Wortwächter
- Ueberreuter
- Erschienen: Juni 2018
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Tom macht Ferien auf dem englischen Anwesen seines Onkels. Seine Familie ist entfernt verwandt mit dem altehrwürdigen englischen Autor Shakespeare und Onkel David scheint das Erbe sehr ernst zu nehmen: weder Internet noch einen Fernseher hat er, nur jede Menge Bücher. Absolut langweilig, findet Tom, und weil er nichts anders zu tun hat, durchstöbert er das alte Haus von oben bis unten. Und findet in der Bibliothek eine Buchseite, auf der wie von Zauberhand Worte erscheinen und wieder verschwinden...
Sie scheinen genau das zu erzählen, was er gerade sieht, denkt oder tut, mit der Eigenheit, dass sie all das leicht gehässig und süffisant kommentieren - und ihn warnen, sich rasch zu verstecken. Tatsächlich erscheint im selben Moment ein Fremder und entführt Toms Onkel.
Dass echte Menschen in eine Geschichte geraten, ist ein häufiger verwandtes Thema für Romane, von "Die Unendliche Geschichte" bis zu "Tintenherz". In diesem Buch ist es jedoch ein bisschen anders, pragmatischer könnte man sagen, oder authentischer. Denn hier geraten die Protagonisten nicht in eine in allen Details auskonstruierte parallele Fantasiewelt und auch nicht in eine einzige Geschichte. Hier es gibt eine Art Geheimbund, der über die Welt der Bücher wacht. Er besteht im Wesentlichen aus steinernen Bibliothekaren, die dann entstehen, wenn ein berühmter, verdienter, wichtiger Autor stirbt: Statuen, die ein bisschen aussehen wie er, sich bewegen können wie Menschen und über all das wachen, was ihr Autor so geschaffen hat. Und sie wachen über eine besondere Bibliothek, die gut getarnt im Londoner Big Ben untergebracht ist und in der ganz besondere Bücher aufbewahrt werden. Für jeden Menschen gibt es so ein besonderes Buch, das aus seinen Lebensseiten gebunden wird. Ein bisschen Datensammlung, wie bei Facebook, eine Biographie, die sich schreibt, während man lebt und jeder kann es lesen, wenn man tot ist, als Erinnerung.
Bücher lebender Menschen kann nur lesen, wer die Gabe hat, ein sogenannter Lesender zu sein. Denn ein solches Buch ist verletzlich, sein Mensch, besser gesagt, schreibt es sich doch ständig weiter. Neben den Lesenden gibt es auch noch Schreibende, die ein solches unfertiges Lebensbuch umschreiben können, umformulieren, das Leben des Betreffenden ändern. Wenn die Bücher an Schreiber geraten, die nichts Gutes im Sinn haben, kann auch viel Schlimmes daraus entstehen.
Und genau das passiert.
Aber all das wird Tom - und auch dem Leser - erst nach und nach klar.
Ein bisschen kompliziert ist der ganze Plot und viel Zeit bleibt weder Tom noch dem Leser, über all das nachzudenken und es zu sortieren, wer und was ein Bibliothekar ist, Wächter, Lesender, Schreibender oder Autorius.
Denn: Die Welt ist in Gefahr. Fällt die Goldene Schreibfeder in die Hände der Bösen, werden sie die Geschicke der Menschheit lenken, wie es ihnen gefällt. Und genau das müssen Tom und seine Freundin Josefine, eine Nachfahrin von Jules Verne, verhindern, jetzt, sofort und auf der Stelle - weswegen es auch sehr viel Action gibt.
Von der Bibliothek in Big Ben geht es los, ein Flug auf lebendigen Steinfiguren, nach Paris, wo sie den steinernen Nachfahren von Antoine de Saint-Exupéry treffen, den berühmten Autor des kleinen Prinzen. Und er ist Pilot. Er fliegt die beiden nach Ägypten und von da aus geht es weiter - wie bei einer Schnitzeljagd - nach Amerika, zu Mont Rushmore und den Präsidentenköpfen, wo es ganz nach Agentenfilm-Manier einen Showdown gibt.
Ja, und dann müssen natürlich noch die Entführten gerettet werden, Onkel David ist nicht der einzige, den die bösen Schreiber als Geisel genommen haben, auch Josefines Vater ist dabei.
Lustig ist das Buch an vielen Stellen auch noch: Da Tom nämlich überhaupt kein Interesse an Büchern hat, hat er auch immer null Ahnung mit wem er es zu tun hat, wenn wieder ein neuer steinerner Bibliothekar auftaucht, dessen Abbild ein berühmter Autor war. Zusätzlich ist das ein netter Kunstgriff, um Leser, denen es genauso geht wie Tom, wie nebenbei zu informieren, um wen es sich handelt.
Das Buch ist intensiv, weil Tom sich oft mit sich selbst und mit philosophischen Fragen auseinander setzen muss, ob es besser ist, den Bösen einfach die goldene Feder zu überlassen, die Welt nicht zu retten und stattdessen nur seinen Onkel und die anderen Geiseln zu befreien. Aber er und Josefine entscheiden sich, beides zu versuchen und am Ende gelingt es ihm auch, in einem Kampf, der nur mit Federn, Worten und Buchseiten ausgetragen wird. Einfach, weil er die bessere Geschichte zu erzählen weiß.
Woraufhin Josefine sehr stolz ist auf ihren Tom.
Ein bisschen Romantik ist nämlich auch noch dabei.
Fazit:
Eine Parallelgesellschaft, ein Geheimbund mit magischen Lebensseiten, goldenen Federn, steinernen Bibliothekaren und berühmten Autoren: Tom und seine Freundin Josephine müssen einmal um die Erde jagen, um schneller als das Böse zu sein.
Sie sind Actionhelden der besonderen Art, denn ihre Superkräfte sind Worte und Geschichten. Das ist erfrischend originell und spannend!
Sigrid Tinz
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