"Heute Morgen habe ich aus Versehen meinen Papa verloren", berichtet der kleine Ich-Erzähler auf der ersten Seite, ein kleiner Junge mit Brille und großen Augen. Für verlorene Papas gibt es ein extra Fundbüro, und das ist ein Erlebnis. Sein Papa ist da zwar nicht, aber am Ende findet er ihn doch noch wieder.
"Heute Morgen habe ich aus Versehen meinen Papa verloren", berichtet uns auf Seite 1 der Ich-Erzähler: ein kleiner Junge mit blauer Hose, rotem Pulli, dunklen Haaren, Brille und großen, staunenden Comic-Kulleraugen.
"Also bin ich nach draußen gerannt und dort traf ich einen Mann, der zu mir sagte: "Was für ein Zufall, ich arbeite im Fundbüro für verloren gegangene Papas. Komm ich bring dich hin, wenn du Glück hast, ist dein Papa bei uns."
Und damit ist von vornherein klar, dass die Geschichte nicht die Wendung nimmt, die man im ersten Schreckmoment denken könnte. Papa verloren! Schicksal, Flucht, Tränen, Einsamkeit, Ernst des Lebens, Gefahr und Problem. Sondern es ist mehr wie ein Traum: Alles ist total absurd und gegen die Gesetze des normalen Alltags, aber nicht das kleinste bisschen bedrohlich, weil es sich in sich schlüssig und logisch ineinander fügt. Am Ende, als klar wird, dass der verlorene Papa nicht im Fundbüro ist, sagt der Mann: "Dann geh schnell nach Hause, diesen Flur entlang, bis ganz hinten durch. Neben dem alten Hund steht eine Leiter, die kletterst du hoch, das ist eine Abkürzung." Dann geht es noch durch eine Falltür, direkt ins Wohnzimmer und Vater und Sohn sind wieder vereint.
Dazwischen gibt es jede Menge Spaß mit den Papas, die im Fundbüro so aufgelaufen sind. "'Pro Tag kriegen wir etwa 30 Papas rein", erzählt der Mann, "mit ein bisschen Glück kommen ihre Kinder sie noch am selben Tag abholen. Aber wir haben auch Papas die sind schon seit der Steinzeit hier." Und beim Umblättern sitzen da tatsächlich zwei langhaarige, bärtige, fellbekleidete Männer, die Keulen an die Wand gelehnt, und spielen "Kniffel" mit Zähnen und Knochen.
So wie hier gehen Text und Bild auch an anderen Stellen oft perfekt Hand in Hand, ergänzen sich und geben sich gegenseitig Schwung. Weiter geht es mit einem kleinen Rundgang durchs Fundbüro, denn vielleicht ist der Papa da ja irgendwo: im Raum, wo die Papas mit Ringelpullis Tischtennis spielen, oder da, wo die Papas mit Bärten Kaugummiblasen machen? Bei den traurigen Papas, die Trostkekse bekommen oder bei den gelangweilten, die im Park Verstecken und Federball spielen dürfen - "mit den Krokodilen dürfen sie natürlich nicht spielen". Oder ist es der Superman-Papa im Bankeranzug, der Papa, der Tanzen kann? Der im Bademantel oder der mit Krümeln im Bart?
Von Seite zu Seite wird man neugieriger, wer da noch so alles kommt und natürlich auch darauf, ob endlich mal der Papa von unserem kleinen Jungen dabei ist. Das ist spannend und einfach lustig, denn jeder einzelne ist schön bunt und schräg überzeichnet, das aber immer sehr liebevoll - denn für irgendein Kind auf dieser Welt ist es ja der beste und einzige Papa. Der richtige Papa für unseren Jungen ist nicht dabei. Der Junge wird erst wütend, dann spielt er ein paar Seiten lang mit den anderen Papas, die dabei noch mal in all ihrer verschiedenenartigen seltsamen und lustigen Schönheit auftreten und Fantasie und Freude versprühen dürfen. Und geht dann nach Hause und findet dort seinen Papa.
Man könnte dieses Buch auch nehmen, um verschiedene ernste Dinge zu thematisieren, ob Väter austauschbar sind und ersetzbar und wieso der eigenen Papa besser ist als der Supermanpapa von jemand anderem; was einen Vater ausmacht; was man tut, wenn man wirklich mal den Papa verloren hat, was man tut, wenn der Papa das Kind verloren hat oder wie es auf einem echten Fundbüro zu geht oder, oder, oder. Oder einfach wieder und wieder die Parade der Papas genießen, die fantastischen Ideen auf jeder Seite und dabei immer noch mehr neue lustige Details entdecken.
Fazit:
Ein Junge hat seinen Papa verloren. Weil schnell klar wird, es ist nichts Ernstes, sondern mehr ein fantastischer Traum oder ein skurriles Märchen, kann man das Buch unglaublich genießen: den schlichten Text im Kontrast und Kombination mit dem schrägen Inhalt und den tollen, bunten, komischen, liebenswerten Papas. Am Ende die Erkenntnis: der eigene Papa ist nicht Superman, aber der Beste, den es gibt.
Sigrid Tinz, Oktober 2016
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