Kasimir Karton - Mein Leben als unsichtbarer Freund

  • KJB
  • Erschienen: Juli 2017
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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonJul 2017

Idee

Ein unsichtbarer Freund durchleidet eine Sinnkrise, als er erfährt, dass es ihn gar nicht wirklich gibt. Doch dann nimmt er sein Leben aktiv in Angriff und hilft damit nicht nur vielen anderen Kindern, sondern am Ende auch sich selbst.

Bilder

Zarte, umspielende Illustrationen in schwarz-weiß, die vereinzelt den Textfluss auflockern und Beschreibungen tatsächlich untermalen.

Text

Flüssig zu lesende Geschichte, die humvorvoll, unterhaltsam, abwechslungsreich und einfühlsam erzählt wird und schnell in ihren Bann zieht.

Kasimir Karton - der Name ist Programm? Irgendwie ja und dann auch wieder nicht. Auf jeden Fall steckt eine Menge in Kasimir, eben wie in einem Karton, der voller Schätze und mit Entdeckungen gefüllt ist. Kasimir ist wandlungsfähig wie nur irgendwas. Bester Freund, Bruder, Dackel, ...? Kein Problem.

Ein Wunsch ist für Kasimir quasi Befehl. Denn - und damit kommen wir zum "Nein" - Kasimir ist kein normaler Junge. Er ist nicht aus Fleisch und Blut, er ist nicht greifbar und auch nicht sichtbar. Zumindest nicht für jeden. Kasimir ist ein ausgedachter, unsichtbarer Freund, der von einem Kind erdacht wurde und jede gewünschte Gestalt annehmen kann. Er begleitet die Kinder so lange durchs Leben, wie sie ihn brauchen. Und wenn sie selbstständig oder größer werden, "entlassen" sie ihn, so dass er beim nächsten Kind landet.

Doch ganz so einfach, wie es hier klingt, ist es für Kasimir nicht. Denn lange Zeit war er sich nicht darüber bewusst, ausgedacht und unsichtbar zu sein. Schlief er doch in seinem eigenen Bett, wurde von Fleurs Eltern zugedeckt und hatte einen eigenen Sitzplatz am Esstisch. Denn Fleur, seit nun acht Jahren seine "Zwillingsschwester", wollte es so. Und ihre sehr verständigen Eltern haben den Wunsch der Tochter respektiert und ihm gern nachgegeben. Doch als eines Tages noch Kasimirs ausgedachter Freund am Esstisch Platz nehmen soll, ziehen Fleurs Eltern einen Schlussstrich, denn ein unsichtbarer Freund, der einen unsichtbaren Freund hat, das ist selbst ihnen zuviel. Kasimir lauscht diesen Worten mit Erstaunen und Entsetzen. Er, unsichtbar? Wie kann das sein? Es fällt in eine existentielle Sinnkrise und es dauert lange, bis er sich damit abfinden bzw. anfreunden kann, nicht das zu sein, was er lange dachte. Je länger er allerdings darüber nachdenkt, desto klarer wird es und plötzlich erklärt sich, warum ihn in der Schule alle ignorieren, er sich sogar jeden Tag einen neuen Sitzplatz suchen muss und beim Fußball nie in eine Mannschaft gewählt wird.

Es ist gut, dass er in dieser Situation auf das Cowgirl, eine ebenfalls unsichtbare Freundin trifft, das demnächst von ihrer "Schwester" in die Freiheit entlassen wird. Durch sie lernt er auf dem Treffen der "Anonymen Eingebildeten" weitere ausgedachte Figuren kennen, wie das "Alles" (bestehend aus Knöpfen, alten Schuhen, einem Winddrachen und einer Bananenschale), Mr. Jammerlappen, Uggly Buggly und Stinkesocke. "Man ist nur so unsichtbar, wie man sich fühlt" lautet das Mantra der Selbsthilfegruppe, in der Kasimir nicht nur sehr unterschiedliche Schicksale kennenlernt, sondern auch erfährt, wie die unsichtbaren Figuren über das "Amt für Neuzuteilungen" zu neuen Kindern kommen.

