt. Die Skelette im Wald hat er aus Gips gebastelt; eine eigene Werkstatt hat er dafür.
Auf einen Knappen allgemein und auf den quirligen Knirps im Speziellen hat er jedenfalls keine Lust. Um ihn loszuwerden, trägt er ihm auf, eine raubritterwürdige Tat zu begehen, um die Prüfung als Knappe zu bestehen. Aber Knirps geht nicht, wie von Rodrigo gedacht, stracks zu seinen Eltern zurück. Sondern er begeht wirklich eine raubritterwürdige Tat. Naja nicht ganz. Er kommt zu einer überfallenen Kutsche und die Prinzessin Filippa, die sich dort noch versteckt hält, geht lieber mit Knirps mit, als auf das geflohene Gefolge zu warten. Aber der hinterlässt ein Bekennerschreiben in Rodrigos Namen und damit sieht es so aus, als wäre die Thronfolgerin entführt worden.
Und das schlägt Wellen. Der alte König Kilian ist so schwermütig, dass er vermutlich nicht mehr lange König sein wird. Was nur wir Leser wissen: Hofzauberer Rabanus fördert die Krankheit des Königs mit allen Mitteln, will er doch selber König werden. Dass die Prinzessin weg ist, kommt ihm also genau recht.
Derweil suchen Knirps Eltern ihren Sohn, kopflos und hilflos. Der Vernünftigste ist noch ihr sprechender Papagei Sokrates, der alles versucht zu überblicken. Er liest ganz viele Geschichtenbücher um so herauszufinden, wie es generell in Geschichten mit im Wald verschwundenen kleinen Jungen so weitergeht und vielleicht einen Hinweis zu bekommen, wo Knirps ist und wie sie ihn finden könnten.
All die Figuren sind neue Geschöpfe, aber gleichzeitig passen sie zur Michael-Ende-Familie: Knirps wäre sicher gut Freund mit Jim Knopf, Sokrates mit Momos Schildkröte Kassiopeia. Und dann gibt es noch den Drachen Wak, dem man wünscht er möge es nach dem Showdown nach Fantasién schaffen, in das Land wo Wesen wie er nicht nach Gut und Böse beurteilt werden.
Der Showdown - genau. Zuviel davon wird nicht verraten. Nur, dass die Wege aller Figuren sich kreuzen, ziemlich viel ins Rollen gerät und am Ende Knirps, seine Eltern, Flip, Rodrigo, Sokrates und Co ein für mittelalterliche Verhältnisse bombastisches Puppentheater aufführen, mit Lichtshow und Totenschädeln. Die den König endlich aus seiner Lethargie reißt und alles am Ende gut wird.
So gut, dass im letzten Kapitel dann jeder tut, was er will. Fast jeder. Alle außer Rabanus, dem Zauberer.
Die Bilder zu den Figuren sind zahlreich, bunt, gut, vielseitig, lebendig und bringen - noch mehr als die Geschichte - durch ihren Stil Mittelalter-Stimmung ins Buch. Die Figuren sind kantig, schmal, alle haben spitze Gesichter und sind mit dickem Strich gezeichnet. Zu den Beschreibungen in der Geschichte passen sie oft gar nicht so. Rodrigo etwa ist ein großer starker Mann mit schwarzem Bart – im Text; und im Bild ein schmaler Mensch mit strähnigen Haaren im Gesicht; auch der dicke König Kilian ist auf den Bildern maximal ein bisschen korpulent. Der große, traurige und böse Drache Wak ähnelt einer frechen Ratte und Knirps und Flip haben für die vielen Gedanken in ihrem Kopf recht wenig Mimik.
Andererseits: gut so. Die zurückhaltenden Bilder lassen Raum für Eigenes. Und wenn die kleinen Leser finden, „ihr“ Rodrigo sähe ganz anders aus - obwohl sie ihn nur in ihrer eigenen Fantasie und vor ihrem inneren Auge gesehen haben, dann ist es eine große Stärke der Geschichte.
Fazit:
Natürlich ist das Buch ein Muss für alle, die Michael Ende mochten und mögen; aber ein sehr schönes und lohnenswertes Muss. Zusammen mit Knirps und Rodrigo erleben wir eine abenteuerliche Räuber- und Heldengeschichte: turbulent, oft augenzwinkernd und an vielen Stellen voller kleiner Lebensweisheiten. Obwohl sie im Mittelalter spielt und vor 20 Jahren von Michael Ende erfunden wurde, schlägt sie den Bogen genau zu heutigen Themen und zu heutigen Kindern. Ein moderner Klassiker und eine echte Bereicherung für die Welt der Geschichten und der Fantasie.
Michael Ende, Wieland Freund, Thienemann
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