Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*
Rigo ist ein Leopard im Zoo, Rosa ist eine Maus. Die beiden freunden sich an und unterhalten sich über Gott und die Welt, Menschen und Freundschaft, Wahrheit und Langeweile, Angst, Freude und Freiheit. 28 Geschichten lang.
Rigo ist ein persischer Leopard und es gab ihn wirklich, er lebte von 1997 bis 2010 im Berner Tierpark. Und Rosa ist eine Maus, die Angst hat, weil sie so klein ist und die Welt so groß. Und die sich vom großen Rigo gerne beschützen lassen möchte. Möglicherweise gab es auch Rosa wirklich, das wissen wir nicht. "Wer achtet schon auf eine Maus?" das sagt sie selber in einer der 28 Geschichten, die Lorenz Pauli in diesem Buch um die beiden Tiere herumgedichtet hat. Und sinniert weiter, dass sie vielleicht sogar auf einem Foto drauf gewesen sein könnte. Ein Foto, zu dem ein Kind später beim Anschauen sagen könnte, dass ihm die Maus auf dem Leopardenkopf besonders gut gefällt, worauf die Mutter wahrscheinlich antworten würde, dass das keine Maus sei, sondern das Leopardenohr, und dass das Bild verwackelt sei und deshalb würde sie es löschen.
Was wir wissen ist, dass es Rosa in diesem Buch gibt. Und im Buch wird sie sehr wohl gesehen, vor allem von Kindern. Einmal wirft sie Eicheln auf den Weg, aus dem Leopardengehege, um die Tierparkbesucher auf sich aufmerksam zu machen und als Geschenk. Ein Junge kickt die Eicheln einfach weg und während er ihnen nachschaut, sieht er Rosa. "Eine Maus! Da! Eine kleine Maus! Seht doch", ruft er, aber die Eltern sehen nichts und wollen weiter, zu den Polarfüchsen und anderen tollen Tieren. Der Junge will nicht, er will da bleiben und die Maus anschauen, "die süße Maus". Und die Maus überlegt: "Ich glaube, für dieses Kind waren die Eicheln kein Geschenk. Aber ich, ich war für dieses Kind ein Geschenk."
Diese beiden Episoden zeigen eigentlich schon Thema und Tonfall der Geschichten von Rigo und Rosa: freundlich und bedächtig, nachdenklich und ohne Denkschablonen, philosophisch und lebensnah, und um den Bogen zum eigentlichen Buch zu schlagen, könnte man frei nach Rosa sagen: so wie sie ein Geschenk für den Jungen war, ist dieses Buch ein Geschenk für uns. Für alle, die Raubkatzen mögen und Mäuse auf jeden Fall.
Für alle natürlich, die den Tonfall von Lorenz Pauli und die gemalten Tiere von Kathrin Schärer kennen und lieben sowieso. Ganz besonders, weil das Buch nicht nur wie die meisten Bilderbuchlänge hat, sondern 128 Seiten und 28 Geschichten und viele, viele Bilder von Leopard und Maus in allen Lebenslagen und Stimmungen, lebensecht und so richtig zum Gernhaben. Und für alle anderen auch, insbesondere für Eltern mit Kindern zwischen 5 und 10, die es, warum auch immer, in die Hände bekommen und vorlesen oder vorgelesen bekommen.
Es ist kindgerecht im Sinnen von verständlich und passend für deren Gedankenwelt und Weltvorstellung; und gleichzeitig wegen der philosophischen Denkweise auch absolut erwachsenengeeignet. Die Kapitel haben Gute-Nacht-Geschichtslänge und auch die Bitte nach einem zweiten lässt sich erfüllen, ohne dass der abendliche Zeitplan aus den Fugen gerät. Die Schrift ist groß und eignet sich durchaus auch zum Selberlesen. Der Text besteht aus eher kurzen Sätzen, der Wortschatz ist vielfältig; und manchmal denken sich die beiden sogar neue Wörter aus: flatterastisch oder optkrokant, extratoppflorios oder sprenkimatös. Und ansonsten plaudern und philosophieren sie über alles, was es zwischen Himmel und Erde so gibt: Fotos und Regentage, dass die Pinguine zweimal im Jahr Geburtstag feiern können, weil sie einmal als Ei gelegt werden und dann noch mal schlüpfen, schlechte Laune, Langeweile, Freundschaft und einmal, als Rosa sich einen gefundenen Zopfgummi umschlingt und sich nun so hübsch findet wie eine Königin und über Wahrheiten. Rigo sagt nämlich, dass sie ihm so nicht gefällt und dass das die Wahrheit sei. "Hast du nicht eine andere Wahrheit für mich?" fragt ihn Rosa daraufhin. Und er antwortet: "Nein. Eine andere Wahrheit kann ich dir nicht erfinden. Das Ding auf deinem Kopf gefällt mir nicht. Aber die Wahrheit ist auch: ich mag es, wenn du Neues ausprobierst. Und ich mag dich. Mit und ohne Ding auf dem Kopf." Eine andere Geschichte endet so, dass Rosa sagt: "Du kannst mit dem Erzählen aufhören. Aber die Geschichte muss nicht aufhören deswegen."
Und genauso ist es mit dem Buch. Nach 28 Kapiteln ist es zu Ende, aber die Geschichten gehen weiter, in uns drin, auch nachdem es zugeklappt ist. Der Tonfall der Gespräche und die Richtung der Gedanken wirken nach. Die Art, mit Widrigkeiten des Lebens umzugehen und eine gute Seite an den Dingen zu finden; genauso wie die klare und freundliche Art, wie die beiden miteinander umgehen, dass sie versuchen sich so zu lassen, wie sie sind und sich trotzdem mögen. Einmal, als die beiden sich über Wünsche unterhalten, wünscht Rosa sich Rigo "violett mit grünen Sternen drauf und du hättest einen Beutel wie ein Känguru in den ich mich hinein kuscheln könnte und du hättest keinen Mundgeruch ..." "Ist mein Mundgeruch wirklich schlimm?" Rosa tätschelte Rigos Vorderpfote "Dein Mundgeruch gehört zu dir. Ihn alleine fände ich schlimm. Aber du und der Mundgeruch zusammen ... das geht ganz gut."
Fazit:
Rigo ist ein Leopard im Zoo, Rosa ist eine Maus. Die beiden freunden sich an und unterhalten sich 28 Geschichten lang über die großen und kleinen Dinge des Lebens. Kindgerecht und erwachsenengeeignet, mit einem freundlichen Humor und völlig unpathetischer Menschenfreundlichkeit, perfekt fürs jeden Abend Vorlesen. Und Anschauen, denn die beiden sind lebensecht gezeichnet und gleichzeitig so liebenswert, dass man sie am liebsten knutschen und knuddeln würde.
Sigrid Tinz, Oktober 2016
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