Nachdem Fleur ihn schweren Herzens in die Freiheit entlassen hat, landet Kasimir bei einem schrecklichen Kind, das ihn immer nur ärgert und quält, flüchtet von dort, nur um beim nächsten Kind, einem Mädchen namens Merla, als Dackel einzuziehen. Merla hilft er, ihren Wunsch nach einem richtigen Hund zu verwirklichen und gerät anschließend zu Bernard, der zwar ein richtiges Kind ist, aber am liebsten so unsichtbar wäre wie Kasimir. Doch auch Bernard verhilft Kasimir ins Leben und zu mehr Selbstbewusstsein und Glaube an sich selbst. Bei all diesen anderen Kindern vergisst Kasimir dennoch nie seine Fleur und denkt wehmütig an die schöne Zeit zurück, die er bei und mit ihr hatte. Und wie es der Zufall (oder seine Willensstärke) will, wacht er eines Tages in einem Garten auf, der ihm seltsam vertraut vorkommt&

Vermutlich sind die Weltanschauung und Lebensumstände ausgedachter Phantasiefiguren, die so zahlreichen Kindern eine wichtige Stütze im Alltag sind und ihnen helfen, die großen und kleinen Probleme in Schule und Kindergarten leichter zu meistern, bislang viel zu wenig untersucht worden. Michelle Cuevas' Geschichte um Kasimir Karton schließt hier also eine Lücke und zeigt sehr eindrücklich, dass auch ausgedachte Personen teilweise schwer an Schicksalsschlägen zu knabbern haben und ebenso wie wir mit Herz und Verstand ausgestattet sind. Denn Kasimir Karton wächst einem beim Lesen der ungewöhnlichen Geschichte mit all den emotionalen Höhen und Tiefen, der er erfährt, sehr schnell ans Herz.

Aus seiner Perspektive erzählt, tauchen die Leserinnen und Leser voll ein in seine Gedankenwelt ein, leiden mit ihm und freuen sich mit ihm. Die ganze Handlung ist sehr emotional und poetisch, ohne jedoch kitschig oder schnulzig zu sein. Denn Kasimir legt eine nüchterne, pragmatische und pfiffige Denkweise mit einer Prise Selbstironie an den Tag, die auch in ausweglosen Situationen ein Lächeln ins Gesicht zaubert und irgendwie nie den Glauben an einen guten Ausgang verlieren lässt. Zudem ist die abwechslungsreiche Reise durch verschiedene Kinderzimmer spannungsgeladen, denn jedes Kind ist anders und Kasimir muss sich immer wieder auf neue Charaktere einstellen. Und er macht beharrlich jedes Mal das Beste daraus und versucht, die Kinder auf die richtige Bahn zu bringen. Kasimir verhilft ihnen zu mehr Selbstbewusstsein oder eben dazu, Verantwortung zu übernehmen und dadurch sich selbst einen großen Wunsch zu erfüllen. Bei all dem vergisst er jedoch nicht sich selbst und das, was ihm eigentlich am wichtigsten ist.

Auch wenn Kasimir als Person ein Junge ist, ist das Buch auch für Mädchen sehr geeignet, da es keine typischen Jungsthemen behandelt, sondern eher grundsätzliche Fragen. Zudem hat Kasimir im Cowgirl eine weibliche Gegenfigur, ist Kasimirs wichigtste Partnerin Fleur und, nicht zu vergessen, geht er auch einen großen Teil des Buches als Dackel durchs Leben seines Kindes.

Dank der sehr flüssigen, altersgerechten Schreibweise ist es leicht, bei der turbulenten und phantasievollen Geschichte am Ball zu bleiben. Jede neue Situation wird ausreichend eingeleitet und einfühlsam erklärt, so dass sich die Leserinnen und Leser gut hineinfühlen können und die ungewöhnliche Perspektive als ausgedachte Figur nacheimpfinden können. Die dezenten schwarz-weiß Illustrationen unterstreichen die beschriebenen Situationen und Charaktere passend und lockeren den Lesefluss angenehm auf. Die insgesamt 60 Kapitel sind alle recht kurz und daher auch für Kinder geeignet, die noch keine längeren Texte an einem Stück lesen können. Jedes Kapitel ist mit einer kurzen, witzigen und teilweise rätselhaften Überschrift versehen, die sofort auf die nächsten unerwarteten Entwicklungen neugierig macht. Es fällt schwer, dieses Buch vor dem Ende aus der Hand zu legen...

Fazit: Ein bisschen schräg, sehr poetisch und eine ganz wunderbare, vielschichtige Geschichte übers Sichtbarwerden, über das Finden des eigenen Ichs, über Freundschaft und darüber, wie auch größere Sinnkrisen neue Impulse für das weitere Leben geben.

Claudia Goldammer

Kasimir Karton - Mein Leben als unsichtbarer Freund

Michelle Cuevas, KJB

Kasimir Karton - Mein Leben als unsichtbarer Freund

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