Willibart ist Holzfäller, und zwar buchstäblich einer wie aus dem Bilderbuch, mit Rauschebart, breitem Kreuz und kariertem Hemd. Von morgens bis abends macht er nichts anderes, als Bäume zu fällen, die Äste und Zweige abzuhacken und zu verbrennen und die dicken Stämme in den Fluß zu wuchten und sie zum Sägewerk zu flößen. Aber: Bäume sind ja nicht nur Brennholz, sondern auch Nistplatz für Vögel und Baumaterial für die Höhlen und Nester anderer Tiere. Und das wird Willibart bald merken...
Willibart lebt alleine, am Waldrand in einer urigen Blockhütte, trägt Rauschebart und Karo-Hemd, hat dicke Muskeln und einen dicken Bauch. Morgens frühstückt er Berge von Pfannkuchen mit Ahornsirup. Dann geht er in den Wald: Arbeiten. Bäume fällen. Denn Willibart ist Holzfäller von Beruf. Hack-Hacke-Hack, so geht es den ganzen Tag. Ein kleines Vögelchen mit großer Brille auf dem Schnabel klammert sich noch an den Stamm, aber: ein Baum nach dem anderen fäääääällt. Und nach einem langen Tag voll harter Arbeit geht Willibart nach Hause in seine Hütte, hinter ihm statt Wald nur noch Stümpfe, die im Abendlicht lange Schatten werfen.
Gerade will er ins Bett gehen, als Tock-Tocke-Tock jemand an seine Tür klopft. Es ist der kleine Vogel mit der großen Brille. Sehr wütend: "Ich hatte mir so ein schönes, neues Nest in meinen Baum gebaut! Und du hast ihn einfach gefällt."
Willibart, vom Naturell her ruhig und pragmatisch, überlegt kurz - und bietet dem Vögelchen an, in seinem Bart zu wohnen. Und das macht der Vogel auch. Am nächsten Morgen zwitschert der Vogel Willbart aus dem Bett, die beiden frühstücken zusammen und dann geht es wieder an die Arbeit: Willibart muss die Äste und Zweige von den Stämmen hacken und verbrennen; dann die Stämme in den Fluß werfen, in dem sie bis zum Sägewerk schwimmen sollen. Auch schwere Arbeit. Doch als er abends früh ins Bett will, ist Kratz-Kratze-Kratz wieder jemand an der Tür. Ein Stachelschwein, um sich zu beschweren: "Ich brauchte die Zweige und Nadeln für einen gemütlichen Bau. Wo soll ich jetzt bitte hin?!" Und dann kommt noch ein Biber: "Den ganzen Tag habe ich an meinem schönen neuen Damm gearbeitet, aber die Baumstämme, die du ins Wasser geworfen hast, haben ihn komplett zerstört."
Und der pragmatische Willibart bietet auch diesen beiden Tieren seinen Bart als Unterschlupf an.
Allerdings wird es da langsam eng. Willibart kann nicht schlafen: Als er sich am Kinn kratzen will, sticht er sich am Stachelschwein, der Biber rumort mit seinem Schwanz. Und der Vogel zwitschert und kleckst. Aber er hat eine neue Idee: er rasiert seinen Bart ab, legt ihn auf die Terrasse und fortan wohnen seine drei Tiere in diesem flauschigen Haufen. So ein Bart wächst ja wieder nach.
Genauso freundlich humorvoll wie die Geschichte ist, sehen auch der Holzfäller und seine Tiere aus: der Vogel mit den kleinen Pünktchenaugen hinter den dicken Brillengläsern, das Stachelschwein mit den Kulleraugen, der Biber mit der dicken, schwarzen Nase, Willibart und sein Bart und seine gemütliche Holzfällerplautze. Das Drumherum ist grün und braun und eher gedeckt, was perfekt zum Thema Wald passt. Die Bilder sind mal groß und doppelseitig, mal einzeln, mal auch eine kleine Abfolge an einzelnen Szenen. Der Text ist - Tock-Tocke-Tock, Hack-Hacke-Hack, Kratz-Kratze-Kratz - sehr lautmalerisch und anschaulich, und auch das Schriftlayout spielt eine Rolle im Gesamtkonzept und ist mal so und mal so über die Seiten verteilt.
Kleine Randbemerkung: die kantige Schrift passt optisch perfekt zu dem kantigen Holzfäller, ist aber nicht ganz leicht zu lesen.
Genauso freundlich und humorvoll wie sie ist, kann man die Geschichte auch lesen.
Aber natürlich auch anders: als Anregung, über Nachhaltigkeit und Naturschutz nachzudenken. Das Bild vom abgeholzten Wald zum Beispiel macht viele Kinder betroffen und sie fragen wie automatisch nach. In der Geschichte wird es sehr versöhnlich und lustig aufgelöst, mit dem Bart als neuer Unterkunft. Was natürlich keine globale Lösung ist, das merkt auch Willibart. Am nächsten Tag nimmt er statt der Axt den Spaten und geht Bäume pflanzen. Auch die wachsen ja wieder nach, auch wenn es etwas länger dauert als bei einem Bart. Aber: ganz am Ende ist Willibart wieder gewohnt rauschebärtig; und er sitzt zusammen mit seinen drei Freunden gemütlich unter einer Fichte mit dichten grünen Zweigen und dickem Stamm und lässt es sich gut gehen.
Fazit:
Ein Buch über einen knorrigen Holzfäller, der gewohnheitsmäßig seine Arbeit macht, bis er merkt, dass Vögel und anderer Tiere in den zu Brennholz werdenden Bäumen leben und wohnen. Wie er die Sache löst und sie in seinen Bart einziehen lässt ist sehr lustig und ein toller Rahmen für die ebenfalls transportierte Erkenntnis, was Abholzung bedeuten kann, und wie lange es dauert bis ein Baum nachgewachsen ist. Aber es geht, wenn man sich bemüht, und das tut Willibart, er forstet alles wieder auf und sitzt am Ende wieder unter einem dicken, großen Baum und lässt es sich zusammen mit seinen drei Freunden gut gehen.
Sigrid Tinz
Deine Meinung zu »Willibarts Wald«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!