Wie aus einem Ei die kleine Raupe Nimmersatt wird und aus der am Ende ein wunderschöner Schmetterling, die Geschichte kennt jedes Kind. Metamorphose heißt diese Verwandlung wissenschaftlich korrekt und die Ei-Raupe-Kokon-Falter-Metamorphose ist nur eine von vielen, die sich in der Natur täglich, monatlich, wöchentlich, jährlich abspielen. Um genau diese alltäglichen Wunder geht es in diesem Buch.
Metamorphosen ist ein Sachbuch, aber nicht irgendeines. Es ist auch ein bisschen poetisch und lustig. Sagen wir: es ist ein bisschen anders, oder: es ist etwas Besonderes.
Erstens wählt es einen Oberbegriff und mixt fröhlich die Disziplinen, wie es Sachbücher eher selten machen. Sachbuchautoren sind in der Regel Fachleute und Fachleute bleiben bei ihrem Fach, da kennt man sich aus. Und auch Büchermenschen sortieren gerne: die Verlage in Abteilungen, Läden und Büchereien in Regale.
Insofern schön, dass sich hier Tiere, Pflanzen, Pilze mischen unter dem Oberbegriff Metamorphose oder Verwandlung:
Aus einer schrundigen Blumenzwiebel wird eine prachtrote Tulpe, aus der kleinen fischähnlichen Kaulquappe ein fetter Frosch, aus der Spore ein ganzes Geflecht an Pilzen, aus der zarten Blüte am Birnbaum eine dicke, saftig-reife Frucht, aus dem geflügelten Ahornsamen ein großer starker Baum...
Zweitens hat das Buch ganz wunderbare Bilder. Das ist nicht ganz so außergewöhnlich für ein Sachbuch, Illustratoren scheinen weniger festgelegt zu sein, arbeiten, wie es dem Zeitgeist, ihre Lust und Laune, ihren Ideen und ihrem Können entspricht. Aber auch das ist bei diesem Buch besonders gut gelungen: es gibt ein bis zwei Doppelseiten Platz für jede der wundersamen Verwandlungen, die in warmen Farben Schritt-für-Schritt dargestellt sind, und ist trotz des Stilleben-Charakters mit Leben gefüllt.
Jede Seite ist so gleich aufgebaut und doch immer anders, das Buch hat dadurch einen Rhythmus, wie ein Gedicht in Bildern.
Und die dritte Besonderheit ist der Text, der ist extrem gut gelungen, was selten ist, denn oft gilt im Sachbuch: Lieber korrekt als gern zu lesen, schon der Kollegen wegen. Zuspitzen, ausschmücken, einfach mal was stehen lassen, bildhaft und blumig formulieren, lustig gar, gilt als unwissenschaftlich.
Können muss man es natürlich auch. Frederic Clement und seine Übersetzerin Sarah Pasquay können es. Aus einem Zitat Fünkchen Übermut und einem geflügelten Samenkorn, einer Prise Fantasie und einem Spritzer Morgentau wurde ein kleines Wesen namens Pisello geschaffen, irgendetwas Erbsenähnliches, das uns durchs Buch und durch die Welt der Metamorphosen führen wird. Diese Formulierung ist Programm und Ansage, denn in diesem tänzelnden Tonfall ist der ganze Text: Fachwörter wie Larve, Puppe, Myzel oder Monokotyledonen sind wie Lyrik verpackt und verstehbar erklärt, genauso wie eigentlich unappetitliche Dinge wie Mücken, Maden, Sporen, Pilze und Paarungen.
Metamorphosen ist ein kleines Kunstwerk, das sich aber vor dem eigentlichen Wunder der Natur kein bisschen in den Vordergrund spielt. Das Ei wird zur Raupe, die Raupe zum Schmetterling, die Blüte zur Frucht, der Samen zum Baum so alltäglich wie wunderbar und faszinierend all diese Metamorphosen sind, so informativ und poetisch ist die Fachwort-Lyrik, mit der sie beschrieben sind. Ein Sachbuch-Gedicht in Schritt-für-Schritt-Schemata, etwas Besonderes und nicht nur schön für Kinder.
Sigrid Tinz
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