Warum sind Schnecken so langsam, dass möchte diese eine kleine Schnecke wissen. Die anderen Schnecken können ihr das nicht beantworten und wollen es auch nicht, so war es halt schon immer und frag nicht so viel. Also macht sich die kleine Schnecke auf den Weg, um selber Antworten zu finden ...
Achtsamkeit ist Trend. So sehr Trend, dass man überall davon hört oder liest - oft ohne genau zu wissen, worum es geht. Jetzt also auch im Kinderbuch, in diesem hier zum Beispiel. Das will "achtsame kleine und große" Leser glücklich machen und dazu verführen "innezuhalten und die Welt und die Schönheit der Natur aus einem neuen Blickwinkel wahrzunehmen". Aber so neu und besonders achtsam ist Der langsame Weg zum Glück gar nicht, das als kurze Info, an alle, die schon ein bisschen allergisch auf dieses Wort reagieren oder, im Gegenteil, sich möglicherweise zu viel davon versprechen. Sondern eher eine neue Variante klassischer Themen: dass jemand rebelliert gegen die bestehende Ordnung, weggeschickt wird oder hinauszieht in die Welt, um Antworten zu finden, und dann mit neuen Erkenntnissen und Verbesserungen zurückkommt, von denen alle anderen dann auch profitieren. Neu ist, dass es mal eine Schnecke ist, die anders ist als alle anderen Schnecken, weil sie wissen will, warum Schnecken so langsam sind und warum sie keinen Namen haben - und die sich auf den Weg macht, schneckenmäßig langsam, es herauszufinden. Auf ihrem Weg durch die Welt erfährt sie, dass die Löwenzahnwiese, auf der die Schneckenkolonie lebt, asphaltiert und zu einem Parkplatz werden soll und das sehr bald. Sie kehrt um, und schafft es, die anderen Schnecken zu überzeugen, auf sie zu hören, ihr zu folgen und sich so vor den Maschinen und Menschen in Sicherheit zu bringen.
Auch das übrigens ein klassisches Thema: die Natur auf der Flucht vor dem Menschen, das vom Maulwurf Grabowski über Barbapapa bis zum Abschied vom Wäldchen vielfach in Kinderbüchern erzählt worden ist. Allerdings ist die Frage, ob ein Buch, das diesen "Mensch-gleich-böse-und-Natur-gleich-geruhsam-Gegensatz" konstruiert, wirklich glücklich machen kann, findet man sich doch als kleiner und großer Leser auf der Seite des Bösen wieder, in den Worten der Schnecke: als Monster, das mit schweren Schritten über die Wiese poltert.
"Immer wenn eine Schnecke den Alarmruf Platsch wisperte und andere ihn weitertrugen, dann wussten sie, dass wieder ein Mensch im Anmarsch war, der mit seinen großen schweren Füßen unbekümmert durchs Gras schlurfte und dafür sorgte, das einige von ihnen beim gemütlichen abendlichen Essen nicht mehr dabei sein würden."
Hineingewoben in diese beiden Handlungsstränge sind außerdem noch sehr detaillierte Naturbeobachtungen und Erläuterungen der Lebensweise der Schnecken. Das klingt dann so:
"Das stetig von den Bäumen fallende Laub war doch ein untrügliches Zeichen, dass sie bald einen sicheren feuchten dunklen Platz für den Akt der Befruchtung finden mussten. Die Schnecken wussten, dass andere Wiesenbewohner von der Natur mit deutlich erkennbaren Unterschieden ausgestattet waren, ihnen - den Schnecken - hingegen war es von der Natur bestimmt, in ihren Schneckenhäusern die beiden Unterschiede zu vereinen, die zusammen ein drittes Leben schufen. Kurz bevor der Frost einsetzte und der Schnee vom Himmel fiel, verspürten die Schnecken den unwiderstehlichen Ruf des Lebens sowie die Notwendigkeit, selbiges weiter in die Zukunft zu tragen. Nach einem langsamen, sehr langsamen Ritual des Aneinanderreibens ihrer kleinen Hörner richteten zwei Schnecken ihre Leiber auf und drückten sie gegeneinander, um so den Fortbestand ihrer Art zu sichern ..."
Poesie der Natur oder kitschiger Text, langsam und achtsam formuliert oder langatmig, ein schmaler Grat und sicherlich auch eine Sache des Geschmacks. Und eine Sache der Verarbeitungsgeschwindigkeit des jeweiligen Lesers oder Zuhörers. Wer eher schnell ist, mit seinen Gedanken und auch mit allem anderen, der wird an manchen Stellen innerlich die Augen rollen: wenn die Schnecke, die den Grund für ihre Langsamkeit wissen wollte, mehrfach pro Seite die Schnecke, die den Grund für ihre Langsamkeit wissen wollte, genannt wird; und sich wünschen, mit den Ameisen mitlaufen zu dürfen, die ruckzuck ihren Haufen zusammenpacken und zügig abmarschieren, als die Schnecke, die den Grund für ihre Langsamkeit wissen wollte, ihnen von der Gefahr durch die Menschen und deren Baustelle erzählt. Aber die Geschichte lässt uns weiter mit der Schnecke, die den Grund für ihre Langsamkeit wissen wollte, über die Wiese robben, auf dem Weg zu den Ihren, um sie zu warnen und unterwegs wird ihr langsam klar, warum es gut ist, langsam zu sein.
"Denn wäre sie schnell wie ein Kaninchen oder könnte sich so geschwind fortbewegen wie eine Schlange, wäre sie den Ameisen nicht begegnet und hätte sie nicht warnen können. Oder wenn sie so schnell wie eine Heuschrecke oder eine Eidechse gewesen, hätte sie die Käfer nicht warnen können &"
Wirklich schön sind die Bilder von Quint Buchholz. Obwohl er anders als sonst gar keine träumerischen, unwirklichen Szenen gemalt hat, sondern Szenen aus der Natur: die Schnecken, wie sie über die Straße kriechen, oder über eine gelbgrüngeblümte Löwenzahnwiese, oder die Eule vor dem runden Mond, die Glühwürmchen, die die Nacht durchschwirren, die Sterne - auch sie lassen die Zeit still stehen, aber auf eine ganz andere Art, magisch, zauberhaft, großartig.
Fazit:
Drei klassische Themen vereint in einem Buch: Thema 1 ist der Rebell, der seine Heimat verlässt und in die Welt zieht um Wissen zu finden, hier in Gestalt der Schnecke. Unterwegs merkt, dass die Schönheit und Unberührtheit der Natur (Thema 2) durch den Menschen bedroht ist und (Thema 3) zurückkehrt um sich und die Seinen zu retten. Ob das Buch so glücklich macht wie der Titel, die wunderschönen Bilder und der Klappentext versprechen, das ist Geschmackssache.
Sigird Tinz, Juni 2016
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