Die Weihnachtswichtel am Nordpol finden beim Geschenkeausbuddeln tief im Eis ein Ei. Es wackelt, also wird es nicht weggeworfen, sondern vom Weihnachtsmann persönlich unter seinem dicken Po aufgetaut, warmgehalten und ausgebrütet. Und: am Heiligabend schlüpft ein freundliches, glitzerndes Dinobaby aus dem Ei, das von allen herzlich begrüßt und aufgenommen wird - und bis zum nächsten Weihnachten zu einem stattlichen Dinosaurier herangewachsen ist. Zur gleichen Zeit, tausende Kilometer entfernt, schickt William, zehn Jahre alt und glühender Dinosaurier-Fan, seinen Wunschzettel los: er wünscht sich einen echten Dinosaurier. Klar, was passieren wird, aber was dann wirklich alles passiert, ist kein bisschen klar, sondern eine Überraschung nach der anderen.
Der Weihnachtosaurus ist ein schönes dickes Buch, genau richtig für lange Drinnen-Tage in der Winterzeit. Zwei Geschichten beginnen quasi gleichzeitig: der kleine Junge William, der mit seinem alleinerziehenden Vater ein beschauliches, einfaches Leben führt. Willi ist absoluter Dinosauerierfan, er weiß alles und er hat alles über sie, und natürlich schläft er im Dinosaurierschlafanzug in Dinosaurierbettwäsche. Sein Vater ist genauso absoluter Weihnachtsfan, "so sehr, dass er nach den Weihnachtsfeiertagen dem Weihnachtsfest nachtrauerte. In seinem Kleiderschrank hatte er einen Weihnachtsbaum versteckt, der immer geschmückt war und wenn er den Schrank öffnete um sich ein Paar Strümpfe zu holen, gingen die Lichter am Baum an." Und spätestens ab dem 1. Dezember hat er dann wieder richtig, richtig gute Laune.
Genau zu der Zeit, wo es am Nordpol richtig, richtig stressig wird. Die Bergarbeiterwichtel des Weihnachtsmanns sind dann mit Hochdruck beschäftigt, die übers Jahr im Eis gewachsenen Weihnachtsgeschenke auszugraben. "Wir graben nach Spielzeug und Kuscheltieren, auch wenn wir dabei mächtig frieren. Wir schipp-schipp-schippen hier und da, schipp-schippe-di-dipp-Hurra!" Die Wichtel haben die Spezialität in Reimen zu reden, tragen verrückte Namen wie Sausefuß, Schnuffelpups oder Sprenkelbuckel - und nachdem man ihnen eine Zeit lang still amüsiert und leise kopfschüttelnd beim Graben zugesehen hat, finden sie das Ei. Und weil sie nicht wissen, was sie damit machen sollen, bringen sie es in die Wichtelstadt. Zum Weihnachtsmann.
In Wichtelstadt geht es so weiter: weihnachtlich-fantastisch und gleichzeitig völlig unkitschig und sehr handfest, mit viel Sprachspiel und Wortwitz: hier gibt es eine Rodelbahn, Cafés mit Weihnachtsmusik, ein Kino, in dem rund ums Jahr nur Weihnachtsfilme laufen, Rentier-Ställe mit dreifach erhöhten Decken, damit die Rentiere leicht rein- und rausfliegen können. Und natürlich das Haus des Weihnachtsmannes, gigantisch prächtig und groß, genau wie sein Bewohner, denn auch der ist gigantisch: "Stellt euch eure beiden dicksten Verwandten vor (das geht schon in Ordnung, sie werden davon nichts erfahren) und stellt euch jetzt vor, dass diese zwei Menschen eine Person sind. Yep, genau SO dick war der Weihnachtsmann. Nicht fett, sondern fett-tastisch."
Der Weihnachtsmann fackelt nicht lange und brütet das Ei unter seinem fetten Po aus. Ein kleiner Dino schlüpft, wird von den Wichteln aufgezogen; und auch wenn er manchmal traurig ist, der einzige Dino auf der ganzen Welt zu sein und anders als alle anderen, geht es ihm eigentlich ganz gut.
Aber das ist erst der Anfang.
Es kommt das Jahr, an dem sich Dinofan Willi einen echten Dinosaurier zu Weihnachten wünscht. Willi ist ein bisschen älter geworden. Der Erzähler berichtet kurz, wie es ihm ergangen ist und erklärt, dass Willi - anders als früher - zur Zeit nicht besonders glücklich ist mit sich, seinem Leben und der Tatsache, dass er nicht gehen kann und in einem Rollstuhl sitzt. "Hatte ich das vergessen zu erwähnen? Entschuldigung." Jedenfalls William hatte als kleiner Jungen einen schlimmen Unfall und an diesem traurigen Tag hatte er seine Mutter verloren und einen Rollstuhl bekommen. Abgesehen davon war William ein Kind wie jedes andere. Gewesen, bis Brenda in seine Klasse kam. Ein unglaublich gemeines, scharfzüngiges Mädchen, dessen gehässige Spötteleien Willi zum Außenseiter haben werden lassen.
Und hier kommen dann noch ein paar mehr Geschichten in die Geschichte: Mobbing, Anderssein, Einsamkeit. Aber auch Brenda trägt ihr Päckchen als Scheidungskind mit einer depressiven Mutter, was sich im Laufe der Geschichte herausstellt und die beiden verfeindeten Kinder erst im Leid vereint und dann zusammenbringt. Aber das ist sehr weit vorgegriffen.
Erstmal kommt der Weihnachtosaurus zu Willi. Eher ungeplant, denn der Weihnachtsmann wollte Willi natürlich keinen echten Dino schenken, seinen Weihnachtosaurus schon mal gar nicht. Sondern ein besonders großes, lebensechtes Dino-Kuscheltier. Das findet aber auch der Weihnachtosaurus toll, endlich einer der ihm ein bisschen ähnlich ist. Er schmuggelt sich auf den Schlitten, als der Weihnachtsmann zum Geschenke-Ausliefern aufbricht. Schläft ein und wacht bei Willi im Zimmer wieder auf - und dann gibt es Action. Der Weihnachtosaurus jagt in wilder Hast los, als er merkt, dass der Weihnachtsmann weiterfliegt, ohne ihn, verheddert sich mit Lichterketten und fliegt mit dem ebenfalls in den Lichterketten verhedderten Rollstuhl mit Willi darin durch den Winterhimmel. Und dann kommt auch noch ein böser Großwildjäger aus seinem Versteck, der es eigentlich auf ein fliegendes Rentier abgesehen hat. Aber nachdem er den Dino gesehen hat, natürlich nur noch den haben will. Und es gibt noch mehr Action.
Das Buch ist zeitlos vom Thema und heutig vom Stil, auch vom Layout: Es spielt mit Schrifttypen, mal große, mal kleine, der Satz ist sehr locker und auch die Illustrationen sind mal klein, mal groß, mal ruhig, mal turbulent, schwarz-weiß und detailliert und mal so und mal so im Text verteilt. Und der bunte glitzernde, leuchtende, lächelnde Weihnachtosaurus auf dem Cover ist einfach großartig und schon allein ein Grund, das Buch in die Hand zu nehmen.
Am Weihnachtsabend wird dann alles gut: der Dinosaurier ist Willis Freund, Brenda seine Freundin, Brendas Mama verliebt in Willlis Vater, der Jäger ausgeschaltet. Weihnachten eben. Wobei alles irgendwie mit rechten weihnachtlichen Dingen zugeht. Das Wunder, das Willi wieder gehen könnte, bleibt aus. Denn das macht der Weihnachtsmann ganz deutlich: so etwas, das kann er nicht. Genauso wenig wie Käsekuchen backen.
Fazit:
Ein Buch mit vielen Geschichten und Sichtweisen: Überschäumend fantastisch und weihnachtlich, sehr humorvoll, aber auch tragisch und deshalb völlig unkitschig, ernst und albern, traurig und zuversichtlich, turbulent und wunderschön bis zum erwartbaren Happy End, das aber doch ganz anders ist als zu erwarten war. Und allein, um den Weihnachtosaurus kennenzulernen, den einzigen seiner Art, ist dieses Buch lesenswert.
Sigrid Tinz
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